Vor dem Saisonbeginn rechnete die Formel 1-Welt noch mit einem Vierkampf um den Titel: Renault, Honda und McLaren galten nach den Wintertests als die großen Favoriten - die Scuderia Ferrari wagten hingegen nur wenige wirklich einzuschätzen. Deshalb war es nicht verwunderlich, dass die ersten roten Erfolge in Bahrain oder selbst später in Imola noch mit Argwohn beäugt wurden.

"Vor Saisonstart hätte kaum jemand Ferrari eine solche Rückkehr zugetraut", pflegt motorsport-magazin.com-Experte Sven Heidfeld zu sagen, wenn es um den Rückstand der Roten auf Renault geht. Denn die Franzosen sind auch 2006 die Meßlatte für die Konkurrenz. Das mussten auch die Rivalen eingestehen - etwa Mario Theissen: "Renault ist derzeit das stärkste Team und hat das schnellste Auto. Fernando macht keine Fehler und ist der Topfavorit auf den Titel."

Auch Honda könnte sich bald flexibel geben..., Foto: Sutton
Auch Honda könnte sich bald flexibel geben..., Foto: Sutton

Dahinter hat sich Ferrari die Verfolgerrolle gesichert und McLaren Mercedes kam bei den letzten Rennen immer mehr in Schwung. Die Enttäuschung der ersten Saisonhälfte war hingegen Honda. "Bei ihnen geht es immer weiter nach hinten", gibt sich auch Sven ratlos. Schließlich hatte Honda vor Saisonbeginn - wieder einmal - von Siegen und möglicherweise sogar vom Titelkampf gesprochen. Jetzt müssen sich die Japaner sogar die bange Frage gefallen lassen: Ist Honda überhaupt noch die Nummer 4 im Grid?

Die Herausforderer sind bekannt: Toyota, BMW Sauber und Williams fordern die Mannen aus Brackley zu einem heißen Tanz, den Honda in den letzten Wochen nur selten, wenn überhaupt gewinnen konnte.

"Es gibt verdammt viel Druck", gestand Motorenmann Shuhei Nakamoto. Die Chefetage in Tokio beäugt das F1-Engegamgent im ersten Jahr der 100% Teameignerschaft mit Argusaugen. "Und natürlich sind sie nicht zufrieden", schiebt Nakamoto nach. "Sie sind sogar richtig verärgert über die Ergebnisse aus dieser Saison." Deshalb musste man zum Rapport: "Wir mussten ihnen zeigen, was wir für die Zukunft planen."

Um zumindest den vierten Rang der Konstrukteurswertung zu halten und in der zweiten Saisonhälfte den Top3 wieder den Kampf ansagen zu können, gibt es einige Veränderungen bei den Weißen. Zum einen wird sich Technikdirektor Geoff Willis mehr in der Fabrik aufhalten und die strategische Leitung an der Rennstrecke seinen Kollegen überlassen. Zudem plant man einige technische Neuerungen aus dem endlich fertig gestellten neuen Windkanal.

"Das Auto ist in vielerlei Hinsicht sehr gut", sagt Teamboss Nick Fry über den RA106. "Aber es gibt einige Bereiche die wir verbessern müssen. Schon in Montreal sollte es einige aerodynamische Neuerungen geben." Gut möglich, dass es sich dabei um flexible Flügel handelt. Honda gehörte zu den ersten Teams, die sich darüber beklagten, dass Ferrari und Renault angeblich mit flexiblen Flügeln vorne wegfahren und die Teams mit konventionellen Flügeln hinterher hecheln müssten. Schon damals kündigten sie an: So lange es legal ist, werden auch wir nachlegen.

BMW Sauber scheint dies nach Ansicht vieler Experten schon gelungen zu sein. Sie machten zwischen Monaco und Silverstone einen riesigen Sprung - dank eines neuen Aerodynamikpakets. Wie flexibel die Flügel dieses Pakets sind, wollte natürlich niemand offiziell bestätigen. "Unsere Flügel sind so flexibel wie sie sein sollen", sagte Nick Heidfeld. Keke Rosberg drückte sich da wie immer weniger zurückhaltend aus: "BMW ist so schnell, weil sie Flexi-Wings haben."

Eine indirekte Bestätigung dafür lieferte Technikchef Willy Rampf, der sich dank des neuen Aero-Pakets auch auf den High-Speed-Strecken in Montreal und Indianapolis gute Ergebnisse erwartet. "Aerodynamisch verlangt der Kurs ein mittleres Abtriebsniveau", sagt er über Montreal. "Wir haben ein dafür ausgelegtes Aero-Paket mit einem neuen Frontflügel und einem wiederum neuen Heckflügel bereits in Paul Ricard getestet und erneut in der Woche nach dem britischen GP beim Test in Monza."

Wird bald BMW Sauber zum gejagten Vierten?, Foto: Sutton
Wird bald BMW Sauber zum gejagten Vierten?, Foto: Sutton

In Silverstone brachten sie diese Flügel auf die Ränge 7 und 8 - damit war man das viertbeste Team. "Wir können den Top3 näher kommen, aber aufschließen werden wir in diesem Jahr sicherlich noch nicht", beurteilt BMW-Motorsportdirektor Mario Theissen die Situation. "Da muss man realistisch bleiben. Wir haben uns im ersten Jahr der Aufbauphase von Platz 8 auf Platz 5 nach vorne gearbeitet und waren in Silverstone das viertstärkste Team. Zu den Top3 fehlt uns aber noch einiges, da müssen wir noch hart arbeiten, um sie einzuholen. Das Ziel ist aber immer das Team vor uns und das ist derzeit Team Nummer 4."

Sprich: Auch die letzten 12 Punkte Rückstand auf Honda sollen abgeraspelt werden. "Beim zurückliegenden Grand Prix hat sich unser junges Team erstmals als vierte Kraft präsentiert. Das war ein toller Erfolg und ist für uns ein ungeheurer Motivationsschub", so Theissen weiter. "An diese Leistung wollen wir in Montréal anknüpfen und dort die erste Saisonhälfte positiv abschließen."

Aber nicht nur Honda und BMW Sauber sehen sich als vierte Kraft der Formel 1. Auch Toyota hegt Ansprüche auf diesen Titel. "Wir haben mehr oder weniger das viertschnellste Auto im Feld", ist sich TMG-Präsident John Howett sicher. "Williams war in Monaco sehr schnell, aber in Silverstone waren sie ziemlich langsam. BMW war in Monaco langsam und in Silverstone schneller. Wir waren immer konstant schnell und holen auf die Top3 auf."

Das einzige Problem: Bislang konnte man nur bei Ralf Schumachers Podestplatz in Australien diese Leistung auch in ein gutes Rennergebnis umsetzen. Ansonsten sorgten Zuverlässigkeits- oder Reifenprobleme respektive sonstige äußere Umstände wie Unfälle für durchschnittliche bis schlechte Ergebnisse.

Deshalb plant man für Kanada abermals neue Teile ins Rennen zu schmeißen. "Es kommt immer mehr und mehr", betont Howett. "Wir kommen voran." Möglicherweise lautet auch bei Toyota das Zauberwort flexible Flügel. Denn auf diesem Gebiet waren die Japaner bislang konservativ. Ralf Schumacher enthüllte jedoch, dass auch die Weiß-Roten an ihren Lösungen arbeiten würden - nur das benötige eben seine Zeit.

"Wir planen ein interessantes Aerodynamikupdate für Kanada und freuen uns darauf es auszuprobieren", deutete Chassischef Pascal Vasselon für Montreal eine Entwicklung in diese Richtung an.

Ebenfalls noch ohne flexible Flügel arbeitet Williams. Die Mitternachtsblauen waren vor allem zu Saisonbeginn äußerst schnell unterwegs, fielen danach aber im Vergleich zur Konkurrenz ab. Zudem werden sie seit Saisonbeginn von Zuverlässigkeitsproblemen an Motor und Getriebe geplagt.

Toyota sieht sich als Nummer 4., Foto: Sutton
Toyota sieht sich als Nummer 4., Foto: Sutton

"Man glaubt immer, dass es woanders besser sei. Aber überall gibt es Probleme. Dieses Wochenende lief schlecht für uns, aber vielleicht sieht es in Montreal schon wieder anders aus", macht sich Mark Webber Mut.

Teamboss Frank Williams verschaffte seinem Unmut schon nach dem Spanien GP Luft: "Es ist ganz klar, dass unser Auto nicht schnell genug ist und es ist möglich, dass dieser mangelnde Speed darauf zurückzuführen ist, dass wir einige Dinge, die andere Teams getan haben, noch nicht getan haben, da wir dachten, dass es verboten würde."

Als Zielsetzung gab Technikchef Sam Michael mehr Speed auf den Geraden aus: "Wir müssen daran arbeiten, den Luftwiderstand zu verringern, damit wir auf den Geraden konkurrenzfähiger werden." Dennoch rechnet Webber mit einer "harten" Saison. "Wir mussten viel überwinden und haben noch nicht alles zusammen." Michael teilt die Enttäuschung seines Piloten. "Wir haben offensichtlich einige Hausaufgaben zu erledigen." Wenn damit nicht Arbeiten an flexiblen Teilen gemeint sind...