"McLaren besitzt seit Imola das schnellere Paket", betete Fernando Alonso zwischen dem besagten San Marino GP und dem Großen Preis von Brasilien beinahe täglich in die Mikrofone der Journalisten. Dennoch holte er sich schon beim drittletzten Rennen in Interlagos als jüngster Champion überhaupt die Fahrer-WM-Krone ab.
"Unser Auto ist das schnellste im Feld und hat in den letzten 14 Rennen 10 gewonnen", beharrte Norbert Haug seit Wochen auf die Unfälschbarkeit von Siegstatistiken. Trotzdem ging McLaren mit zwei Zählern Rückstand in das Saisonfinale in Shanghai.
Es kann nur einen geben
Bei diesem schien sich das Kräfteverhältnis dann plötzlich wieder umzudrehen. Seinen Lauf nahmen die Dinge in Japan, wo Kimi Räikkönen das Rennen klar dominierte und von Startplatz 17 noch zum Sieg fuhr, am Ende aber von einem enttäuschten Fernando Alonso zu hören bekam: "Heute hatte ich das erste Mal das Gefühl, dass wir wieder auf einem Level mit McLaren waren."
In Shanghai bekamen die Silbernen dies zu spüren: Doppel-Pole für die mit einem neuen Motor ausgestatteten Franzosen. Und auch im Rennen konnte nichts und niemand Renault gefährden. "Renault war heute zu schnell für uns", musste selbst Kimi Räikkönen überrascht eingestehen.
Der Fahrer- und Konstrukteursweltmeister Fernando Alonso hat für den Leistungssprung im Titelendspurt eine einfache Erklärung: "Nachdem mein Fahrertitel eingefahren war, mussten wir nicht mehr so konservativ an die Rennen herangehen und haben uns stark verbessert. Wir haben hier gezeigt: Wenn wir wollen, dann können wir McLaren schlagen."
Aus diesem Grund fühlte sich der Spanier bei seinem siebten Saisonsieg an den Saisonbeginn erinnert, als er mit der gleichen Leichtigkeit des gelb-blauen Seins zu überlegenen Siegen fahren konnte.
Nach einem abermaligen Motorschaden an Juan Pablo Montoyas McLaren bedeutete dieser Sieg den Gewinn der Konstrukteursweltmeisterschaft. Am Ende stand also nicht das Team mit dem schnellsten Paket, sondern jenes mit dem zuverlässigsten und zugleich schnellen Paket ganz oben.
"Der Kernpunkt des Saisonfazits ist, dass wir in den ersten vier Rennen zu wenige Punkte gemacht haben", versuchte Norbert Haug den zweiten verlorenen Titel mit dem gleichen Argument zu erklären, das Ron Dennis schon für den Verlust des Fahrertitels anführte. "Wir haben nicht alle Probleme so gelöst wie wir uns das vorgestellt haben, sonst wäre bei den Titelkämpfen mehr drin gewesen."
Rennanalyse: Taktikschlacht mit Unterbrechungen
Die Geschichte des 19. und letzten WM-Laufs dieses Mammut-F1-Jahres ist schnell erzählt: Alonso setzte sich am Start durch, Fisichella "kontrollierte" dahinter die beiden McLaren "innerhalb seines Limits" und sorgte somit für die Grundlage des gelb-blauen Titelgewinns. Anders ausgedrückt: Fisico wurde seiner Rolle als Nummer 2 und Wasserträger gerecht. Er bremste die McLaren ein und kassierte sogar eine Strafe für langsames Einfahren in die Box.
Ohne die beiden Safety-Car Phasen hätte das Rennen unterdessen kaum Action gesehen. Im Gegensatz zum Japan GP sorgte die gewöhnliche Startaufstellung ohne Aufholjagden für keinerlei Überholmanöver. Stattdessen war der zweite China GP ein Taktikrennen, welches von den beiden Unterbrechungen beherrscht und im Schwierigkeitsgrad erhöht wurde.
Die spannendste Szene des Rennens ereignete sich deswegen nicht während der 56 Rennrunden, sondern eine knappe halbe Stunde vor dem Start: Zu diesem Zeitpunkt kollidierten Michael Schumacher und Christijan Albers auf ihrem Weg in die Startaufstellung!
Teamanalyse: Mehr Verlierer als Gewinner
Renault Eigentlich hat kaum jemand damit gerechnet. Aber jetzt ist es doch eingetreten: Renault hat nach der Fahrer-WM auch noch die Team-WM für sich entscheiden können. Nachdem man bislang von technischen Problemen und Unfällen der silbernen Konkurrenten profitieren konnte, waren die gelb-blauen Autos diesmal aus eigener Kraft siegfähig. Entsprechend ist auch der zweite Titelgewinn der Franzosen verdient. Nicht ganz weltmeisterlich war Giancarlo Fisichella Entschuldigung für die Boxengassenblockade: "Kimi hat das in Belgien auch gemacht", wehrte sich der unachtsame Römer, der weder in den Fahrerbriefings aufgepasst, noch unsere News zum FIA-Verbot gelesen hat. Fernando Alonso fuhr hingegen erneut ein fehlerfreies Rennen, welches eigenen Worten zu Folge "das einfachste der Saison" gewesen ist. So sah es von außen auch aus.
McLaren Für Ron Dennis ist der Konstrukteurstitel ebenso wichtig wie der Fahrertitel. Entsprechend wird der Perfektionist über den zweiten Titelverlust gegen einen große Teile des Jahres unterlegenen Gegner alles andere als erfreut gewesen sein. Aber ausgerechnet beim entscheidenden Rennen waren seine beiden Silberpfeile etwas stumpf. Zudem musste Montoya wieder einmal vorzeitig aufgeben. Nicht umsonst wurde vor dem Rennen geunkt, dass der Kolumbianer die WM entscheiden würde. Allerdings meinten die bösen Zungen damit eher einen weiteren Unfall, als einen technisch bedingten Ausfall.
Ferrari Eins haben bei Ferrari alle erkannt: Der China GP war ein Sinnbild für die gesamte Saison der einstigen Seriensieger. Wann sonst als beim letzten Rennen eines komplett verkorksten Jahres, sollte Michael Schumacher auf dem Weg in den Grid einen Unfall haben? Wann sonst sollte er sein Auto in einer Safety-Car Phase wegwerfen? Der bereits bei seiner Ankündigung von Luca di Montezemolo unrealistische Sieg in den letzten drei Saisonrennen blieb demnach erwartungsgemäß aus. Jetzt heißt es für die Scuderia die Lehren aus dem Jahr 2005 zu ziehen und dieses danach schleunigst zu vergessen.
Toyota Auch bei Toyota muss man die Lehren aus den Fehlern dieses Jahres ziehen. Aber vergessen werden die Japaner ihre bislang erfolgreichste Saison so schnell nicht. Das gleiche gilt für den China GP, der nach der Enttäuschung von Suzuka einen würdigen Saisonabschluss darstellte. Dass ausgerechnet Ralf Schumacher den TF105B zum zweiten Mal auf das Podest chauffieren sollte, stellt dabei keine Überraschung dar. Bekanntlich kommt Jarno Trulli mit der B-Version seines Arbeitsgerätes ebenso wenig zurecht, wie Ralf mit dessen Vorgängermodell.
Williams In Japan noch gefeiert, zogen die Weiß-Blauen bei ihrer Abschiedsvorstellung mit BMW-Motoren lange Gesichter: Während Mark Webber weniger noch in die Punkteränge fahren konnte, enttäuschte Antonio Pizzonia abermals. Sein heiß gehandelter Nachfolger Nico Rosberg sah sich das Schlamassel entspannt aus der Box an. Ob es im nächsten Jahr mit Cosworth-Motoren aber besser laufen wird, bleibt abzuwarten.
B·A·R Honda Bei Honda erwartet man sich ein besseres Abschneiden als in dieser Saison. Allerdings dürfte dies nicht allzu schwer fallen. Schließlich ließen die Weißen die erste Saisonhälfte punktemäßig völlig aus. Das Saisonfinale verlief dennoch enttäuschend: Auf das gute Qualifying folgte auf der Achterbahn-Formkurve wieder ein Tal. Besonders enttäuschend war erneut die Leistung von Takuma Sato, der seit der Bekanntgabe seines Wechsels nicht mehr auf der Höhe zu sein schien.
Red Bull Racing Christian Klien erlebte hingegen einen wahren Höhenflug: Der Österreicher ließ den undankbaren neunten Platz der letzten Rennen weit hinter sich und fuhr in seinem besten Saisonrennen auf Platz 5. Damit könnte er sich endgültig das zweite Cockpit bei Red Bull Racing gesichert haben. Für David Coulthard verlief der China GP wie die letzten Rennen von Klien: Gute gestartet und dann auf den ersten punktelosen Platz zurückgefallen. Der starken Debütsaison der roten Bullen konnte das aber nicht mehr schaden.
Sauber Ein würdiger Abschied: Mit Platz 6 schenkte Felipe Massa seinem Team zum Abschluss seines Daseins als Privatteam Sauber Petronas drei WM-Zähler. Nach den eher enttäuschenden Vorstellungen in den letzten Rennen, stellte dies eine erfreuliche Überraschung dar. Peter Sauber kann somit guten Gewissens von der F1-Bühne abtreten und sein Team der Obhut von BMW überlassen.
Jordan Bei Jordan werden unterdessen nur der Name und die Farben ausgetauscht. Die Gesichter in den Teamklamotten bleiben jedoch die gleichen. Leider mögen manche sagen... In Shanghai reichte es für die Gelben im Gegensatz zu Sauber leider nicht zu keinem Abschiedsgeschenk. Stattdessen dürfen sie froh sein, dass Narain Karthikeyan bei seinem heftigen Unfall nichts passiert ist. Die Ex-Truppe von Eddie Jordan beendete ihre F1-Zeit also mit einem großen Knall.
Minardi Zusammen mit Sauber hinterlässt Minardi die größte Lücke im F1-Paddock: Alle werden die sympathischen Italiener und deren unaufhörlichen, aber erfolgreichen Überlebenskampf vermissen. Ab 2006 herrscht bei den Noch-Schwarzen dann der rote Bulle: Die Squadra Toro Rosso wird als Red Bull Rookie Team neu formiert. Das erhoffte Wunder zum Minardi-Abschied blieb in Shanghai leider aus: Keiner der beiden Fahrer kam auch nur annähernd in die Nähe der Punkteränge. Im Gegenteil: Albers erlebte bereits vor dem Start eine Schrecksekunde mit Michael Schumacher. Somit war es aber immerhin ein weltmeisterlicher Abschied.
Ausblick: Die Saison 2006 hat begonnen
Schon kurz nach dem Fallen der schwarz-weiß karierten Flagge des Brasilien GP kündigten Kimi Räikkönen und sein Team an, dass für sie bereits die Saison 2006 und die Jagd nach dem Weltmeister Fernando Alonso begonnen habe. Spätestens jetzt hat auch offiziell die Jagd auf den Doppelweltmeister Renault begonnen.
Einer der Jäger ist dabei ein der ehemalige Dauergejagte: "Wir konzentrieren uns jetzt voll auf das nächste Jahr und unser Anspruch kann nur sein, wieder um die Titel mitzukämpfen", entsandte Michael Schumacher eine klare Kampfansage an die Konkurrenz aus Enstone. "Wenn man sich vor Augen führt, dass die anderen Teams es bei unserer Überlegenheit aus dem letzten Jahr geschafft haben, in diesem Jahr leistungsmäßig so weit vor uns zu liegen, kann es im Rückschluss natürlich auch uns gelingen, 2006 wieder vorn dabei zu sein. Nach einer solchen Saison ist die Lust jedenfalls noch größer!"
Aber nicht nur die Roten aus Maranello werden in der Winterpause alles Menschenmöglich unternehmen, um 2006 wieder den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. "Im nächsten Jahr greifen wir wieder an", wiederholte Kimi Räikkönen nach dem Verlust des zweiten WM-Titels mehrfach. Renault und Alonso wissen also was auf sie zukommt.
Ausruhen werden sie sich auf ihren Lorbeeren allerdings nicht. Schließlich ist der Fahrer- und Konstrukteurschampion aus Oviedo selbst mit seiner "perfekten" Saison, die "nicht besser" hätte verlaufen können, nicht ganz zufrieden: "Ich bin etwas enttäuscht, dass ich nur sieben Rennen gewonnen habe. Denn das Auto hatte das Potenzial 10 oder 11 Rennen zu gewinnen." Der gejagte créateur d'automobiles hat 2006 also ebenfalls ein neues Ziel für 2006.
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