"Das Rennen in der Art und Weise zu gewinnen, hätte ich mir nur schwer erträumen können. Fast schon ein bisschen irreal." Daniel Abt war selbst etwas überrascht, mit was für einer dominanten Vorstellung er bei seinem Heimrennen in Berlin aufgetreten war. Der Audi-Werkspilot räumte beim drittletzten Rennwochenende der Formel E in der laufenden Saison tatsächlich auf ganzer Linie ab - und schaffte dabei Historisches.

Abt war der erste Fahrer in der Geschichte der Serie, dem der aus anderen Serien bekannte Grand Slam gelang. Also: Pole Position, Sieg, schnellste Rennrunde und jede einzelne Runde angeführt. Das lohnt sich besonders in der Formel E, wo es für die Pole 3 und für die schnellste Runde 1 Extra-Punkt gibt.

Somit holte der Kemptener die maximale Punkteausbeute von 29 Punkten. Das war zuvor nur Sebastien Buemi gelungen, als der Renault-Pilot beim Saisonauftakt 2015 in Peking das Rennen von der Pole gewann und auf dem Weg dorthin die schnellste Runde einheimste.

Abt: Den Vergne gemacht

"Nachdem Jean-Eric Vergne zuletzt sein Heimrennen in Paris gewonnen hatte, habe ich ihm gesagt, dass ich das auch mal erleben möchte", sagte Abt nach dem Heimsieg. Der Meisterschaftsführende erwiderte: "Glückwunsch an Daniel, ich kenne ja schon das Gefühl, wenn du dein Heimrennen gewinnst. Ich ändere jetzt einfach bei jedem Rennen meine Nationalität, weil immer der Lokalmatador zu gewinnen scheint."

Für Abt hätte das Heimspiel auf dem stillgelegten Flughafen Tempelhof nicht besser laufen können. Dass Audi mit Lucas di Grassi auch noch einen Doppelsieg schaffte - den ersten in der Geschichte des Teams - machte den Erfolg umso bedeutsamer. Wann hatte Abt eigentlich das letzte Mal ein Rennen in Deutschland gewonnen? "Muss eine Weile her sein", wusste er es auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com selbst nicht so genau.

Interview: Daniel Abt über Berlin & Emily Ratajkowski: (06:01 Min.)

Erster Deutschland-Sieg nach 2.786 Tagen

Man muss in den Geschichtsbüchern schon eine Weile zurückblättern, um Abts letzten Sieg auf deutschem Boden zu finden. Ziemlich genau 2.786 Tage. Damals, 2010, gewann der heute 25-Jährige das vorletzte Saisonrennen der Deutschen Formel 3 in Oschersleben. Die Saison beendete er übrigens als Vize-Meister hinter Tom Dillmann, der in Berlin bei Venturi Stammfahrer Edo Mortara ersetzte.

Ein gewisser Felix Rosenqvist fuhr 2010 auch in der Deutschen Formel 3 - jetzt ist der Schwede Abts Ziel in der Formel E. Rosenqvist belegt trotz der Pleite-Serie zuletzt noch immer den dritten Platz in der Gesamtwertung mit 86 Punkten. Abt ist inzwischen auf Platz vier vorgerückt und hat nur einen Zähler Rückstand auf den Mahindra-Piloten.

Daniel Abt 2010 in Oschersleben bei seinem letzten Sieg auf deutschem Boden, Foto: ATS Formel 3 Cup
Daniel Abt 2010 in Oschersleben bei seinem letzten Sieg auf deutschem Boden, Foto: ATS Formel 3 Cup

Was wäre, wenn...

Abt fährt seine erfolgreichste Saison in der Formel E, steht in der Meisterschaft selbst vor seinem Teamkollegen und amtierenden Champion di Grassi. Der Brasilianer hat sich nach katastrophalen technischen Problemen in der ersten Saisonhälfte zurückgekämpft, holte in den letzten vier Rennen jeweils den zweiten Platz.

Dabei könnte es ganz anders aussehen, hätte Abt nicht in Hongkong unverschuldet den Sieg verloren und in Punta del Este auf Podestkurs das Rennen nicht wegen eines defekten Gurtsystems aufgeben müssen. Mindestens 40 Punkte hätte er mehr auf dem Konto. Das wäre Platz zwei in der Wertung, etwa gleichauf mit Virgin-Pilot Sam Bird.

Aus di Grassis Schatten getreten

Abt zu Motorsport-Magazin.com: "Natürlich kann man sich aufregen. Aber ich muss da nicht meine Gedanken dran verschwenden. Ich weiß, was ich geleistet habe und dass ich dort stehen könnte. Und wer aufgepasst hat, weiß das auch. Alles andere kann ich nicht kontrollieren. Ich muss weiter nach vorne schauen und so viele Punkte wie möglich holen."

Abts Chancen auf eine Weiterbeschäftigung beim Audi-Werksteam steigen mit jedem weiteren Erfolg. Der 25-Jährige ist im vierten Jahr in der Formel E endlich aus di Grassis langem Schatten hervorgetreten. Mit bislang zwei Siegen, einer Pole und zwei schnellsten Rennrunden dürfte es Abt den Audi-Bossen jetzt zumindest schwierig machen, über seine Position nachzudenken.