Das Finale der Formel-E-Saison 2022 erlebte Antonio Giovinazzi schon gar nicht mehr. Handverletzung im Samstagsrennen, Ausfall für Sonntag. Am Endergebnis änderte das freilich nichts mehr: Der ehemalige und möglicherweise zukünftige Formel-1-Fahrerbeendete seine erste und womöglich letzte Formel-E-Saison in Seoul mit einer weiteren Nullnummer.

Der Ferrari-Zögling konnte seinen im Vergleich zur Konkurrenz völlig unterlegenen Dragon-Penske-Boliden kein einziges Mal auf einem Punkterang über die Ziellinie bringen. Am Ende blieb Giovinazzi als einziger der 22 Stammpiloten im Feld ohne Punkte auf dem 23. Platz der WM-Tabelle - selbst der zweifache Gaststarter Norman Nato konnte sich mit einem besseren Einzelergebnis in der Wertung vor ihn schieben. "Es war eine schwierige Erfahrung, aber es war eine Erfahrung", resümierte Giovinazzi in Seoul im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com.

Nun ist die Zukunft des GP2-Vizemeisters von 2016 ungewiss. Das Dragon/Penske-Team schließt sich für die dritte Formel-E-Generation ab 2023, der Gen3-Ära, voraussichtlich mit dem französischen Automobilkonzern DS Automobiles zusammen. Die Fahrerpaarung wurde bis dato nicht bekannt gegeben. Als heiße Kandidaten werden jedoch nicht Giovinazzi oder Teamkollege Sergio Sette Camara gehandelt, sondern der frischgebackene Mercedes-Weltmeister Stoffel Vandoorne und der zweifache Formel-E-Meister Jean-Eric Vergne von DS Techeetah.

Antonio Giovinazzi: So kam es zum Formel-E-Debüt

Experten war schon im Vorfeld der Saison klar, dass Giovinazzi keine einfache Aufgabe in der Formel E erwarten würde - wahrscheinlich sogar die schwierigste seiner gesamten Motorsport-Karriere nach dem unsanften und späten Rauswurf aus der Formel 1. Zu schlecht waren die Voraussetzungen, um in der ihm größtenteils unbekannten Elektro-Rennserie mit ihren ungewöhnlichen Anforderungen glänzen zu können.

Erst im November 2021 wurde Giovinazzi mit der bitteren Nachricht überrumpelt - nach drei Saisons mit Alfa-Sauber in der Formel 1 übernahm Guanyu Zhou das Cockpit des Italieners. Ganz schnell und spät im Jahr musste ein neuer Arbeitgeber für die Saison 2022 her. Einen Monat später saß der ehemalige Ferrari-Junior zum ersten Mal in seinem zukünftigen Formel-E-Boliden.

Und da ging es schon los: Bei den offiziellen Testfahrten in Valencia musste der 28-Jährige wegen seiner F1-Verpflichtungen vorzeitig abreisen. Vorbereitungszeit? Miserabel!

Foto: LAT Images
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Dragon: Der nächste Formel-1-Fahrer

Mit der kurzen Vorlaufzeit standen Giovinazzis Karten für das Formel-E-Debüt von vorne herein unter keinem guten Stern. In Kombination mit dem Chaos-Trupp von Dragon/Penske war Experten klar, dass ein großes Desaster beinahe programmiert war. In den letzten vier Saisons belegte das Team um Besitzer und Gründer Jay Penske durchgehend den vorletzten Platz in der Team-Wertung. Dabei fehlte es nie an hochkarätigen Piloten. Nach Jerome D'Ambrosio, Felipe Nasr und Brendon Hartley versuchte es Giovinazzi als vierter Ex-Formel-1-Mann bei den Amerikanern. Penske Junior war schon immer ein Fan bekannter Namen...

"Es war eine schwierige Saison. Als ich in die Formel E kam, wusste ich, dass es schwierig werden würde. Hier sind schon einige sehr gute Fahrer mit viel Erfahrung, manche sind schon seit der ersten Saison dabei", sagte Giovinazzi beim Saisonfinale in Seoul, kurz bevor er wegen seiner Handverletzung passen musste

"Das Format ist keine große Hilfe für Rookies, manchmal hat man nur 30 Minuten (Training; d. Red.), um die Strecke kennenzulernen und ein paar Kilometer aufs Auto zu schreiben", führte Giovinazzi aus. Auch die Teamstrukturen sowie die technischen Mittel des US-amerikanischen Teams ließen nicht selten zu wünschen übrig: "Leider ist auch der Simulator nicht so toll und nicht wirklich realistisch."

Generell waren jegliche Mittel bei Dragon/Penske höchst überschaubar. Den Mitarbeitern an der Strecke gebührt sogar Lob, mit derart wenigen Ressourcen die Autos überhaupt in die Startaufstellung bekommen zu haben. In den Rennen waren Giovinazzi und Teamkollege Sette Camara zumeist heillos unterlegen. Der Dragon-Plan seit Jahren in der Gen2-Ära: Zu Beginn eines Rennens angasen und dann auf ein Safety Car hoffen, um den Nachteil beim Energie-Management irgendwie wettzumachen. Der Plan ging quasi nie auf.

London E-Prix 2022, Giovinazzi: "War gut für meinen Kopf"

Trotz des schwächsten Boliden im Feld und dem mangelhaften Equipment vollbrachte Giovinazzi am vorletzten Formel-E-Wochenende 2022 in London ein kleines Wunder. Mit seinem Dragon-Penske-Boliden schlug er den ehemaligen Weltmeister Nyck de Vries im Viertelfinale und sicherte sich damit den dritten Platz in der Startaufstellung. Zumindest auf einer schnellen Runde im Qualifying, wo das wichtige Energie-Management keinerlei Rolle spielte, konnte Giovinazzi mit seinen fahrerischen Qualitäten auf den engen Stadtkursen glänzen.

Obwohl er schlussendlich keines der beiden Rennen in London beenden konnte, war der kleine Lichtblick Balsam für die geschundene Seele: "Das war gut für meinen Kopf. Es hat mir gezeigt, dass ich mit dem Auto eine Runde zusammenbekomme. Klar war das im Rennen eine andere Geschichte - das Auto war nicht so gut wie die anderen vorne, vor allem in Sachen Energie. Trotzdem hätten wir am Sonntag Punkte holen können. London ist eine komische Strecke, es ist sehr schwer dort zu überholen, P6 oder P7 wäre drin gewesen. Dann hatten wir leider Probleme mit dem Powertrain und die Durchfahrts-Strafe."

Die Glanzleistung in London wurde letztlich von der Unterlegenheit gegen Giovinazzis Teamkollegen überschattet: Mit immerhin zwei Zählern auf dem Konto war Sergio Sette Camara dem Italiener in fast allen Rennen überlegen und beendete die Saison auf Gesamtrang 20.

In London erzielte der 24-Jährige die einzigen Punkte für das Team, das die Gesamtwertung wenig überraschend auf dem letzten Platz abschloss. Der unter Experten hoch gehandelte Sette Camara geht nach Informationen von Motorsport-Magazin.com auch 2023 in der Formel E an den Start, bei NIO 333 soll noch ein Platz frei sein.

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Günther Steiner: "Er ist mit Sicherheit auf unserer Liste"

"Es war etwas ganz anderes, ein anderer Typ Auto", beschrieb Giovinazzi seine Erfahrung der ersten Saison in der Elektro-Rennserie. "Alles war anders - das Format, der Fahrstil, ich musste alles neu lernen. Du musst das Auto anders fahren, man muss sehr sanft auf dem Bremspedal sein. In der Mitte der Kurve muss man eher übersteuern, ich musste meinen Stil daran anpassen."

Nun stellt sich die Frage: Hat Giovinazzi mit der Formel E abgeschlossen? Eines steht zumindest fest, er hat seinen Fuß nie aus der Formel-1-Tür genommen. In Monza und Austin wird der Ferrari-Ersatzfahrer jeweils im 1. Freien Training auch wieder ans Steuer eines Boliden in der Königsklasse dürfen. Im Ferrari-Kundenteam Haas werden die Stammfahrer Mick Schumacher und Kevin Magnussen je einmal das Cockpit räumen. Die Gerüchteküche brodelt natürlich: Ist das etwa die Vorbereitung für eine Formel-1-Rückkehr?

"Er ist mit Sicherheit auf unserer Liste", sagte Haas-Teamchef Günther Steiner am Rande des Belgien GP über Giovinazzi. "Er hat eine Superlizenz, aber das ist keine Entscheidung, die ich treffen muss." In den nächsten Wochen will Steiner zusammen mit Teambesitzer Gene Haas eine Entscheidung über die Fahrerpaarung für die kommende Saison entscheiden.

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Formel E: Alle Dragon-Fahrer seit 2014

SaisonFahrerTeam-Wertung
2014/2015Jerome D'AmbrosioP2
Loic Duval
Oriol Servia
2015/16Jerome D'AmbrosioP4
Loic Duval
2016/17Jerome D'AmbrosioP8
Loic Duval
Mike Conway
2017/18Jerome D'AmbrosioP9
Jose Maria Lopez
Neel Jani
2018/19Jose Maria LopezP10
Maximilian Günther
Felipe Nasr
2019/20Nico MüllerP11
Brendon Hartley
Sergio Sette Camara
2020/21Nico MüllerP11
Sergio Sette Camara
Joel Eriksson
2021/22Antonio GiovinazziP11
Sergio Sette Camara
Sacha Fenestraz