Lucas di Grassi hat das Sonntagsrennen der Formel E in London gewonnen. Im drittletzten Lauf der Saison 2022 setzte sich der Venturi-Pilot nach einer Strategieschlacht inklusive drei Attack-Modes gegen Samstagssieger und Pole-Setter Jake Dennis (Andretti) durch. Den dritten Platz auf dem Podium sicherte sich der amtierende Weltmeister Nyck de Vries - am Samstag hatte der Mercedes-Pilot P3 wegen einer Strafe nachträglich verloren.

Mit zehn Sekunden Rückstand auf den Niederländer überquerte Mercedes-Teamkollege Stoffel Vandoorne die Ziellinie als Vierter. Der Meisterschaftsführende war mit Blick auf den WM-Kampf wie schon am Vortag der große Gewinner: Während er vom 13. bis auf den vierten Platz nach vorne fuhr, strauchelten die Titelgegner einmal mehr und blieben allesamt punktlos.

Ganz böse kam es für den Gesamt-Zweiten Mitch Evans (Jaguar), der bis zur vorletzten Runde an vierter Position lag. Ein technisches Problem warf den Neuseeländer dann aus dem Rennen - null Punkte, Vandoorne bedankte sich! Er konnte seinen Vorsprung in der Gesamtwertung noch weiter ausbauen. Vandoorne führt mit 185 Punkten, Evans hat 149 Zähler auf dem Konto und damit 36 weniger. 58 Punkte sind in der Saison 2022 noch zu vergeben.

Mit Edoardo Mortara (Venturi) ging ein weiterer Titelaspirant leer aus. Nach einem katastrophalen Qualifying (Startplatz 17) war im Rennen nicht mehr drin als Platz 13. Der Italo-Schweizer hat mit weiterhin 144 Punkten nun schon 41 Zähler Rückstand auf Vandoorne.

Jean-Eric Vergne dürfte mit nun 57 Punkten Rückstand auf Vandoorne raus sein aus dem Titelrennen. Der Techeetah-Pilot, der von Platz neun und damit als bester aller vier Titelkandidaten gestartet war, fiel schon in der zweiten Runde mit einem beschädigten Kühler aus. Vorangegangen war ein früher Kontakt mit Oliver Rowland, der ebenfalls nicht die Ziellinie sah. Der Vorfall sorgte für eine Safety-Car-Phase, um die Autos von der Strecke zu schleppen.

Auch der überraschend von Platz drei gestartete Antonio Giovinazzi (Dragon/Penske), Maximilian Günther (Nissan), Oliver Askew (Andretti), Dan Ticktum (NIO) und Nick Cassidy (Envision) fielen vorzeitig aus.

Di Grassi feierte unterdessen seinen 13. Sieg in der Formel E - damit zieht er in der ewigen Bestenliste mit Sebastien Buemi auf dem ersten Platz gleich. Zuletzt hatte der Champion von 2017 beim letztjährigen Saisonfinale in Berlin - damals noch im Audi - ganz oben auf dem Podest gestanden. Den Pokal in London nahm di Grassi von FIA-Präsident Mohammed bin Sulayem höchstpersönlich in Empfang.

"Das ist die Revanche für gestern", jubelte Venturi-Geschäftsführerin Susie Wolff, die sich am Samstag massiv über di Grassis Strafe nach dem Qualifying (alle Rundenzeiten wegen Blockierens gestrichen) beschwert hatte.

Die Punkteränge: Hinter di Grassi, Dennis und de Vries folgten Vandoorne, Antonio Felix da Costa, Sebastien Buemi, Robin Frijns, Sam Bird, Sergio Sette Camara und Pascal Wehrlein auf den Plätzen vier bis zehn. Andre Lotterer ging als 13. leer aus.

Das große Finale der Formel-E-Saison 2022 steigt in zwei Wochen beim Debüt im südkoreanischen Seoul (13./14. August).

Formel-E-Wertung 2022 nach 14/16 Rennen (Top-4)

Pos.FahrerTeamPunkte
1Stoffel VandoorneMercedes185
2Mitch EvansJaguar149
3Edoardo MortaraVenturi144
4Jean-Eric VergneTecheetah128

Formel E in London: So lief das Rennen am Sonntag

Die Startaufstellung: Jake Dennis erzielte seine zweite Pole Position in London und verwehrte im Finale Lucas di Grassi seinen ersten Pole-Erfolg seit 2017. Überraschungs-Mann Antonio Giovinazzi und Antonio Felix da Costa belegten die zweite Startreihe, während die Titelfavoriten ordentlich strauchelten: Jean-Eric Vergne nur Neunter, Stoffel Vandoorne auf P13, direkt dahinter Mitch Evans und Edoardo Mortara abgeschlagen auf dem 17. Startplatz!

Der Start: Keine Positionsveränderungen auf den ersten neun Plätzen nach der Startrunde - das befürchtete Startchaos blieb aus. Brenzlig wurde es bei Oliver Rowland, der mit seinem Mahindra auf das Heck von Vordermann Jean-Eric Vergne auflief, aufstieg und in der Konsequenz vorzeitig ausfiel. Vergne konnte das Rennen auf P9 fortsetzen. Eng inklusive Kontakt wurde es auch zwischen Pascal Wehrlein und Stoffel Vandoorne in der Haarnadel.

So lief die erste Rennhälfte: Bei Vergne ging es aber nicht lange gut, der Franzose musste seinen beschädigten Techeetah in der zweiten Runde abstellen. Auch Dan Ticktum musste mit einem losen rechten Vorderrad am Auto vorzeitig Feierabend machen. Die Rennleitung rief das Safety Car zur 3. Runde auf die Strecke und zog das Feld wieder zusammen.

Zur 5. Runde gab die Rennleitung das Rennen mit einer Restzeit von 37 Minuten wieder frei. Zu Überholmanövern kam es nicht beim Re-Start, dafür holte sich Nyck de Vries als erster Fahrer auf P5 fahrend den Attack-Mode ab. Die FIA hatte kurz vor dem Rennstart bekanntgegeben, dass die Piloten den Attack-Mode im Rennen dreimal zu je vier Minuten nutzen müssen. Nach de Vries zündete auch Sebastien Buemi auf P6 den Zusatzboost. Antonio Felix da Costa griff den Drittplatzierten Antonio Giovinazzi in Runde 7 an, musste aber zurückstrecken - das nutzte de Vries für einen Platzgewinn auf P4.

Nick Cassidy und Maximilian Günther fielen plötzlich ans Ende des Feldes zurück, während in Runde 8 an der Spitze Lucas di Grassi, Felix da Costa und Giovinazzi den Attack-Mode aktivierten und Oliver Askew wegen einer Kollision eine Durchfahrtstrafe kassierte. Wenige Minuten später wurde auch Giovinazzi (Overpower) zur Strafe durch die Boxengasse geschickt.

Der Führende Jake Dennis holte sich In Runde 9 erstmals den Attack-Mode, während de Vries auf P4 als erster Fahrer seinen zweiten Zusatzboost aktivierte. Felix da Costa (P4) überfuhr in Runde 11 ebenfalls zum zweiten Mal die Aktivierungsschleifen in der Attack-Mode-Zone. Di Grassi zog in Runde 12 auf P2 liegend nach, während Dennis' Vorsprung 1,6 Sekunden betrug.

Der weitere Rennverlauf: In Runde 14 überholte Felix da Costa seinen Vordermann de Vries und übernahm die dritte Position. Die beiden Jaguar-Piloten Evans (P5 nach großer Aufholjagd) und Bird (P9) aktivierten in Runde 15 parallel ihren zweiten Attack-Mode. Gleiches Spiel bei Felix da Costa im folgenden Umlauf, allerdings schon sein dritter und damit letzter Attack-Mode. De Vries übernahm wieder den dritten Platz hinter Dennis und di Grassi.

In Runde 17 holte sich Dennis den zweiten Attack-Mode ab, wodurch di Grassi die Führung übernahm. Klammheimlich hatte sich Stoffel Vandoorne zu diesem Zeitpunkt bereits auf den sechsten Platz hinter Evans verbessert und nahm mit seinem zweiten Attack-Mode gleich die Verfolgung auf.

In Runde 20 gab di Grassi mit seiner dritten Attack-Mode-Aktivierung die Spitze wieder an Dennis zurück. Im gleichen Moment kassierte Evans seinen Vordermann Felix da Costa und übernahm P4. De Vries auf P3 zündete ebenfalls zum dritten Mal den Zusatzboost, um sich gegen den heranstürmenden Evans zu verteidigen und Anschluss zur Spitze zu halten.

Mortara verbremste sich in Runde 24 beim Angriff auf Birds Jaguar und musste durch die Auslaufzone. Das warf den Venturi-Piloten vom zehnten auf den zwölften Platz zurück. Im gleichen Atemzug schnappte sich Vandoorne den Fünftplatzierten Techeetah von Felix da Costa - den Belgier und Teamkollege de Vries auf P3 trennte damit nur noch Evans...

In Runde 27 wurde Dennis angewiesen, seinen dritten Attack-Mode zu aktivieren, wobei der Brite anmerkte, dass de Vries auf P3 sehr nahe sei. Der Mercedes-Pilot kam nicht ganz heran und so nahm Dennis die Verfolgung zum nun wieder führenden di Grassi auf. 7 Minuten plus 3 Minuten Verlängerung wegen des Safety Car waren zu diesem Zeitpunkt noch zu absolvieren.

Dann wurde es ruhiger im Feld - bis zur 34. Runde: Plötzlich blieb Mitch Evans mit einem technischen Problem die Strecke verlassen! Der Jaguar-Pilot fiel bis ans Ende des Feldes zurück und hievte das Auto nur noch an die Box. Davon profitierte Vandoorne, der kampflos den vierten Platz übernahm. Sein Rückstand auf Vordermann und Teamkollege de Vries betrug zu diesem Zeitpunkt rund sieben Sekunden.