Der Artikel wurde in der 80. Ausgabe des Printmagazins von Motorsport-Magazin.com am 02. September 2021 veröffentlicht.

Interviews mit Alejandro Agag, dem Gründer und Boss der Formel E, sind meist eine höchst unterhaltsame Angelegenheit. So auch diesmal, als wir den meinungsstarken Spanier in New York samt Skyline von Manhattan und Freiheitsstatue im Hintergrund zum Gespräch baten.

MSM: Kapstadt, Vancouver, Seoul und natürlich auch Berlin: Der Rennkalender für die kommende Saison 8 sieht spannend aus. Wie sicher bist du angesichts der Corona-Pandemie, dass sich alle Rennen durchführen lassen werden?

ALEJANDRO AGAG: Ich bin ziemlich überzeugt, wenn auch nicht zu 100 Prozent. Mit diesem Virus kann man das nie wissen. Es könnte eine neue Variante geben und bei uns liegt die Priorität darauf, dass alle sicher und gesund bleiben. Mit den Impfungen wird es ganz bestimmt besser, aber Covid ist auch nächstes Jahr nicht aus unserem Leben verschwunden.

Berlin ist als einzige Stadt seit dem Beginn der Formel E jedes Jahr im Kalender vertreten. 2016 fuhr die Serie einmalig mitten durch die Innenstadt über den Alexanderplatz. Wäre das künftig wieder eine Alternative zum stillgelegten Flughafen Tempelhof?

Ja, das könnte man schon in Betracht ziehen. Aber wir mögen die Location in Tempelhof, das ist ein richtiger Klassiker im Rennkalender geworden! Das Rennen damals in der Innenstadt hat mir auch sehr gut gefallen, aber dafür müssen alle involvierten Parteien zustimmen. Und es gab die eine oder andere kleine, grüne Gruppierung, die nicht so happy war. Wir wollen dort fahren, wo alle mit uns glücklich sind. Das ist in Tempelhof der Fall.

Offenbar auch in Monaco, wo die Formel E ab kommender Saison jährlich statt wie bisher im Zwei-Jahres-Rhythmus gastieren wird. Wie wichtig war es, diesen Meilenstein in Monte-Carlo zu erreichen?

Es war sehr wichtig, zu erreichen, dass wir jährlich und auch langfristig in Monaco fahren können. Ich denke, der Grund dafür war das Rennen in diesem Jahr erstmals auf der langen Streckenvariante. Ein fantastisches Rennen mit vielen Überholmanövern! Dieses Layout war perfekt für die Formel E und wir sollten mehr solcher Strecken haben.

Die Formel E gibt weiter Vollstrom, Foto: LAT Images
Die Formel E gibt weiter Vollstrom, Foto: LAT Images

Zuletzt zeigte sich sogar FIA-Präsident Jean Todt offen für die Idee, dass Formel E und Formel 1 auf ausgewählten Strecken gemeinsame Rennwochenenden abhalten könnten. Wie konkret ist das?

Gemeinsame Rennen auf den selben Rennstrecken würden meiner Meinung nach nur funktionieren, wenn wir Formel E und Formel 1 irgendwie zusammenführen. Im Moment ist das kein Thema. Ansonsten denke ich, dass es besser wäre, beide Rennserien voneinander getrennt zu halten.

Es klingt aber nach einer charmanten Idee, mit der Formel 1 etwa tagsüber auf dem Hungaroring zu fahren, während die Formel E abends ein Straßenrennen in Budapest austrägt. Hast du darüber schon einmal nachgedacht?

Wir würden gern durch die Straßen von Budapest fahren und führen dazu auch Gespräche. Aber nicht parallel zur Formel 1 - zumindest nicht aktuell.

Gibt es denn einen Plan, die Formel E und die Formel 1 in irgendeiner Weise verschmelzen zu lassen?

Nein, da gibt es keine Pläne. Also, es wäre mein Plan, aber mir hört ja keiner zu! [lacht] Aus meiner Sicht wäre das die beste Lösung. Es sieht aber derzeit nicht danach aus, als würde es in diese Richtung gehen. Weißt du, die Formel 1 befindet sich aktuell in einer sehr schwierigen Position, weil sie über den Antriebsstrang ab 2025 entscheiden muss. Schauen wir mal, was da in Zukunft passiert.

Die Formel 1 will offenbar an Hybrid-Motoren festhalten. Hältst du das für den richtigen Ansatz?

Das ist die komplett falsche Herangehensweise! Bei allem, was da vor sich geht, wird die Realität nicht akzeptiert. Das kannst du zwar für eine begrenzte Zeit machen, aber irgendwann holt dich die Realität ein. Ich denke, dass Verbrenner-Motoren als führende Technologie der Zukunft keine Rolle mehr spielen werden. Das ist Fakt! Man kann es ignorieren, solange man möchte, aber Fakten sind nun mal Fakten.

Red-Bull-Teamchef Christian Horner sagte im Zuge der Motoren-Diskussion, dass die Nachhaltigkeit ein Faktor sei, ebenso aber auch die Emotionen und der Sound. "Ansonsten sollten wir alle Formel E machen", meinte er. Wie reagierst du darauf?

Christian hat absolut Recht! Vielleicht wird die Formel 1 irgendwann in Zukunft elektrisch, wenn sie aber bei Verbrenner-Motoren bleiben, dann sollten die genauso laut sein wie in der Vergangenheit. Hybrid ist einfach keine Lösung, das ist nichts Halbes und nichts Ganzes. Deshalb stimme ich mit Christian überein. Wenn die F1 nicht elektrisch wird, dann sollten sie mit wirklich dicken Motoren und ordentlich Lärm fahren.

Verfolgst du mit der Formel E eigentlich ein ultimatives Ziel?

Mein Ziel war es immer, die Elektrifizierung voranzutreiben und elektrische Autos einzuführen. Und das erreichen wir langsam. Nicht nur wegen der Formel E natürlich, aber wir haben definitiv einen Beitrag dazu geleistet. Dieses Jahr erreichen die Zahlen der E-Autos in Europa knapp zehn Prozent, womit hier jedes zehnte Auto von einem Elektro-Motor angetrieben wird. Vor nur zwei Jahren war es nur ein Prozent, das Wachstum ist also unaufhaltbar. Zum Ende des Jahrzehnts rechnen wir mit 70 Prozent E-Autos in Europa und sehr hohen Raten in Amerika sowie China. Die Formel E muss Teil dieser Revolution sein, das ist mein ultimatives Ziel. Wir wollen sehen, dass jedes Straßenauto elektrisch ist. Und dann wird die Formel E die Rennserie sein, die in direkter Verbindung zu den Autos auf der Straße steht.

Techeeta holte den Fahrer-Titel von 2018 bis 2020, Foto: LAT Images
Techeeta holte den Fahrer-Titel von 2018 bis 2020, Foto: LAT Images

Audi und BMW werden das zumindest nicht in der Formel E miterleben. Die beiden deutschen Hersteller steigen zum Saisonende aus.

BMW und Audi haben eindeutig die falsche Entscheidung getroffen. Und eines Tages werden sie das auch erkennen. Da arbeiten Leute, die immer noch in der Vergangenheit leben. Das ist okay. Jeder kann seine Entscheidungen treffen. Ich bin dankbar für die Jahre, in denen Audi und BMW bei uns waren. Die haben tolle Teams und ich hätte mir gewünscht, dass sie weitermachen. Aber sie haben die falsche Entscheidung getroffen.

Wie kann die Formel E den Verlust von Audi und BMW kompensieren?

Wir müssen da gar nichts kompensieren, wir haben immer noch sehr viele Hersteller an Bord. Und zwar mehr als jede andere Rennserie auf der Welt. Was wir brauchen, ist eine Meisterschaft, in der unabhängige Teams siegen können. Das ist der Schlüssel für mich! Hersteller kommen und gehen. Das kennt man aus allen Rennserien und sie haben ihre ganz eigenen Wege der Entscheidungsfindung. Wir brauchen Teams, die mit oder ohne Hersteller überleben können.

Du hast also nicht die Sorge, dass der Hype der Formel E nach dem Hersteller-Boom der letzten Jahre vorbei ist?

Ich denke, dass der Hype größer und größer wird! Vertrau mir, ich habe ein paar Ideen. Warte nur mal ab...

Sagt dir der Name 'Markus Flasch' etwas?

Nein.

Das ist der Geschäftsführer der BMW M GmbH.

Ah, das ist der Mann, der mich angerufen und gesagt hat, dass sie aussteigen! Ich habe nur einmal mit ihm gesprochen. Ich hatte ein Gespräch mit ihm, er sagte: 'Wir verlassen die Formel E.' Ich sagte: 'Okay. Wann gebt ihr das bekannt?' Er sagte: 'In einer Stunde.' Das ist die Wahrheit!

Läuft das üblicherweise so ab?

So läuft das bei BMW. Bei anderen war es nicht so.

In unserer letzten Ausgabe sagte uns Flasch: "Meine persönliche Einschätzung dazu ist, dass die Formel E nicht die Motorsport-Community erreicht, die sie erreichen sollte, um die Kosten zu rechtfertigen." Wie reagierst du darauf?

Jeder hat seine Meinung. Ich habe meine, er hat seine.

Formel E 2021: Zehn verschiedene Sieger, Foto: LAT Images
Formel E 2021: Zehn verschiedene Sieger, Foto: LAT Images

Kommen wir von BMW zu Mercedes, deren Zukunft in der Formel E weiterhin unklar ist. Wie kann die Formel E den Vorstand überzeugen, unter dem künftigen Gen3-Reglement mit Beginn der Saison 9 weiterzumachen?

Das ist ihre Entscheidung und die werden wir in jedem Fall akzeptieren und respektieren. Wir würden sie liebend gern behalten und hoffentlich bleiben sie. Da geht es wohl um die Verteilung der Budgets auf Marketing-Seite. Es besteht auch eine große Chance, dass sie gehen. Vielleicht ist das ein kleiner Folge-Effekt nach den anderen beiden [Audi und BMW; d. Red.]. Schauen wir mal.

Wir waren etwas überrascht, dass sich McLaren der Extreme E - ebenfalls eine von dir gegründete Rennserie - anschließt, obwohl man sie in der Formel E erwartet hatte.

Vielleicht kommen sie auch in die Formel E. Ich weiß, dass das bei McLaren weiterhin ein Thema ist. Die benötigten Budgets in der Formel E übersteigen die der Extreme E. Deshalb ist es vielleicht einfacher, sich zu einer Serie wie der Extreme E zu bekennen.

Wie dringend muss die Formel E angesichts der steigenden Kosten eine Budget-Deckelung ähnlich der Formel 1 einführen?

Eine Budget-Obergrenze kommt auf jeden Fall ab der nächsten Saison und sie wird im Bereich von rund 15 Millionen Euro für private Teams liegen, inklusive der laufenden Einsatzkosten und dem Antriebsstrang. Hersteller erhalten eine Extra-Zuteilung für die Entwicklung von Antriebssträngen. Die exakten Zahlen stehen aber noch nicht final fest.

Abt Sportsline zählt zu den Pionieren der Formel E und führt seit 2017/18 den Werkseinsatz für Audi aus. Hättest du das Team aus Kempten nach dem Werksausstieg gern weiterhin in der Serie?

Wir würden sie liebend gern behalten! Sie sind seit den Anfängen unser Partner und waren immer sehr loyal. Wir blicken auf eine so lange Zusammenarbeit zurück und würden nur zu gern eine Lösung finden, um sie in der Formel E zu halten. Aktuell herrscht großes Interesse seitens Investoren-Gruppen daran, Teams in der Formel E zu übernehmen. Ich denke, das liegt an der steigenden Elektrifizierung. Hoffentlich finden wir eine gute Lösung, damit Abt weiterhin mit einem Team in der Formel E antreten kann. Ich bin da optimistisch.

Freiheitsstatue im Hintergrund beim Interview in Nex York, Foto: Motorsport-Magazin.com
Freiheitsstatue im Hintergrund beim Interview in Nex York, Foto: Motorsport-Magazin.com

Die Formel-E-Saison 2022 gilt als ein Übergangsjahr und die letzte Saison mit den aktuellen Autos, bevor ab 2023 die neuen Gen3-Fahrzeuge mit deutlich mehr Power kommen. Sollten auch nächstes Jahr 24 Autos in der Startaufstellung stehen?

In ein paar Saisons hatten wir 20 Autos, und das war vollkommen in Ordnung. Wenn wir mehr als 16 Autos in der Startaufstellung haben, reicht das meiner Meinung nach für gute Rennen. Weniger sollten es nicht sein. 20 ist vermutlich die ideale Anzahl, 24 waren schon ziemlich viel. Das ging noch, aber 26 oder 28 Autos wären wahrscheinlich zu viel. Über die Teams mache ich mir keine Sorgen, wir müssen nur das Level der Meisterschaft weiter hochhalten. Du hattest ja gefragt, ob der Hype vorbei sei. Irgendwann können halt keine neuen Hersteller mehr kommen, weil es einfach keine anderen mehr gibt. Dann muss man mit anderen Dingen einen Hype kreieren.

Ein paar Hersteller gibt es aber schon noch. Welchen würdest du dir speziell für die Formel E wünschen?

Es gibt ein paar. Ein Schlüssel wäre sicherlich, einen großen Hersteller aus Amerika zu bekommen. Das fehlte uns seit dem Anfang und wäre einfach großartig. Wir haben mit einigen gesprochen und mit General Motors und Hummer hat sich einer der Extreme E angeschlossen. Jetzt brauchen wir noch einen für die Formel E!

Mit Blick auf das sportliche Geschehen, standen zahlreiche Strafen dieses Jahr sehr im Fokus.

Oh ja, das stimmt...

Wie sieht die Lösung der Formel E für die Zukunft aus?

Mir ist sehr wichtig, dass wir zusammen mit der FIA als Team arbeiten. Natürlich gibt es mal Probleme oder auch Fehler, die wir intern besprechen. Wir müssen zusammenhalten und versuchen, Dinge zu verbessern. Ein paar Sachen liefen sehr unglücklich und damit war ich auch nicht zufrieden. Mit der FIA werden wir schauen, was wir anpassen können. Und noch etwas...

Ja, bitte?

Es könnte ein Thema sein, das Qualifying für die nächste Saison zu verändern. Da wird sich wohl etwas ändern. Aktuell ist es sehr unvorhersehbar. Das ist an sich gut, aber vielleicht müssen wir darüber nachdenken.

Weil in der Formel E mehr über Qualifying-Gruppen als über die Rennen gesprochen wird?

Exakt.

Ist die Zeit für den seit Jahren heiß diskutierten Fanboost abgelaufen?

Vielleicht, das müssen wir intern besprechen. Ich finde, der Fanboost hatte eine gute Reise. Vielleicht ist sie jetzt zu Ende. Vielleicht gibt es auch eine andere Version. Aber der Attack Mode funktioniert jetzt sehr gut und ist das große Thema, wenn es ums Überholen geht.

Mercedes feiert 2021 den Gewinn beider WM-Titel, steigt nach 2022 aber aus, Foto: LAT Images
Mercedes feiert 2021 den Gewinn beider WM-Titel, steigt nach 2022 aber aus, Foto: LAT Images

Sprechen müssen wir noch über den wohl größten Aufreger der Saison, das Valencia-Rennen, in dem vielen Autos 'die Energie ausging'. Der Vorfall machte weltweit Schlagzeilen. Hat das dem Ansehen der Formel E geschadet?

Nein, überhaupt nicht. Das ist ein Teil des Racing, und da passieren immer wieder unerwartete Dinge. Für Leute, die sich mit den Regeln auskennen, war es ganz einfach: Wenn du die Ziellinie mit 45 Minuten plus einer Sekunde überquerst, gibt es noch eine weitere Runde. Wenn es 44 Minuten und 59 Sekunden sind, werden noch zwei Runden gefahren. Es wäre unfair gewesen, zu diesem Zeitpunkt eine Regel zu ändern, denn dann hätte Mercedes [Nyck de Vries; d. Red.] nicht gewonnen. Und die hatten sich die Energie nun mal für zwei weitere Runden eingeteilt.

Mit dem teilweise ziemlich komplizierten Reglement der Formel E kennen sich aber nicht so viele Zuschauer im Detail aus.

Ja, das Problem war, wie es vor allem den Zuschauern erklärt wurde. Ich vergleiche dieses Rennen gern mit dem Reifen-Thema rund um das Formel-1-Rennen in Indianapolis 2005 [nur sechs Autos mit Bridgestone-Reifen gingen an den Start, alle Michelin-Teams verzichteten; d. Red.]. Hat das dem Ansehen der Formel 1 geschadet? Kann man drüber diskutieren, aber auf jeden Fall erinnern sich die Menschen bis heute an dieses Rennen.

2014 beim ersten Rennen der Formel E überschlug sich Nick Heidfeld kurz vor dem Zieleinlauf. Auch darüber berichteten Medien rund um den Globus. Braucht die Formel E heute noch solche Skandale für die Öffentlichkeit, oder ist dieser Punkt inzwischen überschritten?

Ein bisschen Skandal ist immer gut. Du brauchst diese Diskussionen und Kontroversen. Wenn immer alles glatt laufen würde, hätten die Leute nichts mehr, worüber sie sprechen können. Also ist das nicht unbedingt schlecht.

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