Völliger Formel-E-Wahnsinn in Valencia! Beim Samstagsrennen und dem ersten Gastspiel auf einer rein permanenten Rennstrecke spielten sich in den Schlussminuten geradezu dramatische Szenen ab. Nach insgesamt fünf Safety-Car-Phasen ging dem halben Starterfeld die Energie aus! So etwas hatte es in der siebenjährigen Geschichte der Formel E noch nie zuvor gegeben.
Mercedes hatte seine verfügbare Energiemenge offenbar am besten kalkuliert. Nyck de Vries gewann das völlig kuriose Rennen auf dem verregneten Circuit Ricardo Tormo nach einer weiteren Safety-Car-Phase kurz vor dem Rennende. Offenbar hatten viele Teams mit einer Runde zu wenig kalkuliert, nachdem das Feld nach dem letzten Safety Car knapp vor dem Ablauf der 45 Minuten Renndauer die Start/Ziel-Linie überquert hatte und zu einer letzten Runde startete.
De Vries: "Beim letzten Safety Car war etwas unklar, ob noch eine oder zwei Runden zu fahren sein würden. Wir hatten erwartet, dass Antonio deutlich langsamer fährt, sodass nur noch eine Runde mit einem hohen Energie-Ziel übrig bleibt. Es stellte sich aber heraus, dass er zu früh loslegte und es waren noch zwei Runden zu fahren. Mir wurde gesagt, dass ich mein Energie-Ziel einhalten soll. In der letzten Runde verschwand plötzlich jeder hinter mir."
Der Niederländer feierte seinen zweiten Sieg in der Formel E mit etwa einem verbleibenden Prozent an Energie. De Vries kämpfte sich in einem chaotischen Rennen mit zahlreichen Ausfällen vom siebten bis auf den zweiten Platz nach vorne und jagte Pole-Setter Antonio Felix da Costa. Der amtierende Champion von DS Techeetah führte das Rennen bis zur letzten Runde an, bis er plötzlich stark verlangsamte und wegen schwindender Energie weit zurückfiel.
Ein völlig perplexer Antonio Felix da Costa, der lange wie der sicherer Sieger ausgesehen hatte und vorläufig als Siebter gewertet wurde, am Sat.1-Mikro: "Eine Runde vor dem Ende bekam ich einen Funkruf, dass ich die Energie reduzieren soll. Da wusste ich schon, dass ich die Ziellinie nicht überqueren werde. Ich bin noch nie so langsam gewesen und dann trotzdem nicht ins Ziel gekommen. Ich bin sprachlos."
So erging es zahlreichen weiteren Fahrern und Teams, die sich offenbar verkalkuliert hatten. Nur zwölf der 24 angetretenen Autos wurden im Rennen gewertet. Nico Müller holte den zweiten Platz, nachdem der DTM-Vizemeister und Dragon-Pilot vom 22. Startplatz ins Rennen gegangen war! Für den Schweizer war es der erste Podesterfolg in seiner zweiten Saison in der Formel E.
Müller: "Das war eine sehr komische letzte Runde, so etwas habe ich noch nie zuvor erlebt. Aber es war positiv, weil ich da lieber in meinem eigenen Auto saß als in einem von denen, die versucht haben, ins Ziel zu schleichen. Das ist die Unvorhersehbarkeit der Formel E und das macht sie so spannend."
Vandoorne vom letzten Platz aufs Podium
Und als wenn das noch nicht verrückt genug gewesen wäre: Als Dritter fuhr Stoffel Vandoorne über die Ziellinie. Der Mercedes-Pilot war vom letzten Platz ins Rennen gestartet, nachdem er die Pole Position verloren hatte. Wegen eines falsch montierten Reifens wurden Vandoorne sämtliche Qualifying-Zeiten aberkannt. Im Rennen kam er nicht wesentlich voran, profitierte letztendlich aber von der perfekten Energie-Berechnung seines Mercedes-Teams.
"Wir hatten unsere Hausaufgaben gemacht und wussten, dass eine kleine Chance besteht, dass es passieren kann, dass wir für die letzten zwei Runden sehr geringe Energie-Targets haben würden", sagte Vandoorne. "Ich glaube, am Ende habe ich innerhalb einer Runde 15 Autos überholt. Auch, wenn es sich nicht so anfühlte, als ob wir wirklich überholt hätten. Wir hatten einfach mehr Energie. Das war wohl eines der größten Comebacks in der Formel E."
Das Energie-Chaos erklärt
Wegen der vier Safety-Car-Phasen wurde reglementbedingt die verfügbare Energiemenge bei allen Autos mehrfach reduziert. Am Ende wurden insgesamt 19 kWh abgezogen. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass so viele Teams so blöd gewesen sein sollen und die Energie falsch berechnet haben", zweifelte der ehemalige Formel-E-Fahrer und heutige Sat.1-Experte Daniel Abt den korrekten Ablauf der Vorgänge in einer ersten Reaktion an.
Der erfahrene Audi-Abt-Technikchef Florian Modlinger erklärte: "Wir hatten eine sehr späte Safety-Car-Phase. Die FIA kann entscheiden, ob dann pro Minute 1 kWh pro Minute reduziert wird oder nicht. Das hat stattgefunden. Das Ziel, wie viel Energie man pro Runde einsetzen kann, wird dadurch sehr gering. Die letzte Safety-Car-Runde dauerte zweieinhalb Minuten. Vielleicht haben das auch einige berechnet. Und die allerletzte Safety-Car-Phase, bevor das Safety Car reingekommen ist, war deutlich schneller. Das ganze Feld ist noch mal 30 Sekunden vor dem Rennende über Start/Ziel, deshalb waren es am Ende noch zwei statt einer Runde. Das war das größte Problem für die meisten."
Hinter Nick Cassidy (Virgin) eroberte Rene Rast den fünften Platz, nachdem der Audi-Pilot auch nach einem Ausflug ins Kiesbett über weite Runden im hinteren Feld verbracht hatte. "Ich hatte für die letzte Runde noch 1 Kilowattstunde übrig", sagte Rast. "Ich wusste nicht, wie weit ich damit komme. Normalerweise braucht man für eine Runde mehr als das Doppelte."
Die vorläufigen Top-10 eines Rennens, das noch für viele Diskussionen innerhalb der Formel E und sicherlich in der Welt des Motorsports sorgen wird: 1. Nyck de Vries, 2. Nico Müller, 3. Stoffel Vandoorne, 4. Nick Cassidy, 5. Rene Rast, 6. Robin Frijns, 7. Antonio Felix da Costa, 8. Alex Lynn, 9. Sam Bird, 10. Lucas di Grassi
Weitere Informationen zu einem der kuriosesten Rennen der Formel-E-Geschichte in Kürze an dieser Stelle
Schwarzer Tag für deutsches Formel-E-Trio
Die weiteren deutschen Fahrer erlebten einen Tag zum Vergessen. Andre Lotterer (Porsche) schoss in der Anfangsphase Sebastien Buemi von der Strecke und fiel vom fünften auf den neunten Platz zurück. Für den Unfall kassierte der dreifache Le-Mans-Sieger eine Durchfahrtstrafe, womit sein Rennen effektiv gelaufen war. Lotterer ging auf P18 zum fünften Mal in Folge leer aus und muss weiter auf seine ersten Punkte in der Saison 2021 warten.
Der gebürtige Duisburger sorgte wenige Minuten vor dem Rennende für die vierte Safety-Car-Phase des zerfahrenen Rennens. Im gleichen Atemzug musste Teamkollege Pascal Wehrlein (von P9 gestartet) seinen Porsche wegen eines Problems mit der Bremsanlage an der Box abstellen.
Maximilian Günther hatte das Rennen vom zweiten Startplatz aufgenommen, konnte die Pace seiner Verfolger jedoch nicht halten. Im ersten Renndrittel wurde der BMW-Pilot bis auf den sechsten Platz durchgereicht und fiel in der elften Runde nach einem Ausrutscher ins Kiesbett vorzeitig aus. Günther: "Ich habe angebremst für Turn 2, dann hat die Hinterachse komplett blockiert. Ich hatte keine Chance, das Auto abzufangen."
Valencia ePrix 2021: So lief das Rennen am Samstag
Die Startaufstellung: Drama nach dem Ende des Qualifyings am Samstagmittag: Stoffel Vandoorne verlor die Pole Position wegen falsch montierter Reifen. Dem Mercedes-Piloten wurden alle Rundenzeiten gestrichen, sodass er das Rennen vom letzten Platz aufnehmen musste. Ein Profiteur war der amtierende Meister Antonio Felix da Costa, der automatisch auf P1 vorrückte. Maximilian Günther komplettierte die erste Startreihe. Dahinter folgten Alex Lynn, Sebastien Buemi und Porsche-Pilot Andre Lotterer. Dessen Teamkollege Pascal Wehrlein startete vom neunten Platz, während die Audi von Rene Rast und Lucas di Grassi nicht über P14 respektive P21 hinauskamen.
Das Wetter: Kurz vor dem Beginn des Rennens um 15:00 Uhr begann es über dem Circuit Ricardo Tormo in der spanischen Gemeinde Cheste (25 km entfernt von Valencia) zu regnen. Die beiden Trainings am sehr frühen Samstagmorgen sowie das anschließende Qualifying gingen bei trockenen Bedingungen über die Bühne. Zum Rennstart herrschten 15 Grad Strecken- und 14 Grad Asphalttemperatur.
Der Start: Das Rennen begann hinter dem Safety Car. Laut Reglement wird immer auf diese Weise gestartet, wenn es zuvor keine Session bei nassen Bedingungen gab. Nach einer Runde gab die Rennleistung grünes Licht. Antonio Felix da Costa fuhr früh einen Vorsprung von zwei Sekunden heraus, während sich Hintermann Max Günther gegen den vorpreschenden Alex Lynn verteidigen musste. Andre Lotterer schickte zum Ende der zweiten Runde Sebastien Buemi von der Strecke und fiel vom fünften auf den neunten Platz zurück. Für sein Unfallopfer war das Rennen vorzeitig beendet.
Der Vorfall löste eine Full-Course-Yellow-Phase und wenig später eine Safety-Car-Phase aus, weil sich Buemi im Kiesbett eingegraben hatte. Gewinner der turbulenten Startphase war Nyck de Vries, der sich mit seinem Mercedes innerhalb einer Runde vom siebten auf den vierten Platz verbesserte. Pascal Wehrlein belegte vor der SC-Phase den achten Platz, Rene Rast war Elfter.
Der Re-Start, in dessen Folge allen Autos reglementbedingt 6 kWh Leistung abgezogen wurden, ging glimpflich über die Bühne. De Vries setzte seine Aufholjagd eindrucksvoll fort und überholte Lynn sowie Günther für den zweiten Platz. Wehrlein ließ Norman Nato hinter sich und übernahm die sechste Position.
Der Fanboost: Nichts Neues in Valencia: Stoffel Vandoorne erhielt auch in seinem 29. Formel-E-Rennen in Folge den Fanboost. Bunt ging es dafür dahinter zu beim Fan-Voting: Antonio Felix da Costa, Nick Cassidy, Lucas di Grassi und Sam Bird erhielten bei der Abstimmung hinter dem Mercedes-Piloten die meisten Stimmen.
Die Zwischenfälle: Zum Rennstart kommunizierte die Rennleitung eine 10-Sekunden-Boxenstopp-Strafe für Lucas di Grassi, nachdem Audi das Getriebe seines Audi gewechselt hatte. Dragon-Pilot Nico Müller kassierte eine Durchfahrtstrafe wegen eines nicht näher im Detail erklärten technischen Vergehens.
In Runde 7 kam es zum alten DTM-Duell: Rene Rast (Audi) und Nico Müller (Dragon) kamen sich beim Kampf um den elften Platz ins Gehege und mussten beide den Weg durchs Kiesbett nehmen. Die beiden Audi-Werksfahrer fielen auf die letzten Plätze zurück.
Stoffel Vandoorne verlor zum Ende der 14. Runde die Kontrolle über seinen Mercedes und rasselte ins Kiesbett. Bei der Rückkehr auf die Strecke kam es zu einer Berührung mit Nico Müller, der den Ausweg ins Kiesbett nehmen musste. Die vierte Safety-Car-Phase des Rennens löste Andre Lotterer nach einem Abflug ins Kiesbett aus.
Die Ausfälle: Für Sebastien Buemi war schon nach der ersten Runde Feierabend. Der Nissan-Pilot bekam auf regennasser Piste einen Schlag von Andre Lotterer und rutschte ins Kiesbett. Weil Buemi aus eigener Kraft nicht auf die Strecke zurückkehren konnte, rief die Rennleitung eine Safety-Car-Phase aus, um das Auto bergen zu können. Lotterer fiel in diesem Zuge vom fünften auf den neunten Platz zurück und erhielt später eine Durchfahrtstrafe.
In Runde 10 rückte das Safety Car zum zweiten Mal aus. Maximilian Günther hatte auf Platz sechs liegend die Kontrolle über seinen BMW verloren und sich im Kiesbett eingegraben.
Die Rennleitung musste das Safety Car in Runde 15 ein drittes Mal auf die Strecke schicken. In der Schikane am Anfang der Start/Ziel-Geraden kollidierten Sergio Sette Camara (Dragon) und Jaguar-Pilot sowie Titelanwärter Mitch Evans. Beide Fahrer konnten das Rennen nicht fortsetzen. Nachdem Andre Lotterer in Runde 20 mit seinem Abflug die vierte Safety-Car-Phase verursacht hatte, musste im gleichen Zuge Teamkollege Pascal Wehrlein seinen Porsche an der Box abstellen.
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