Kimi Räikkönen deutet mit erhobenem Zeigefinger auf Lewis Hamilton, klopft ihm auf den Rücken und zeigt noch mal: schau hin, dort ist die Ampel. Um 19:30 Uhr hat der Iceman für einige Sekunden Urlaub. Der Finne taut auf. Die 20. Runde des Großen Preises von Kanada ist erst wenige Meter jung, als Hamiltons McLaren in das Heck von Räikkönens Ferrari kracht.

"Die Ampel wurde gerade rot, als ich neben Kubica stand", schildert Räikkönen die Situation an der Boxenausfahrt. "Jeder kann Fehler machen, so wie ich vor zwei Wochen in Monaco, aber es ist eine Sache, einen Fehler bei 200 km/h zu machen und eine andere, ein Auto bei einer roten Ampel abzuschießen", beschwert er sich. "Ich kann es gar nicht verstehen, warum man einem anderen Auto hinten drauf fährt, wenn die Ampel rot ist und dann noch der Speedlimiter an ist. Das ist ganz schön dumm."

Mit dieser Meinung steht der Ferrari-Pilot nicht alleine da. "Das war Blödheit", sagt Christian Danner. "Erstens, weil Hamilton nicht schaut, und zweitens, weil die Box ihm nicht sagt, dass die Ampel rot ist." Da dies schon öfter passiert ist, auch in Kanada, ist es Danner schleierhaft, wieso die Teams daran nichts ändern. "Die Box kann ihm bei der Sache nicht helfen, denn am Kommandostand sehen sie die Ampel eh nicht", verteidigt Hans Joachim Stuck das Team. Andererseits werden in der Boxengasse Reifenspione und Fotografen ausgesandt, an der Strecke Beobachter verteilt und manchmal sogar Hubschrauber als mobile Wetterstation eingesetzt. Da sollte doch auch noch jemand drin sein, der die Boxenampel bei Safety Car-Phasen im Auge behält...

Der Iceman taute auf und zeigte Hamilton die Ampel., Foto: Sutton
Der Iceman taute auf und zeigte Hamilton die Ampel., Foto: Sutton

Auch den Fahrer nimmt Stuck in Schutz. "Man muss die Umstände bedenken: der Fahrer muss bei der Boxenausfahrt Schalter betätigen, sich auf das Lenkrad konzentrieren, dass er eine rote Ampel übersieht, ist eben dumm gelaufen", meint er. "Es kam ja noch dazu, dass die Beiden vor ihm stehen geblieben sind - damit konnte er nicht rechnen. Es ist dumm gelaufen für ihn. Er hat Leergeld bezahlt, aber der Fehler passiert ihm sicher nicht mehr."

Ron Dennis sieht den Unfall ebenso als unglückliche Situation an. "Die Kollision, durch die Lewis ausfiel, war unvermeidlich", sagt er. "Kein Fahrer will absichtlich aus einem Grand Prix ausscheiden, es war einfach so, dass Lewis zu spät merkte, dass die beiden Autos vor ihm anhielten." Für einen Rennfahrer sei es in solchen Situationen schwierig zu entscheiden, ob er auf die Ampel oder die Autos vor sich achten solle, meint Dennis. Dabei erhält er Unterstützung von Nico Rosberg, der seinerseits leicht ins Heck von Hamilton rutschte.

"Ich habe es einfach zu spät gesehen und das war es", gesteht Rosberg. "Du schaust da nur vor dich und da ist ein Auto. Da bist du gleich hinten drauf." Zudem sei es für Rosberg neu, in der Boxengasse auf die Ampel zu achten, da er dies in zwölf Jahren Rennsport nie machen musste. "Wenn das nicht Routine ist, dann muss man sich anstrengen, dass man das rein bekommt."

Bei Hamilton kam noch der Frustfaktor dazu: sein Boxenstopp lief nicht optimal, nur deshalb kamen Räikkönen und Kubica überhaupt vor dem Briten an den Boxenausgang, denn der hatte vorher mit einem ausreichenden Polster geführt. "Als ich losfuhr, kämpften vor mir in der Boxengasse zwei Autos um die Positionen", beschreibt Hamilton die Situation. "Ich achtete darauf, nicht in dieses Gerangel verwickelt zu werden, doch dann hielten beide plötzlich an und ich konnte nicht mehr ausweichen."

Damit war das Rennen für zwei Sieganwärter gelaufen; sie eliminierten sich gegenseitig und ließen so einen Dritten vom Unfallstatisten zum gefeierten Sieger aufsteigen. "Kimi hielt neben mir, und dann hörte ich es krachen, als Lewis Hamilton in sein Heck fuhr", erinnert sich Robert Kubica. "Ich sollte ihm dankbar sein, dass er sich Kimi ausgesucht hat und nicht mich."

Das Aus für den bisherigen WM-Leader., Foto: Sutton
Das Aus für den bisherigen WM-Leader., Foto: Sutton

Mario Theissen predigt es bereits seit Saisonbeginn: man müsse den eigenen Teil der Arbeit erledigen und dann zur Stelle sein, wenn sich eine Chance ergeben sollte. Das hat in Montreal zum ersten Mal funktioniert. "Es war sicher nicht schlecht für uns, dass nach dem ersten Stopp einige Fahrer zur Seite gefahren sind, die wir vorne erwartet haben", sagt Theissen mit einem Lächeln. "Aber so ist es nun mal. Es geht nicht nur darum, dass schnellste Auto zu haben, man muss auch das Potenzial des Autos und des Teams in Resultate umsetzen." So gesteht Theissen, dass mit Sicherheit auch etwas Glück im Spiel gewesen sei, aber es komme eben auch auf die Konstanz, die Zuverlässigkeit und die Fehlerfreiheit an.

"Das ist unfassbar", freut sich Danner mit BMW Sauber. "Sie schlagen immer dann zu, wenn die anderen Fehler machen." Für die WM sei das perfekt, und auch Stuck kann sich gar nichts Besseres als einen Dreikampf vorstellen. "Während andere Fehler gemacht haben, hat BMW die Chance genutzt. Der Sieg war dieses Jahr fällig." Gerhard Berger rechnet sogar damit, dass noch viele Siege folgen werden. Dabei hatte Theissen in Kanada nur auf einen Podestplatz gehofft. "Dass wir einen Doppelsieg einfahren würden, daran haben wir im Traum nicht gedacht." Wie bei den ersten Punkten und dem ersten Podiumsbesuch übererfüllte das Team auch beim nächsten Meilenstein. "Wir hatten uns für dieses Jahr einen Sieg zum Ziel gesetzt, den ersten Doppelsieg hatten wir gar nicht im Plan."

Zwar sei man das kleinste der drei Top-Teams, doch darin sieht Theissen keinen Grund, warum es nicht so weitergehen sollte. "Wir werden Gas geben wie bisher und von Rennen zu Rennen schauen." An die Weltmeisterschaft und den Punktestand werde man keinen Gedanken verschwenden. "Wir wollen das Auto schneller machen und unsere Arbeitsweise und Zuverlässigkeit beibehalten." Genau daran hakte es bei Ferrari und McLaren - zum wiederholten Mal in dieser Saison.

So konstatierte Martin Whitmarsh: "Wir hatten eine starke Pace. Das ist das Positive an diesem Wochenende." Nur müsse man daran arbeiten, diese Pace konstant in Punkte umzusetzen. In Kanada gab es keinen einzigen für McLaren, die jetzt hinter Ferrari und BMW Sauber auf Rang 3 der Konstrukteurswertung liegen. "Wir müssen sicherstellen, dass wir unser Auto schneller machen, konstant punkten, keine Fehler begehen und nicht in Zwischenfälle verwickelt werden." Auch sein Ferrari-Konterpart Stefano Domenicali betont, dass man mehr Punkte holen müsse. "Wir müssen weiterarbeiten und dürfen keine Fehler machen."

Die 5 Fragezeichen

Notreparatur am Samstagabend., Foto: Sutton
Notreparatur am Samstagabend., Foto: Sutton

Wie hielt der Asphalt während des Rennens?
Es war die große Sorge des Samstags: würde der brüchige Asphalt das Rennen überstehen und ein solches überhaupt zulassen? "Ja, das hat er, aber es war immer noch furchtbar", kritisiert Christian Danner. Die Strecke war aufgrund der Marbles extrem rutschig, ein paar Zentimeter neben der Ideallinie und schon rutschten die Fahrer wie auf Eis. "Wenigstens ist es nicht komplett aufgebrochen", sagt Danner. "Die Bastelarbeiten haben erstaunlicherweise etwas gebracht." Übernacht wurde die aufgebrochene Strecke mit einem neuen Material auf Harzbasis geflickt. "Sie haben offensichtlich einen guten Zahndoktor gefunden", nahm es Hans Joachim Stuck mit Humor. Stefano Domenicali war hingegen auch nach dem Rennen nicht zu Scherzen aufgelegt: "Bei solchen Bedingungen können wir nicht fahren. Es ist hier nicht das erste Mal so gewesen, da muss etwas getan werden."

Wie nahmen Rosberg und Hamilton die Strafe auf?
Zehn Startplätze verlieren Lewis Hamilton und Nico Rosberg beim nächsten Rennen in Magny Cours. "Ich denke, das Rennen kann man schon vorher mehr oder weniger vergessen", klagt der Deutsche. "Wenn ich da als 17. oder 18. starte, wird das mehr als schwer." Auch Martin Whitmarsh war ob der Strafe enttäuscht. "Aber die Stewards haben so entschieden." Man müsse jetzt das Beste daraus machen. "In Monaco haben sie Kimis Unfall als Rennunfall angesehen, aus irgendeinem Grund haben sie hier anders entschieden." Stefano Domenicali hat hingegen mit einer solchen Strafe gerechnet. "Ich habe so etwas erwartet. Aus dem Rennen konnte man ihn nicht ausschließen, weil er nicht ins Ziel kam."

Warum konnte Heidfeld im zweiten Stint nicht mit Kubica mithalten?
Auf seinem langen ersten Stint konnte Heidfeld, trotz der großen Spritmenge, die schnellsten Zeiten des Feldes mitgehen - hinter dem Führenden Hamilton. In Runde 29 kam er zum ersten und einzigen Boxenstopp. "Wir haben die Strategie bei Nick auf einen Stopp umgestellt", verrät Mario Theissen. "Er ist über 40 Runden mit den weichen Reifen gefahren, wovon wir gar nicht wussten, ob das überhaupt funktionieren würde." Doch Heidfeld habe sich dabei sehr gut geschlagen. Während er bei den letzten Rennen immer damit zu kämpfen hatte, dass er die Reifen nicht schnell genug auf Temperatur brachte, schlug er diesmal einen Vorteil aus seinem sanften, Reifen schonenden Fahrstil. "Nick hat die Reifen gut gemanagt, Alonso hinter sich gehalten - besser geht es nicht", bilanziert Willy Rampf. Mit Kubica konnte er im zweiten Stint nicht mithalten, weil er zu Beginn des Stints viel schwerer war als der Pole und gegen Ende seine weichen Reifen nicht mehr die beste Performance aufwiesen.

Doppelsieg für BMW Sauber., Foto: Sutton
Doppelsieg für BMW Sauber., Foto: Sutton

Warum würde Glock gerne öfter in Montreal fahren?
Timo Glock und Montreal: das passt zusammen. Hier fuhr er sein erstes F1-Rennen für Jordan, hier holte er in seinem ersten F1-Rennen seine ersten beiden WM-Punkte, hier fuhr er bei den ChampCars aufs Podest und hier holte er mit Platz 4 die ersten Punkte für Toyota. "Montreal ist meine Stadt", scherzt er. "Ich glaube, ich besorge mir jetzt hier irgendwann eine Wohnung. Den Fehler, den ich in Monaco gemacht habe, habe ich heute wieder ausgebügelt, glaube ich."

Warum ist Trulli nicht sauer auf Glock?
Einen Fehler machte Glock trotzdem. Die Folge war ein Beinaheauffahrunfall seines Teamkollegen Jarno Trulli, der dadurch von Felipe Massa überholt wurde. "Es sah nach Platz fünf aus, aber leider hat Timo einen Fehler gemacht", klagt Trulli. "Dadurch musste ich lupfen, damit es keine Kollision gab." Der Italiener stuft den Zwischenfall aber als unglückliche Situation ein. "Wir haben gekämpft und er hat seine Position verteidigt. Ich hätte wahrscheinlich das Gleiche gemacht. Man will seinen Platz verteidigen. Es war zwar hart, aber das ist Racing."