Was für ein Rennen! Selten haben in der Formel 1 so die Funken gesprüht wie letzten Sonntag. Ein Rookie in einer Schrottkiste führt gleich die ersten und möglicherweise letzten Rennrunden seiner Karriere. Der Führende will den aufholenden Zweiten von der Strecke hauen und rechtfertigt sich mit niveaulosen Untergriffen. Und dann geht ein Teamchef seinem glücklosen Hinterher-Fahrer an die Wäsche. Großartige Story! Hätte ich nicht mehr gedacht, so etwas noch erleben zu dürfen.

Bei Rennende strahlte einer meiner britischen Kollegen im Fahrerlager über beide Ohren: "Winkelhock - what a hero!!" Wohlgemerkt ein alt gedienter Hase, der über ein Jahrzehnt kein gutes Wort über irgendeinen Deutschen verloren hat. Der Regen zu Beginn ist niemandes Verdienst. Dennoch sollte er ein paar Entscheidungsträgern in der Formel 1 endlich die Augen öffnen.

Warum, lieber Bernie, lieber Max haben wir immer großartige Rennen, sobald der erste Regen fällt? Und warum kämpfen viele bei einem Trocken-Grand Prix schon nach zehn Runden mit dem Schlaf? Die Antwort wissen Racer ohnedies: Weil all das, was die Spannung in der Formel 1 seit Jahren killt, plötzlich eliminiert ist. Auf einmal gibt es Unterschiede in Rundenzeiten, die man in Sekunden messen kann und nicht in Tausendstel. Und selbst der Typ im Spyker hat plötzlich seine 15 Minuten Weltruhm. Herrlich!

Für solche Action sitzen die Fans gerne im Regen., Foto: Sutton
Für solche Action sitzen die Fans gerne im Regen., Foto: Sutton

In vielen anderen Rennserien funktioniert dieses System ja auch bestens: raus mit der Elektronik, weg mit den Windkanaltests, her mit den Slicks und den guten Rennstrecken. In den letzten Wochen hatte ich das Vergnügen, die Champcar-Rennen bei Premiere kommentieren zu dürfen. Ein Champcar kostet gerade mal 400.000 Euro. In der Formel 1 kriege ich da nicht mal die Lackierung eines Trucks. Bei jedem Rennen können zehn Fahrer gewinnen und fast jeder aufs Podium fahren. Und in Toronto, Edmonton und so weiter kommen weit über 150.000 Zuseher, obwohl mit Bourdais ein Franzose seit Jahren alles gewinnt. Der stellt sich dann auch vor der Haupttribüne hin und beschimpft zwei Minuten nach dem Rennen Robert Doornbos übers Strecken-Mikrofon, weil er ihn blockiert hat. Und damit habe ich noch gar nicht erwähnt, wen Paul Tracy im Laufe der letzten Jahre alles verprügelt hat.

Was ich damit sagen will: Jeder Sport lebt von Emotionen. Her mit dem Testosteron! Es muss ja nicht unbedingt gleich handgreiflich sein wie zwischen Piquet und Salazar 1982 in Hockenheim (die beiden ballen übrigens heute noch zum Spaß die Fäuste, wenn sie einander begegnen) oder Schumacher in Spa, nachdem ihn Coulthard im Regen zum Dreiradfahrer machte. Es würde ja schon reichen, wenn die jungen Fahrer sich wieder trauen würden, den Mund aufzumachen.

Nico Rosberg ist da ein sehr angenehmes Ausnahmebeispiel. Aber: auch er ist von Williams längst zurückgepfiffen worden. Nach ein, zwei Worten zu viel vor dem Mikro hat er jetzt einen Maulkorb. Und wenn mir die Pressetante von Team X ungefähr 17 Mal im Jahr die selbe Medieninfo schickt, in dem Fahrer Y wie immer sagt, dass das Team hart gearbeitet hat, und das Ziel sei, das Optimum aus dem Rennen rauszuholen - dann braucht sich keiner wundern, dass im Fahrerlager nur gejammert wird, wie kühl und unnahbar alles geworden ist.

Daher: Hoch lebe Scott Speed! Ein Fahrer, der so Dinge sagt wie "die wollen uns loswerden!" oder "nie wieder fahre ich für dieses Team" verdient Respekt. Nicht, dass er besonders gute Berater hätte. Aber für diesen Abgang werden wir uns noch lange an Scott erinnern. Eigentlich schade um ihn. Ein Typ mit solchen Ecken und Kanten täte vielen Teams gut.

Auf den fliegenden Tonio folgt wohl bald der fliegende Scott - nur in eine andere richtung., Foto: Sutton
Auf den fliegenden Tonio folgt wohl bald der fliegende Scott - nur in eine andere richtung., Foto: Sutton

Hoch leben auch Alonso und Massa! Das Wortgefecht wegen des Remplers hat mal gezeigt, dass die beiden halt auch keine Maschinen sind. Diese Blicke, dieses Vokabular - endlich wieder mal was anderes als: "The race was fantastic, I am very happy!" Und ein dreifaches Hoch dem Wetter, das dafür gesorgt hat, dass es überhaupt so weit gekommen ist. Wie gesagt: Niemandes Verdienst, nur ein glücklicher Zufall, ohne den wir auf dem Ring wieder eine Prozession gesehen hätten. Winkelhock wäre genau so ausgeschieden, nur halt als Randnotiz auf Rang 22. Massa und Alonso wären einander nie näher als 100 Meter gekommen, weil der Hintermann in den Turbulenzen sonst den Abtrieb verliert. Und Scott Speed wäre wie üblich hinten nach gefahren und keiner hätte es bemerkt.

Solche Fügungen des Schicksals kann man freilich nicht erzwingen. Aber es sollte den hohen Herren einmal mehr ein Denkanstoß sein, was der Fan eigentlich will. Er sieht keine Tausendstel-Sekunden, die im Labor hervorgezaubert werden. Und er sieht auch nicht, dass nach einem Rennwochenende die Verkaufszahlen einer Marke rauf- oder runtergehen. Aber er sieht, wenn das Testosteron überschäumt. Und das lässt ihn dann auch nicht kalt, liebe Marketing-Gurus. Und wenn er emotionell berührt ist, findet die von allen so gewünschte "Markenbindung" viel leichter statt. Ich finde, der Marke Formel 1 könnte mit ein paar kleinen Änderungen sehr leicht geholfen werden.