Mittagspause beim offiziellen Rookie-Test der Formel E in Berlin - und sie kommen von allen Seiten herangestürmt! Sheldon van der Linde (23) war erst am Vorabend vom Rennen der GT World Challenge in Monza angereist, um für das Top-Team Jaguar den Formel-E-Test zu bestreiten. Und das unter den wachsamen Augen seines Bruders Kelvin (26), der am Samstag noch mit Abt-Lamborghini auf der Nürburgring-Nordschleife unterwegs war.

Jetzt das Wiedersehen in der deutschen Hauptstadt. Es sind stressige Wochen für die beiden pfeilschnellen Brüder aus Südafrika, die durch die Weltgeschichte düsen und in der DTM-Saison 2023 erneut aufeinandertreffen werden. Für Motorsport-Magazin.com nahmen sich der amtierende DTM-Champion Sheldon und 'Bro' Kelvin in Berlin aber gerne die Zeit für ein gemeinsames Interview.

Kelvin, dein Bruder ist gerade eben im Formel-E-Jaguar die Test-Bestzeit am Vormittag gefahren. Wie fühlt es sich an, Sheldon hier in Berlin fahren zu sehen?
Kelvin van der Linde: Das ist ein bisschen Deja vue, denn als ich 2020 mit Audi den Rookie-Test gefahren bin, war ich in der Vormittags-Session auch Schnellster! Cool, dass wir das jetzt beide geschafft haben. Sheldon fährt hier den Jaguar, das Auto, in dem aktuell wohl jeder Fahrer sitzen möchte. Echt cool, dass er diese Chance bekommen und auch von BMW die Freigabe erhalten hat.

Berlin-Bros: Kelvin und Sheldon van der Linde beim Formel-E-Test, Foto: Fabian Plüddemann
Berlin-Bros: Kelvin und Sheldon van der Linde beim Formel-E-Test, Foto: Fabian Plüddemann

Du bist dieses Jahr drei Formel-E-Rennen für Abt-Cupra gefahren. Hast du Sheldon vor seinem Test Tipps gegeben?
Kelvin van der Linde: Als erstes habe ich ihm erklärt, dass er ins Fitnessstudio gehen muss! Da hat Sheldon aber wohl nicht zugehört, er hat erst vor zwei Wochen mit dem speziellen Training angefangen. Bestimmt tun ihm jetzt schon die Arme weh... Der sollte ein bisschen früher auf seinen alten Bro hören! Spaß, ich habe ihm ein paar Tipps gegeben, damit sich sein Lernprozess ein bisschen verkürzt. Die Fahrer haben beim Rookie-Test ja nur einen Tag Zeit und müssen auf Anhieb schnell sein.

Sheldon, hör' auf deinen älteren Bruder...
Sheldon van der Linde: Ja, ja! Das liegt eher an meinem Zeitplan. Die letzten Wochen waren extrem busy, ich saß doch ständig im Rennauto. Ich wollte noch ein bisschen häufiger ins Gym gehen, muss aber sagen, dass es bis jetzt gut passt. Ich hatte das mit dem schwer zu steuernden Lenkrad in der Formel E schon mehrfach gehört, aber es war okay, ich bin ja fit. Ich hatte es mir schwerer vorgestellt...

Kelvin van der Linde: Du bist ja bis jetzt nur den Vormittag gefahren! Warte mal ab...

Sheldon van der Linde im ungewöhnten Jaguar-Rennoverall beim Formel-E-Test, Foto: LAT Images
Sheldon van der Linde im ungewöhnten Jaguar-Rennoverall beim Formel-E-Test, Foto: LAT Images

Wie fühlt sich das Fahren in der Formel E denn an, Sheldon?
Sheldon van der Linde: Überrascht haben mich vor allem die Reifen. Bei meinem letzten Mal in einem Formel-E-Auto waren noch Michelin-Reifen drauf. Das Reifenfenster ist extrem klein. Wenn du zu viel lenkst, hast du keinen Grip auf der Vorderachse. Und natürlich ist die Leistung ein Thema, die neuen Autos haben ja bis zu 350 kW. Es ist sehr schwierig, mit dieser Power das Auto in der Spur zu halten.

Du bist dieses Jahr bereits GT3-Autos und den LMDh-Prototypen von BMW gefahren. Wie fühlt sich das Formel-E-Auto im Vergleich an?
Sheldon van der Linde: Das war ein völlig neues Gefühl. Man kann es ein bisschen mit Leih-Karts vergleichen. Du hast kaum Grip und rutschst viel herum. Das ist eben eine andere Herausforderung, mit der man auch richtig umgehen muss. Ohne meinen Test in einem Gen2-Auto vor ein paar Jahren wäre es für mich wahrscheinlich schwieriger gewesen. Jetzt hatte ich aber eine Referenz, wie sich das Auto anfühlen muss.

Die van der Lindes in Formel-Autos... Hättet ihr euch das vor ein paar Jahren ausdenken können?
Kelvin van der Linde: Irgendwo war das schon ein Traum. Wenn wir früher zuhause saßen und Formel 1 geschaut haben, dachten wir uns: 'Es wäre schon geil, mal so ein Formel-Auto zu fahren'. Inzwischen haben wir unseren Weg gefunden, sind sehr zufrieden mit der DTM und fühlen uns dort wohl mit dem, was wir uns in den letzten Jahren erarbeitet haben. Aber wer weiß schon, ob das Thema Formel E in den kommenden Jahren nicht auch noch mal spannend wird.

Die van-der-Linde-Brüder mit ihrem langjährigen Berater Dennis Rostek, Foto: Fabian Plüddemann
Die van-der-Linde-Brüder mit ihrem langjährigen Berater Dennis Rostek, Foto: Fabian Plüddemann

Ist es heutzutage für einen Rennfahrer wichtig, Erfahrungen in unterschiedlichen Autos zu sammeln?
Sheldon van der Linde: Das ist sehr wichtig. Man weiß ja auch nicht, wie es langfristig mit der DTM weitergeht, ob sie bei GT3-Autos bleibt oder in ein paar Jahren auf andere Autos wechselt. Als Fahrer musst du heutzutage sehr flexibel sein, was den Fahrstil angeht. Ich bin dieses Jahr mit dem LMDh und dem GT3 von BMW sowie dem Formel-E-Jaguar schon drei unterschiedliche Rennwagen gefahren. Dadurch lernst du schnell, dich anzupassen. Für einen Rennfahrer kann das heute eine Stärke sein.

Kelvin van der Linde: Das ist auch mir ein wichtiges Anliegen, denn ich will nicht als ein GT3-Spezialist bekannt sein. Ich habe noch einiges vor in meiner Karriere und jetzt einen neuen Weg eingeschlagen. Sheldon hatte das Glück, zum richtigen Zeitpunkt in die DTM eingestiegen zu sein, um die Erfahrung in einem High-Downforce-Auto mitzunehmen. Das hat ihm viele Möglichkeiten eröffnet, wie den Weg ins LMDh-Auto. Sheldon ist seinen Weg gegangen, ich muss mich anders aufstellen. Ich bin froh, dass ich jetzt schon Erfahrung in der Formel E habe, das ist viel wert. Das merke ich auch in Gesprächen mit anderen, sie nehmen dich dadurch ein bisschen anders wahr. Die Leute sehen, dass du nicht nur den GT3-Background hast, sondern dich anpassen kannst.

Sheldon van der Linde: Das Fahren im Formel-E-Auto war schon eine Umstellung für mich, und in den ersten drei Runden hat mein Kopf ganz schön im Wind geschüttelt. Man gewöhnt sich aber sehr schnell daran, nach dem ersten Run war ich schon voll im Rhythmus. Es ist immer cool, zu sehen, wie schnell der Körper sich ans Auto gewöhnt.

Sheldon van der Linde testet das Formel-E-Auto von Jaguar, Foto: LAT Images
Sheldon van der Linde testet das Formel-E-Auto von Jaguar, Foto: LAT Images

Gestern bist du noch mit WRT-BMW beim Endurance Cup der GT World Challenge in Monza gefahren, heute den Formel-E-Test in Berlin und morgen springst du wieder in den BMW M4 GT3 von Schubert Motorsport, um dich auf die DTM-Saison vorzubereiten. Ist das eine große Herausforderung?
Sheldon van der Linde: Vor allem bedeutet das viel Reiserei! Die letzten zwei Wochen waren extrem anstrengend. Vor dem Rennwochenende in Monza habe ich mit Schubert Motorsport getestet, bin dann direkt NLS gefahren und von dort aus über Nacht zum offiziellen DTM-Test nach Spielberg. Das war schon viel, aber ich genieße es. Jeder Tag, an dem ich im Rennauto sitzen kann, macht einfach Spaß. Und wenn du jetzt auch noch in einen Formel steigst, lernst du viel über dich selbst als Fahrer. Ich bin halt nie zuhause. Weil unsere Familie aber eh in Südafrika lebt, habe ich hier eigentlich niemanden, der auf mich wartet. Außer Kelvin in der Wohnung.

Wann habt ihr beiden euch eigentlich das letzte Mal in eurer Wohnung getroffen?
Sheldon van der Linde: Puh, vor drei Wochen? Kelvin, wann war das letzte Mal?

Kelvin van der Linde: Ja, vor drei Wochen. Ich erzähle euch jetzt aber mal, wie das manchmal im Hause van der Linde so läuft: Als ich noch für die Äbte Formel E gefahren bin, war ich gerade auf dem Weg nach Indien und wollte aus unserer Garage in Richtung Flughafen rausfahren. Und wirklich genau in diesem Moment ist Sheldon von seinem Rennen in Bathurst zurückgekommen. Ich bin aus der Garage raus, er ist rein! Was für ein Zufall, da mussten wir echt lachen!

Hättet ihr ihn gesehen? Kelvin lauscht in Berlin der Fahrer-PK seines Bruders Sheldon!, Foto: LAT Images
Hättet ihr ihn gesehen? Kelvin lauscht in Berlin der Fahrer-PK seines Bruders Sheldon!, Foto: LAT Images

Kelvin, wie sehen die nächsten Schritte deiner Karriere aus?
Kelvin van der Linde: Wir sind offen. Dafür habe ich den richtigen Mann hier an meiner linken Seite (Dennis Rostek, Geschäftsführer der Agentur Pole Promotion), der kümmert sich um meine Zukunftsplanung. Natürlich habe ich Wünsche und ich versuche jedes Mal, wenn ich im Rennauto sitze, den bestmöglichen Job zu machen - auch, um Dennis die Arbeit zu erleichtern. Ich habe meine Zeit in der Formel E schon genossen, aber für ein Renn-Comeback müsste es ein konkurrenzfähiges Auto sein.

Als zweifacher Sieger des 24h-Rennen Nürburgring, zweimaliger Champion im ADAC GT Masters und DTM-Pilot sind die Ansprüche vermutlich gestiegen?
Kelvin van der Linde: So könnte man es ausdrücken. Ich glaube, dass ich auch in der Formel E vorne mitfahren könnte. In den Rennen war ich auf Augenhöhe mit Stammfahrern wie Nico Müller oder Lucas di Grassi. Deshalb habe ich schon das Vertrauen, dass wir mit dem richtigen Auto schnell unterwegs wären.

Euer Kumpel Rene Rast sagte uns vor Kurzem, dass es von außen immer einfach aussehe, von einem Rennauto ins andere zu klettern. Das sei es aber ganz und gar nicht. Wie seht ihr das?
Sheldon van der Linde: Über das Thema haben wir neulich auch gesprochen. Schau, in Daytona bin ich das LMDh-Auto von BMW gefahren und nur eine Woche später zum ersten Mal in Bathurst im BMW M4 GT3 an den Start gegangen. Das war für mich eine extrem große Umstellung. Schwierig ist vor allem der direkte Wechsel vom LMDh in den GT3, denn wenn du mehr Grip hast, ist es immer einfacher.

Sheldon van der Linde mit Jaguar-Teamchef und Landsmann James Barclay, Foto: LAT Images
Sheldon van der Linde mit Jaguar-Teamchef und Landsmann James Barclay, Foto: LAT Images

LMDh, GT3 oder Formel E: Sheldon, welches Auto macht dir am meisten Spaß?
Sheldon van der Linde: Das ist eine schwierige Frage, weil die Autos komplett unterschiedlich sind. Ich würde sagen, es ist der BMW M Hybrid V8. In dem LMDh hast du 700 PS Leistung, ordentlich Abtrieb und diesen tollen Sound. Es erinnert mich an das Class-1-Auto aus der früheren DTM, das ist immer noch mein Lieblingsauto. Es ist wirklich nicht einfach, mit einem LMDh-Auto schnell zu sein. Das mag ich aber, weil du als Fahrer einen echten Unterschied machen kannst.

Kelvin van der Linde: Die Prototypen sind auf jeden Fall richtig cool. Ich muss aber noch das GT3-Auto auf der Nordschleife erwähnen, da kommt einfach nichts ran. Das ist vielleicht nicht das allerschnellste Auto, aber diese Kombination mit der Strecke ist besonders.

Sheldon van der Linde: Stimmt, Nordschleife ist top! Wir sehen dort aber, dass das Risiko mit jedem Jahr größer wird. Wir Fahrer müssen im Verkehr immer mehr riskieren, um schnell zu sein, das macht es ziemlich speziell. Und wenn es dann anfängt zu regnen, du aber noch auf Slicks fährst, zeigt sich, wer die echten Männer sind!

Tauscht ihr euch untereinander über eure Erfahrungen in den unterschiedlichen Rennautos aus?
Kelvin van der Linde: Klar, wir telefonieren quasi jeden Tag miteinander. Ich finde es schön, dass wir so eine enge Beziehung zueinander haben. Das hat nicht jedes Bruderpaar. Wir sehen das auch als eine Stärke. Ich kann Sheldon hier in Berlin vor Ort unterstützen, das macht die Situation ein bisschen entspannter. Wenn ich mal in ein LMDh-Auto steigen sollte, würde ich mich auch vorher mit ihm austauschen. Das Tolle ist doch: Wenn ich meinen Bruder etwas frage, weiß ich zu 100 Prozent, dass seine Antwort die Wahrheit ist.

Sheldon van der Linde: Absolut, das ist mega und einfach eine ganz besondere Situation, Bro!