Den Blick immer nach vorne richten, niemals zurückschauen: Diese Maxime ist in der modernen Formel 1 und insbesondere bei FIA-Präsident Max Mosley Gesetz.

Schon seit Jahren interessiert es den Juristen in seinen schier unendlich vielen und nicht minder langen Briefen, Faxen und Regeländerungstexten viel mehr was ab dem Jahr 2008 passiert, als was im aktuellen Jahr geschehen wird.

Da verwundert es nicht, dass in den letzten Jahren mehr über die Regelideen und Entwürfe für Mosleys 'neue, billigere' Formel 1 ab 2008 diskutiert wurde, als über die damals noch ungeklärten Regeländerungen der jeweils anstehenden Saison.

Wo es zukünftig lang geht, weiß nur Max. Vielleicht., Foto: Sutton
Wo es zukünftig lang geht, weiß nur Max. Vielleicht., Foto: Sutton

Nicht anders gestaltet sich die Sachlage Ende Februar 2006: Mosley schreibt Standard-Ecus für 2008 aus, möchte die Einschreibefrist für jene Saison auf April 2005 vorziehen und plant zugleich das Ende seiner Amtszeit für 2009.

Der wortgewandte Brite drückt das wie folgt aus: "Sobald die aktuellen Fragen gelöst sind, werde ich meine Aktivität reduzieren. Das ist auf jeden Fall meine letzte Dekade als Präsident." Böse Zungen würden es genau andersherum formulieren: Erst richtet er das Chaos an, dann flüchtet er davor. Andererseits ist Mosley ja schon einmal zurückgetreten und kam nur wenige Wochen danach mit wehenden FIA-Fahnen zurück in sein Amt...

Aber glücklicherweise folgen zwei Wochen vor Saisonbeginn nicht alle dem Mosley'schen Prinzip des starren Blicks in die ferne Zukunft. Ganz im Gegenteil: In den letzten Tagen schien beinahe jeder Fahrer, Teamverantwortliche und Experte seinen Senf zur anstehenden Saison 2006 zum Besten geben zu müssen. Nichts Neues also, so kurz vor Saisonbeginn.

Die Ergebnisse der Prognosen lesen sich auf den ersten Blick wenig inspiriert: "Ich sehe momentan Renault vorne. Aber auch Honda hat ein sehr starkes Auto gebaut", sagt Nick Heidfeld. "Bisher sieht es so aus, als ob wir bei Renault gemeinsam mit Honda über leichte Vorteile gegenüber der Konkurrenz verfügen", stimmt Pat Symonds zu. "Bei Renault sieht es so aus, als wollten sie 2006 anfangen, wie sie 2005 beendet haben. Ihre Autos scheinen gegenwärtig die Schnellsten zu sein", analysiert Mike Gascoyne.

"Renault und wir bei Honda sind momentan gleichauf", schätzt Rubens Barrichello das Kräfteverhältnis ein. "Renault ist mein absoluter Top-Favorit. Danach sehe ich sowohl Honda als auch die Silberpfeile von McLaren Mercedes dicht dahinter", prognostiziert Christian Danner.

"Es sieht danach aus, als ob zurzeit Honda, Ferrari und Renault die stärksten Teams wären. McLaren verbesserte sich jedoch um einiges und sie könnten schon im ersten Rennen wieder bereit sein", rundet Weltmeister Fernando Alonso die beinahe identischen Vorhersagen ab.

Honda läuft nicht, sie fahren; und zwar ziemlich schnell., Foto: Sutton
Honda läuft nicht, sie fahren; und zwar ziemlich schnell., Foto: Sutton

Doch wie sehr darf man den Prognosen trauen? Was bedeuten die Rundenzeiten bei den Wintertests wirklich? Nick Heidfeld ist sich sicher, dass man das Kräfteverhältnis heute sehr viel besser als noch vor zwei Monaten einschätzen könne. Damals war es aufgrund der unterschiedlichen Fahrzeug-Motor-Reifen-Kombinationen beinahe unmöglich Vorhersagen zu treffen.

Nachdem mittlerweile alle neuen Autos im Testeinsatz waren und die Saisonvorbereitungen beinahe abgeschlossen sind, lüftet sich der Schleier über unserer Kristallkugel immer mehr. Dennoch muss man die Top-Zeiten von Renault, Honda und McLaren in den letzten Tagen mit Vorsicht genießen.

"Ich denke, dass viele Teams ihre Karten noch nicht auf den Tisch gelegt haben", mahnt motorsport-magazin.com-Kolumnist Bas Leinders. Und der muss es ja schließlich wissen. Trotzdem sieht auch der Belgier "Renault in den ersten Rennen vorne".

Wie bei den Fans zuhause und den Journalisten an den Tastaturen, herrscht momentan auch bei den Teams eine Ratestunde vor. "Wir widmen dieser Aufgabe durchaus einige Zeit", gesteht Pat Symonds ein. "Aber es ist ein schwieriges Unterfangen. Selbst für uns Ingenieure, die nahe am Geschehen dran sind und über die nötige Erfahrung verfügen, stellt die Analyse immer wieder eine Herausforderung dar."

Insbesondere wenn man selbst eine Top-Runde nach der anderen in den Asphalt brennt und danach locker behauptet: "Nun, die schlagzeilenträchtigen Rundenzeiten, die viele Teams am Ende eines Testtages erzielen, interessieren uns so gut wie überhaupt nicht. Wir konzentrieren uns lieber auf die Ergebnisse über längere Distanzen als auf die Zeiten der kurzen Turns."

Dafür waren die gelb-blauen Autos von Fernando Alonso, Giancarlo Fisichella und Heikki Kovalainen in den vergangenen Wochen seit dem Debüt des R26 aber verdammt häufig ganz oben in der Zeitenliste anzutreffen.

Sie glänzen auf alle Fälle: Auch auf dem Podium?, Foto: Sutton
Sie glänzen auf alle Fälle: Auch auf dem Podium?, Foto: Sutton

Die Wahrheit liegt letztlich auf der Rennstrecke: "Im letzten Jahr dachten wir alle, dass Ferrari erneut dominieren würde, wie das 2004 der Fall gewesen ist", erinnert Alonso an das Ratespiel der Pre-Season 2005. "Wir träumten davon vielleicht ein Rennen zu gewinnen und am Ende holten wir den Titel."

Ganz sicher ist vor dem Saisonstart also nur eines: McLaren Mercedes wird 2006 definitiv glänzen. Dafür geben Ron Dennis & Co auch 40 Prozent mehr für die Chromlackierung des MP4-21 aus.