Oft gestaltet sich die FIA-Pressekonferenz derart eintönig, dass danach zahlreiche Bilder von peinlich ermüdeten Formel 1-Protagonisten im Medienwald gepflückt werden können. Und manche gehen auch im Pressesaal hart ans Limit - bis kurz vor dem Einschlafen. Bei der Sitzung am Freitag, in Interlagos, herrschte jedoch eine Art Ausnahmezustand. Was Ross Brawn (Ferrari), Sam Michael (Williams), Pat Symonds (Renault) und Geoff Willis (B·A·R) zu sagen hatten, war allemal von Belang. Und es gibt allerhand interessante Fragen in der Formel 1 der Gegenwart, die geklärt oder analysiert werden wollen...

Die Zuverlässigkeits-Frage

Die Formel 1 der Gegenwart glänzt mit einer ungeahnten Standfestigkeit. Beim Highspeed-Grand Prix auf der die Motoren belastenden Monza-Bahn erzielte man eine Ausfallsrate von Null. Und das mit Motoren, die zwei Rennen aushalten müssen und eigentlich nur für ein einziges Rennen konzipiert wurden. War es jetzt wirklich so schwierig, die Lebensdauer der Zehnzylindermaschinen zu verdoppeln? Pat Symonds versichert, dass man sich am Limit bewegen würde: "Wenn wir die Motoren zerlegen, sehen einige Teile wirklich zum Fürchten aus - aber so soll es ja auch sein. Sie müssen nach dem zweiten Rennen nicht wie neu aussehen..."

Geoff Willis erinnert daran, dass "nicht nur die Motoren, sondern auch die Fahrzeuge insgesamt extrem standfest" geworden sind. Vielerorts spricht man davon, dass die Zuverlässigkeit in dieser Saison so wichtig sei wie schon lange nicht oder gar, dass sie so wichtig sei wie noch nie zuvor und dass die Performance letztlich sogar weniger von Bedeutung sei - Willis kann sich dieser Meinung nicht anschließen: "Die Standfestigkeit war schon immer ein Bestandteil - in jeder Art von Motorsport. Und sie ist heute genauso wichtig, wie sie es immer schon war."

Nicht alle freuen sich auf die V8-Motoren., Foto: Sutton
Nicht alle freuen sich auf die V8-Motoren., Foto: Sutton

Ross Brawn sagt einerseits: "Grundsätzlich ist die technische Herausforderung die gleiche - egal ob ich einen Motor für 300 oder für 1.500 Kilometer zeichne. Es geht um ein Level an Performance, welches man mit einem bestimmten Level an Zuverlässigkeit erreichen kann." Andererseits aber sei es schwierig gewesen, die Lebenszeit eines Motors, der zunächst "nur für kurze Stints konzipiert wurde", auf zwei Rennen zu verlängern, gibt Brawn zu. Bei dem V8-Konzept würde man "von Beginn an wissen, dass der Motor zwei Rennen halten muss", deshalb glaubt Brawn auch, dass die nächstjährigen Aggregate "noch besser", also noch zuverlässiger sein werden. Das Tolle sei zudem, dass man "die Arbeit zuhause am Prüfstand erledigen" könne, freut sich der Ferrari-Stratege. Und auch Sam Michael sieht noch mehr Standfestigkeit, und: "Alle Teams streben eine Zuverlässigkeit von 100 Prozent an."

Die Thronfolger-Frage

Fernando Alonso könnte am Sonntag jüngster Formel 1-Weltmeister werden. Wie verläuft die Arbeit mit dem Spanier? Was für ein Typ ist der 24jährige? All das fragt man den Renault-Techniker Pat Symonds. Natürlich ein "exzellenter Typ", sagt er - aber Symonds weiß auch, dass man "solche Aussagen von mir erwartet". Die große Überraschung sei laut Symonds, dass Alonso überreif sei - "weit über sein Alter hinausgehend".

Symonds hat bei Benetton bereits mit jenem Jahrhundert-Mann gearbeitet, den Alonso möglicherweise beerben wird - mit Siebenfachweltmeister Michael Schumacher. Und der Brite scheut sich nicht, die beiden zu vergleichen - er entdeckt etliche Parallelen: "Schumacher und Alonso haben einiges gemeinsam. Beide sind gut darin, ein Rennen zu lesen, auf das Equipment zu achten. Fernando weiß, wann man schnell fahren und wann man zurückstecken muss. Er hat ein großes Verständnis für die Taktik und er weiß im Rennen immer, was zu tun ist. Und er hat Spaß daran." Alonso wäre jedenfalls ein "würdiger Schumacher-Thronfolger", sagt Pat Symonds.

Die Drittpiloten-Frage

"Großmutter, warum hast du so große Ohren?", hat zwar niemand gefragt im Presszentrum von Interlagos. Aber Geoff Willis soll den anwesenden Journalisten zumindest erklären, warum B·A·R-Honda in den letzten Rennen weniger konkurrenzfähig war, als man das erwarten konnte. Weil man das aber meistens selbst nicht so genau weiß, verliert sich Willis in Allgemeingut - fix jedoch sind die Rennpiloten 2006: Jenson Button und Rubens Barrichello. Ob Takuma Sato im nächsten Jahr den dritten B·A·R fahren darf, ist auch deshalb nicht zu beantworten, weil die Regel, welche den Einsatz von dritten Fahrzeugen betrifft, noch immer ungeklärt ist.

Drittes Auto 2006? Geoff Willis hat keine Ahnung., Foto: BAT
Drittes Auto 2006? Geoff Willis hat keine Ahnung., Foto: BAT

Willis: "Ich habe gehört, dass es da Diskussionen unter den Teams gibt. Ich weiß es wirklich nicht. Im Moment glauben wir, dass die Regel gleich bleiben wird." Dann dürfte Sato den dritten Wagen fahren, wenn er das möchte. B·A·R-Honda müsste in den kommenden drei Läufen rund 50 WM-Punkte aufholen, um eine Top 4-Platzierung zu erlangen - mathematisch möglich, praktisch nicht machbar.

Die Rossi-Frage

Dass Ferrari in diesem Jahr in der Reifenfrage die Vergleichsmöglichkeiten fehlen, ist bekannt. Dass dies deshalb geschah, weil alle Topteams nacheinander zu Michelin überliefen, auch. Ross Brawn freut sich jetzt dafür umso mehr, dass Toyota und Williams 2006 zu den Japanern stoßen. Doch viel mehr brennt die "Rossi-Frage" unter den Reporter-Fingernägeln: Kommt er oder kommt er nicht? Brawn spricht von einem Programm, welches anstehen würde, sollte Valentino Rossi beschließen, in die Formel 1 zu wechseln.

Aber: "Valentino hat bislang keine Entscheidung getroffen. Daher denke ich, dass wir abwarten müssen. Er befindet sich noch mitten in einer laufenden Saison und ist für 2006 in der MotoGP-WM unter Vertrag. Aber sollte er sich für einen Wechsel entscheiden, denke ich, dass ich einen Weg aufgezeichnet habe, wie man dies meiner Meinung nach am besten umsetzen könnte." Dass Rossi sich bereits insofern an die Scuderia gebunden hätte, indem er sich dazu verpflichtet habe, einen möglichen Formel 1-Einstieg ausschließlich im roten Renner zu bestreiten, wischt Brawn mit einem Zitat vom Tisch: "Wie unser Präsident schon gesagt hat: Niemand setzt ihm die Pistole an die Stirn."

Die Rosberg-Frage

Wird GP2-Ass Nico Rosberg schon in Japan und China in einen Williams klettern? Sam Michael verrät, dass Rosberg "definitiv auf unserer Liste für die Zukunft steht". Aber: "Ob er in den letzten Saisonrennen im Williams sitzen wird, das entscheidet Frank Williams von Rennen zu Rennen. Und ich würde sagen, dass es eher unwahrscheinlich ist." Unmöglich sei es aber auch wiederum nicht. Jedenfalls streut der Williams-Chefdesigner dem Sohn von Ex-Weltmeister Keke viele Rosen, Nico Rosberg zählt zu den heißen Eisen aus der neuen und äußerst beliebten Talentschmiede GP2.

Die Geflügel-Frage

Mit einem Beschnitt der Aerodynamik möchte man das Überholen erleichtern, eine alte Geschichte. Neu ist jene Methode, die Abtriebswerte generell zu limitieren und nicht die Bauteilgrößen zu bestimmen, wie dies FIA-Präsident Max Mosley andeutete. Geoff Willis mahnt ein, dass man die Reduktion der Aerodynamik "auf einer wissenschaftlichen Ebene" gründlich klären müsse. Ein komplexes Thema...Nico Rosberg im überholfreundlichen GP2-Boliden., Foto: Sutton

Nico Rosberg im überholfreundlichen GP2-Boliden., Foto: Sutton

Absurd: Während in der Formel 1 die Frontwings immer weiter nach oben rückten, überraschten die GP2-Boliden, deren Frontflügel nur knapp über dem Boden liegen, mit einer Überholfreundlichkeit, da sind sich Willis und Michael einig. Die GP2-Autos seien "durch Zufall" etwas geworden, woraus "wir etwas lernen können", sagt Michael. Und: "Wir haben die Frontflügel immer mehr angehoben - sicherlich werden damit die Rundenzeiten höher, doch damit erschwert man auch das Nachfolgen hinter einem anderen Fahrzeug."

Dass man wegen einer limitierten Downforce künftig weniger oft in den Windkanal gehen würde, wie sich das die im Sparmaßnahmenrausch befindende Motorsportbehörde FIA erhofft, ist für Pat Symonds ein Märchen: "Auch wenn der Anpressdruck limitiert wäre, würde man dennoch versuchen, diesen Anpressdruck mit dem geringsten Luftwiderstand zu erzeugen." Ross Brawn erinnert daran, dass man die Downforce auch deshalb reduzieren müsse, um die Geschwindigkeiten zu reduzieren - diese seien in einen "kritischen Bereich" geraten. Dass man natürlich auch das Überholen erleichtern müsse, dem stimmt auch Brawn zu. Und er kann auch bestätigen, dass man in der letzten Zeit "die falsche Route eingeschlagen" habe.

Ross Brawn dramatisch: "Als Michael Schumacher bei einem der letzten Rennen ein Teil des 'Trulli-Zuges' war, also hinter ihm festsaß, fragte ich Michael: 'Um wie viel kannst du schneller fahren?'. Und er sagte: 'Ich fahre so schnell wie ich kann, ich kann nicht mehr schneller fahren!'. Doch als Jarno an die Box kam, fuhr Michael plötzlich um 1,5 Sekunden schneller. Das lag daran, dass der Wagen so ein schlechtes Fahrverhalten hinter einem anderen Auto entwickelt. Wir müssen das ändern, denn das zerstört die Rennen. Ich glaube nicht, dass wir eine dramatische Erhöhung der Überholmanöver benötigen - aber wir brauchen ganz sicher kleinere Abstände zwischen den Autos, wo man dicht hinter dem anderen herfahren, aufholen, auf gleiche Höhe aufschließen und schließlich attackieren kann. Derzeit kannst du dich 50 bis 100 Meter an ein anderes Fahrzeug heranwagen, dann ist Schluss. Näher kannst du nicht ran fahren."

Die Qualifying-Frage

Immer noch weiß niemand, welcher Qualifying-Modus im kommenden Jahr angewandt wird - dabei gab es doch solch großartige Publikumsbefragungen. Am Freitagmorgen wurde in Interlagos ein Meeting abgehalten. Renault-Konstrukteur Pat Symonds erzählt, dass sein Boss Flavio Briatore den Modus ändern wolle: "Es gab ja diesen Vorschlag, dass man alles beim Alten lassen und man lediglich für die Startreihenfolge das 4. Freie Training heranziehen wolle, doch das ist Flavio zu wenig." Briatore reichte jenen Ausscheide-Modus ein, welcher bereits in den auf der offiziellen Formel 1-Website veröffentlichten Vorschlägen enthalten war. Dieser soll nun angeblich erst für 2008 angedacht sein.

Der Briatore-Vorschlag sieht jedoch Rennbetankung vor, also nicht jenen Low Fuel-Modus, den doch einige Fans herbeisehnen. Bei dem Meeting wurde der Vorschlag zumindest "nicht abgewiesen", verrät Symonds. Es sei also immer noch möglich, dass der Qualifikationsmodus geändert werden könnte - allerdings müsse man dabei sicherlich einen Kompromiss eingehen, da die Autos ja längst konstruiert wurden, fügt Symonds hinzu. Und überhaupt: "Man muss da sehr vorsichtig sein. Unser Geschäft ist das Rennen am Sonntag. Ich denke, wir messen dem Qualifying vielleicht zu viel Bedeutung zu. Das Rennen ist wichtig. Wenn wir das Qualifying auf Kosten der Rennspannung verändern würden, wäre das ein großer Fehler."