Einen deutlicheren Beweis als den Kanada- und den USA-Grand Prix gibt es nicht: Die heutige Formel 1 ist vor allem eine Formel Reifen. Das Rennen Indianapolis erinnerte an beinahe vergessene Zeiten. Michael Schumacher und der zweite Ferrari-Pilot, Felipe Massa, gemeinsam vorne - weit vor dem Rest der Welt. Auch Ferrari-Technik-Chef Ross Brawn wollte gar nicht verschleiern, wem das Wunder zu verdanken ist: "Man sieht, was die Reifen ausmachen, wir haben ein gutes Team, ein gutes Auto und wenn die Reifen funktionieren, dann kommt so etwas raus."

Erwartet hatten es im Vorfeld schon viele: Reifenhersteller Michelin würde angesichts der Katastrophe im Vorjahr und der damit verbundenen Angst vor einer Wiederholung sehr, sehr vorsichtig, sprich, konservativ und damit langsam, zu Werke gehen. Dazu kommt noch der bekannte generelle Bridgestone-Vorteil in Indy: Der japanische Gummigigant erhält über dessen Partnerfirma Firestone und deren Engagement in der Indy Racing League laufend Informationen vom Speedway und hat daher erheblich mehr Daten zur Verfügung.

Anderthalb Sekunden in sieben Tagen

Das Ergebnis davon in Zahlen - ein Vergleich aus dem Qualifying: Renault und Ferrari veränderten zwischen Kanada und den USA nichts an ihren Autos, doch vor einer Woche waren Alonso und Fisichella am Samstag im Schnitt noch um 0,743 Sekunden schneller als Schumacher und Massa, während Ferrari in Indianapolis um 0,904 Sekunden vorne lag - Bridgestone hat also binnen sieben Tagen mehr als anderthalb Sekunden aufgeholt.

Dass es in zwei Wochen in Frankreich schon wieder ganz anders aussehen könnte, darüber sind sich die Experten einig: Hans-Joachim Stuck sagt zwar: "Es war wichtig für Ferrari, zu zeigen, wo der Hammer hängt! Aber man darf nicht übersehen, dass Indianapolis Bridgestone-Land ist. Man darf das nicht überbewerten. Eine richtige Standortbestimmung von Ferrari können wir sicher erst in Magny Cours erwarten." Auch Niki Lauda sieht vor allem den Reifeneffekt, "der aber in Europa eher nicht mehr vorhanden sein wird", und Marc Surer präzisiert: "Indy war ein Sonderfall - wie Michelin hier nach dem Drama im letzten Jahr eben sehr vorsichtig war, es auch sein musste. Die sind hier absolut auf Nummer sicher gegangen und haben einen relativ harten Reifen mitgebracht. Von da her spürte man schon im Training, dass Ferrari hier einen Reifenvorteil hat. Aber in Magny-Cours wird es sicherlich wieder ausgeglichen. Und dort, in Frankreich, dürften Renault und Michelin dann nur sehr schwer zu schlagen sein."

Kein Reifen-Fortschritt, sondern ein Rückschritt

Um es noch einmal ganz klar zu machen: Nicht etwa Bridgestone fand, wie an einigen Stellen fälschlicherweise kolportiert, für Indy den ganz großen Wunderreifen - Schumacher war mit den gleichen Gummis unterwegs wie in Kanada, die dort noch gar nicht so gut funktioniert hatten. Den "Wechsel" in Form eines Rückschritts gab es bei der Konkurrenz - für die Indy eine kritische Strecke im Programm war.

Deswegen sieht niemand bei den Michelin-Teams das Thema für die Zukunft wirklich als dramatisch an - und übt somit auch am Indy-Ansatz der Franzosen nicht wirklich Kritik. Konservativ war das richtige Wort dafür was hier passiert ist. "Ich denke, wir mussten das Reifenthema hier auf sehr integere Art und Weise anpacken. So etwas wie im Vorjahr hätten wir uns nicht noch einmal erlauben dürfen", befand etwa Renault-Technikchef Pat Symonds. "Ja, das hat Performance gekostet, aber bei den Tests war das in diesem Ausmaß nicht absehbar."

In Zukunft wird der Reifenfaktor in dieser Form wegfallen - wenn es ab 2007 mit Bridgestone als einzigem Lieferanten nur noch einen Einheitsreifen gibt. FIA-Präsident Max Mosley begrüßt das ja, "weil dann die Fahrer wieder eine größere Rolle spielen werden und es damit für die Fans wieder interessanter wird." Was zwar einerseits stimmt - andererseits wird dann eine eventuelle technische Überlegenheit eines Teams erst recht fest gezimmert werden - Überraschungen und "Umstürze" á la Indy quasi ausgeschlossen. Und die haben ja auch ihren gewissen Reiz...