Jeder Technikchef würde bei Red Bull unter Druck stehen. Natürlich ist das Team kein Werksteam eines Automobilherstellers, kein Traditionsrennstall mit Jahrzehnten voller Erfolge, dennoch hat RBR ein gutes Budget, ein klares F1-Bekenntnis des Besitzers und ambitionierte Ziele. Zudem ist dieser Besitzer im Hintergrund auch ein Hersteller, nur eben nicht fahrender, sondern fliegender Produkte - jedenfalls in der Werbung und die ist bei Red Bull bekanntlich das Maß aller Dinge, auch im F1-Engagement.

Mit Adrian Newey besitzt Red Bull Racing oder besser gesagt Red Bull Technologies, so viel Einfallsreichtum beim Auslegen der Regeln muss erlaubt sein, nicht irgendeinen Technikchef. Newey hat Autos entworfen, die über 100 Grand Prix-Siege davontrugen (das sind mehr als Michael Schumacher in seiner scheinbar unendlichen langen Erfolgsliste stehen hat). Newey hat Autos gebaut, die Fahrer- und Konstrukteurstitel angehäuft haben. Und all das in Zeiten, als Red Bull noch Stewart GP hieß und noch weit bevor dieses gegründet wurde.

Geoff Willis hat dem RB4 mehr Zuverlässigkeit eingeflößt., Foto: Sutton
Geoff Willis hat dem RB4 mehr Zuverlässigkeit eingeflößt., Foto: Sutton

Wer solch eine Erfolgshistorie vorweisen kann, steht klar unter Druck. Erst recht, wenn sein Auto im ersten vollen Jahr seiner Tätigkeit (2006 kam er zu spät, um von Beginn an Einfluss auf den RB2 zu nehmen) die hohen Erwartungen an einen Stardesigner nicht erfüllte. Der RB3 war weder schnell noch standfest genug. 2008 muss Newey beweisen, was er und die hoch gelobte, zusammengekaufte Red Bull-Technikerriege leisten können. Milton Keynes ist am Zug.

Das Team Die Zeit der großen Einkaufstouren ist abgeschlossen. In den letzten Jahren fegte Red Bull allwinterlich durch den Transfermarkt, suchte sich eine Traumtechnikermannschaft zusammen. In diesem Winter verzichtete man auf teure Neueinkäufe, auch die Abgänge hielten sich in Grenzen. Jenem von Ex-Technikdirektor Mark Smith war sogar schon vorgebeugt worden - mit der Verpflichtung von Geoffrey Willis. Nach den vielen Veränderungen der letzten Jahre ist jetzt Kontinuität gefragt, jetzt müssen die Neuen endlich beweisen, was sie drauf haben. Sportdirektor Christian Horner ist übrigens auch noch da, obwohl er wie fast jedes Jahr auch dieses Jahr wieder mit Abschiedsgerüchten in Verbindung gebracht wurde. Sein Arden GP2-Team würde ihn sich garantiert zurückwünschen, dort läuft es ohne ihn schon seit einiger Zeit nicht ganz nach Plan. Bei RBR sieht es hingegen dieses Jahr besser aus.

Newey kanns doch noch: Red Bull verleiht Flossen., Foto: Sutton
Newey kanns doch noch: Red Bull verleiht Flossen., Foto: Sutton

Das Auto Red Bull beendete die Saison 2007, wie es so schön heißt, auf einem Hoch. Das Team entwickelte bis zum Schluss weiter, versuchte Williams im Kampf um Konstrukteursrang 4 zu schlagen. Verloren hat man diesen Kampf vor allem aus einem Grund: zu vielen Ausfällen. Die Zuverlässigkeit des RB3 war katastrophal. Das soll sich beim RB4 nicht wiederholen. Dafür holte man sich das Organisationsgenie Geoff Willis ins Team, der schon bei Honda für eine bessere Standfestigkeit und Performance gesorgt hatte - in Brackley werden sie ihm rückblickend sicher mehrere Tränchen nachweinen; spätestens wenn der Begriff RA107 fällt. Bei RBR soll Willis vor allem für Zuverlässigkeit sorgen, das Newey-Auto bis zur Zielflagge bringen. Den Rest übernimmt der Meister höchstpersönlich.

Dabei erwischte der RB4 keinen Start mit fliegenden Red Bull-Fahnen. Das Auto war auf Anhieb zuverlässiger als sein Vorgänger, aber nicht schnell genug. Sofort kam Kritik am Auto und dessen Konstrukteur auf. Hat es Newey verlernt? Kann er nur bei Williams und McLaren Topautos bauen? Die Antwort lieferte er einige Wochen danach mit einem neuen Aerodynamikpaket. Mit der auffälligen Haifischflosse als Verlängerung der Motorabdeckung rutschte der RB4 sukzessive nach vorne in den Testzeitenlisten. Sogar Bestzeiten waren die Folge.

Diese sollte man aber nicht überbewerten: Schnelle Rundenzeiten sind nicht alles, Bestzeiten im Regen oder mit wenig Gewicht schon gar nichts wert - erst recht nicht während der Wintertests. Schließlich fuhr Toyota auch eine solche. Nach den bisherigen Testeindrücken sollten die Köln-Japaner allerdings nicht so stark einzuordnen sein wie RBR. Wie stark ist RBR wirklich? Siege scheinen unter normalen Umständen ausgeschlossen (allerdings wartet Mark Webber noch auf eine Wiedergutmachung für Fuji). Regelmäßige Punkteankünfte, ein Kampf im super engen Mittelfeld gegen BMW Sauber, Renault, Williams & Co sollte realistisch sein, vielleicht sogar ein glücklicher Podiumsplatz.

Das freut das Aerodynamikerherz: Flügel und Flaps so weit die Linse reicht., Foto: Sutton
Das freut das Aerodynamikerherz: Flügel und Flaps so weit die Linse reicht., Foto: Sutton

Die Fahrer Red Bull ist jung, dynamisch, schräg. Dennoch schickt das Energydrinkimperium die älteste Fahrerpaarung des Jahrgangs 2008 in die Rennen. Nur: steht das Alter für Erfahrung oder absteigende Leistungskurven? Fehlt dem Team frisches Blut, fehlt das, was Hamilton, Vettel und Rosberg ihren Teams brachten?

David Coulthard mag sich den Spitznamen Uncle David verdient haben, doch in den Rennen zeigte er 2007 immer wieder starke Leistungen, ein echter Racer eben. Im Qualifying war Mark Webber ihm voraus. Allerdings gilt der Australier schon seit den Zeiten des ungeliebten Einrundenqualifyings als Super-Qualifyer. In den Rennen wurde er letzte Saison, ebenso wie Coulthard, zu oft von der Technik im Stich gelassen. Und dann trauert er noch immer der verpassten Siegchance von Fuji nach, als ihm Sebastian Vettel in der Safety Car-Phase ins Heck rauschte. Beim nächsten Regenchaosrennen könnte die Red Bull-Fahrertruppe jedoch schnell die Rollen tauschen: statt Coulthard und M. Schumacher zu spielen, könnten sie die Jordan-Rollen von Damon Hill und R. Schumacher übernehmen. Die holten 1998 in Spa-Francorchamps einen Doppelsieg - und das ohne ein Newey-Auto.

Red Bull - Hausaufgaben gut gemacht?*

Pluspunkte Minuspunkte
+ Budget
+ Technikpersonal
+ Renault-Motor
+ Aufwärtstrend 2007/2008
- hohe Ansprüche
- hoher Druck
- älteste Fahrerpaarung
Hausaufgaben gut gemacht? Saisonprognose
So gut war Red Bull in der Vorbereitung noch nie. Die Zuverlässigkeit stimmt und der Speed blitzte immer wieder durch. Was er jedoch unter Wettkampfbedingungen wert ist, erfahren wir erst, wenn in Melbourne das Licht ausgeht. Note: 2 Ferrari und McLaren werden angesichts der roten Bullen nicht wie das berüchtigte Espenlaub zittern. Nichtsdestotrotz sollten sie sich nicht wundern, wenn RBR unter bestimmten Bedingungen einmal in ihren Kreisen auftauchen sollte. Im Normalfall lauten die Gegner Williams, Renault, BMW Sauber und Toyota - und der Kampf wird beinhart.

* Hausaufgaben gut gemacht ist seit 2001 die traditionelle Saisonvorschau auf motorsport-magazin.com/f1welt.com. Die vergangenen 7 Jahre ergeben noch nicht ganz 760 Seiten, aber total viele Kopien sollen dieses Jahr gesichtet worden sein...