Mehr Punkte für den Gewinner

von Philipp May

Nach nunmehr fünf Rennen steht Lewis Hamilton, der Neuling, immer noch an der Spitze der WM-Wertung. Wie hat er das fertig gebracht? Zuerst einmal ist Lewis Hamilton unglaublich schnell - so schnell, dass er es bisher immer geschafft hat, das Tempo seines Teamkollegen und Doppelweltmeisters Fernando Alonso mitzugehen. Und zweitens hat er keine Fehler gemacht. Er ist schlau gefahren. Er hat sich immer aus allem herausgehalten, während sich seine Konkurrenten mit waghalsigen Manövern selbst um der Arbeit Lohn gebracht haben, wie Massa in Malaysia oder Alonso in Spanien. Hamiltons Fahrweise hat zwar nicht für Siege gereicht, dennoch konnte er jedes Mal so viele Punkte sammeln, dass er nun ganz vorne steht, wenn auch punktgleich mit seinem Teamkollegen.

Ist das richtig? Wohl eher nicht. Nur um nicht falsch verstanden zu werden: Das ist keine Kritik an Lewis Hamilton. Der macht nur das, was die Situation erfordert, was für sein Alter unglaublich clever ist. Nur leider erfordert die Situation genau das Falsche, oder wie es Fernando Alonso am Anfang der Saison treffend auf den Punkt gebracht hat: "Wer siebzehn Mal Zweiter wird, ist am Ende Weltmeister." Ein Schlag ins Gesicht für jeden echten Rennfahrer und nicht nur für die. Auch die Fans leiden an diesem fast schon kommunistischen Punktesystem, bei dem noch der Dritte mehr als die Hälfte der Punkte des Siegers erhält. Der Anreiz etwas zu riskieren, wird dadurch auf ein Minimum reduziert. Wieso sollte man für zwei lausige Punkte mehr das Risiko in Kauf nehmen, acht sichere Zähler zu verlieren?

Dass es in der Formel 1 schwer ist, zu überholen, steht außer Frage. Auf einigen Strecken ist es sogar nahezu unmöglich. Dennoch ist alles auch immer eine Frage des Preises bzw. des Einsatzes, der auf dem Spiel steht. Schließlich gibt es sie ja immer noch, die Positionskämpfe auf der Strecke. Nur leider kriegt man sie meistens gar nicht mit. Denn sie finden größtenteils im hinteren Teil des Feldes statt, wo es keinen großen Unterschied macht, ob man Zehnter oder Elfter wird oder ausfällt. Der einzige Überholvorgang, der direkte Auswirkungen auf den Kampf um die Weltmeisterschaft hatte, war das Manöver von Nick Heidfeld gegen Alonso in Bahrain. Alonso hat es in Spanien am Start versucht und Felipe Massa probierte es erfolglos in Malaysia. Szenen für die wir dankbar sind, doch nachher kritisieren wir die beiden Letztgenannten als dumm.

Nur der Beste und Erfolgreichste soll ihn bekommen., Foto: FIA
Nur der Beste und Erfolgreichste soll ihn bekommen., Foto: FIA

Was hat das mit dem Punktesystem zu tun? Wenn es sich wieder lohnt, ein Rennen zu gewinnen, dann sind solche Aktionen nicht mehr dumm, sondern der beste Weg den WM-Titel zu holen. Lieber einmal 20 Punkte für den Sieg, als zweimal 8 Punkte für den zweiten Platz. Natürlich ist das nicht das Allheilmittel für mehr Action auf der Strecke, aber es ist eines von vielen Instrumenten - und zwar ein gutes.

Doch die FIA tat vor einigen Jahren genau das Gegenteil. Sie wertete den zweiten Platz von sechs auf acht Punkte auf. Der Kampf um die Weltmeisterschaft sollte dadurch länger offen und damit spannender gestaltet werden. Ein fadenscheiniges Argument, wie allein ein Blick auf das letzte Jahr zeigt. Ein Rennen vor Schluss war die WM praktisch entschieden. Fernando Alonsos Führung betrug zehn Punkte. Michael Schumacher hätte nur Weltmeister werden können, wenn er das letzte Rennen gewonnen hätte und Fernando Alonso gleichzeitig ohne Punkte geblieben wäre. Hätte der Sieger aber bei jedem Rennen 20 Punkte bekommen, hätte der Abstand von Fernando Alonso ebenso 10 Punkte betragen. Der einzige Unterschied: Im letzten Rennen hätte es einen echten Showdown um den Weltmeistertitel gegeben, nach dem Motto "The Winner takes it all". Was will man mehr? Oder will man einen Weltmeister der 17 Mal Zweiter wird?

Das System ist unschuldig

von Stephan Heublein

Unschuldig, bis die Schuld bewiesen ist. Diese Regel gilt nicht nur für Angeklagte, sie gilt auch für Punktesystem im Motorsport, und davon gab und gibt es wahrlich nicht wenige. Eines haben sie alle gemein: niemand mag sie so richtig, ständig werden sie kritisiert, wird über Änderungen nachgedacht. Die Diskussion über das Punktesystem ist ein Dauerbrenner. Allein in der Formel 1 wurde es mehrfach geändert. Die Verteidigung hat angesichts der schieren Masse an Anklagen kaum eine Chance, schnell genug Einspruch zu schreien.

10-8-6-5-4-3-2-1. Paris - wir haben ein Problem! Das ist kein fehlerhafter NASA-Countdown, es ist die Punkteverteilung und der Hilferuf in Richtung Place de la Concorde, dort hat die FIA bekanntlich ihren Sitz. Aber wie sinnvoll sind die angeblich viel besseren Alternativen? The winner takes it all - nur der Sieger bekommt Punkte oder wie Bernie Ecclestone es gerne sehen würde, nur die Siege zählen für die WM-Wertung. Unter dem aktuellen Kräfteverhältnis werden sich dann 18 Fahrer ernsthaft fragen: Wozu fahren wir eigentlich mit? WM-Punkte sind für sie und ihre Teams bares Geld wert, sie sind (überlebens)wichtig für Sponsoren, Transportkosten und allgemeines Ansehen.

Die logische Folgerung wäre: WM-Punkte für alle! Oder sagen wir fast alle. Gerade in den nordamerikanischen Rennserien gibt es die wildesten Punktevergabesysteme. Einmal kann ein einziger Fahrer bis zu 53 Punkte pro Wochenende einfahren, einmal gibt es viele, ja sogar sehr viele Punkte für die schnellste Rennrunde, die meisten Führungsrunden, die Pole Position, die meisten gutgemachten Plätze während eines Rennens. Das Problem liegt auf der Hand: Wer blickt da noch durch? Wer Excel-Tabellen und seitendicke Regelbücher benötigt, um eine WM-Tabelle zu deuten, der kann sich gleich die DTM anschauen. Dort ist das Punktesystem zwar analog zur F1, aber die Rennverläufe versteht trotzdem keiner.

Ja wo sind sie denn? Wie viele Punkte bekommen sie denn?, Foto: Sutton
Ja wo sind sie denn? Wie viele Punkte bekommen sie denn?, Foto: Sutton

Also muss der Sieg höher bewertet werden, wieder mehr wert sein. Das ist seit einiger Zeit das angebliche Allheilmittel. Diese Lösung würde nicht nur scheinbar "ungerechte" WM-Führende eliminieren, sie soll auch dazu führen, dass wieder mehr auf der Strecke überholt wird, und zwar im Kampf um den Sieg, nicht nur bei Boxenstopps oder im Duell um die goldene Ananas zwischen Honda und Super Aguri. Ein Sieg wäre es dann wieder wert, ein Manöver zu riskieren. Der Denkfehler daran ist, dass die heutigen Strecken, Autos und Überholmanöver leider viel zu oft genauso inkompatibel sind wie Windows Vista mit so ziemlich jedem Treiber. Imola, Monaco, Hungaroring? Überholen ausgeschlossen. Ohne Regen, Chaos und Unfälle geht dort gar nichts, und leider nicht nur dort. Natürlich sind auch heute noch auf einigen Strecken Überholmanöver möglich, gerade die oft kritisierten Tilke-Strecken in der Türkei, Bahrain oder am Hockenheimring haben in den letzten Jahren für wahre Überholfestivals (nach moderner Auffassung) gesorgt.

Das Punktesystem ist unschuldig - der Saisonverlauf ist schuld! Noch vor wenigen Jahren fuhren Michael Schumacher und Ferrari alles in Grund und Boden, schon zur Saisonmitte ließen sie die Champagnerkorken zum doppelten Titelgewinn knallen. Damals wurde das System für schuldig befunden. Der Punkteabstand zwischen Platz 1 und 2 war zu groß. Also wurde das System geändert, damit sollten Alleingänge wie von Schumacher unterbunden werden. Stattdessen führte in dieser Saison nach den ersten vier Rennen ein Rookie ohne einen einzigen GP-Sieg die WM-Tabelle an. Jetzt heißt es wieder, dass der Sieg nicht genug belohnt werde. Also zurück zum vorherigen System oder gar noch größerem Abstand zwischen dem Ersten und dem Zweiten. Der Teufelskreis zeichnet sich deutlich ab, der nächste Durchmarsch scheint damit programmiert. Es findet sich eben immer ein Grund zum Meckern, irgendetwas passt nie. Das Punktesystem ist dabei unschuldig - der Saisonverlauf ist schuld!

Irgendwann kommt jedes, noch so ausgeklügelte Punktesystem an seine Grenzen. Egal ob man zig Punkte wie in den USA vergibt, ob man nicht an bepunkteten Sessions geizt oder nur dem Sieger Punkte gibt, alles wird bei einem bestimmten Saisonverlauf irgendwann unpassend - man kann nie alle Eventualitäten vorhersehen und berücksichtigen. Man muss mit dem leben, was man hat. "Das Punktesystem ist allen bekannt, alle konnten sich vor Saisonbeginn darauf einstellen", betonte motorsport-magazin.com-Experte Sven Heidfeld in einer seiner Kolumnen. Das Punktesystem bleibt also unschuldig, bis seine Schuld bewiesen ist - oder endlich jemand ein besseres findet...