Das Formel-E-Rennen in Chile bot bis zuletzt beste Unterhaltung und war an Drama nicht zu knapp bemessen. Verantwortlich war in erster Linie Andre Lotterer, der in der Schlussphase voll auf Sieg fuhr, statt den historischen Doppelsieg von Techeetah - der erste eines Teams in der Geschichte der Formel E - zu verwalten. Der erste Podestplatz reichte Rookie Lotterer nicht, lieber griff er Vordermann Jean-Eric Vergne bis zuletzt beherzt an.
Und das so sehr, dass die beiden Teamkollegen vier Runden vor Schluss tatsächlich kollidierten. In Kurve 3 erwischte Lotterer den Franzosen am Heck, im letzten Moment erwischten sie noch die Kurve und konnte die Doppelführung halten. Es hätte auch ein großes Debakel für das einzige Kundenteam in der Formel E werden können.
Lotterer: Eine heiße Situation
"Das war eine heiße Situation", erinnerte sich Lotterer an die Szene. "Ich hatte das Gefühl, dass ich an der Stelle viel mehr Speed hatte als er. Er musste dort ein bisschen mehr Energie sparen und ich dachte: Okay, jetzt muss ich vorbei, weil ich so viel schneller war. Ich habe also meinen Move gemacht und auf einmal: Bäm! Er war vor mir, ich konnte nix mehr machen und bin voll in die Eisen. Meine Vorderräder waren in der Luft, weil ich in seinem Getriebe hing."
Eine ganz heikle Situation, auch, weil hinter dem Techeetah-Duo gleich drei Verfolger lauerten. Auf der Bremse rutschten Vergne und Lotterer durch die Kurve und konnten ihre Autos gerade rechtzeitig wieder unter Kontrolle bringen. Lotterer cool: "Das war heiß! Er ist ein Top-Teamkollege, aber auf der Strecke gibt es keine Geschenke."
Vergne mit falscher Anzeige unterwegs
Total verrückt: Lotterer hatte in seinem Auto tatsächlich mehr Pace als Vergne, obwohl beide zum gleichen Zeitpunkt ihren Boxenstopp absolviert hatten. Aber: In Vergnes zweitem Auto gab es laut eigener Aussage ein Problem mit der Rundenanzeige. Der frühere Formel-1-Fahrer dachte deshalb, dass das Rennen eine Runde länger dauern würde. Entsprechend sparte er etwas mehr Energie als Lotterer.
Nach dem missglückten Überholversuch besannen sich Vergne und Lotterer darauf, den Doppelsieg sicher über die Ziellinie zu fahren. Bei der leichten Kollision hatten schließlich beide Autos leichte Schäden davongetragen. "Wir haben entschieden, die Positionen zu halten", erklärte Lotterer. "Jev (Jean-Eric Vergne;d.Red.) hat gute Punkte in der Meisterschaft und ist jetzt Erster. Das ist sehr gut fürs Team."
Herzinfarkte am Techeetah-Kommandostand
Der Techeetah-Kommandostand bekam die ganze Hektik übrigens gar nicht richtig mit. Das Team hatte Probleme mit dem Funksystem und teilweise auch keine Live-Bilder zur Verfügung. So konnten sie Vergne nicht einmal mitteilen, dass er seine Energie fälschlich sparte. "Wahrscheinlich hatten ein paar einen Herzinfarkt", sagte Lotterer. "Aber ich glaube, die konnten den Move sowieso nicht sehen."
Dafür konnte ihn Vordermann Vergne umso mehr spüren. Böses Blut gab es zwischen den beiden nach Rennende aber nicht. Die Freude über den Doppelsieg überwog. Vergne: "Es war faires Racing. Wir sind kollidiert, aber wir konnten nicht wirklich etwas machen. Ich bin auf die Innenseite gezogen und er fuhr woanders. Deshalb sind wir einfach kollidiert. Ich glaube, dass da insgesamt acht Räder blockiert haben. Da hatte ich wirklich großes Glück."
Lotterer: Mehr Kontakt in Formel E möglich
Lotterer hat es unterdessen in seinem erst vierten Rennen in der Formel E auf das Podest geschafft. Nach seinen bisherigen ernüchternden Ergebnissen kam dieser Erfolg ziemlich unerwartet. Zuvor hatte sich der dreifache Le-Mans-Sieger in Hongkong und Marrakesch schwer getan. "Ich muss noch ein bisschen lernen, wie es in der Formel E abgeht", sagte er demütig. "Man kann da ruhig mit ein bisschen mehr Kontakt rangehen und sich anlehnen. Das muss ich noch lernen und noch mehr Vertrauen finden."
Lotterer über den verpassten Sieg, der unter diesen Umständen durchaus realistisch gewesen wäre: "Ich habe ein bisschen gemischte Gefühle. Ich bin mehr happy als enttäuscht. Aber natürlich ist man Perfektionist und schaut das mit kritischem Auge an. Mit ein bisschen mehr Erfahrung und dem Speed hätte ich das Rennen gewinnen können. Aber das waren schon mal gute Punkte."
Geldstrafe für Techeetah nach Rennende
Nach Rennende mussten Vergne und Lotterer fünf Stunden um den Sieg bangen. Das Duo stand unter Beobachtung der Rennleitung. Dem Team wurde vorgeworfen, die neuen Gurtsysteme, die in Santiago erstmals zum Einsatz kamen, manipuliert zu haben. Letztendlich kam Techeetah mit 30.000 Euro Geldstrafe glimpflich davon.
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