"Wie könnte ich einen Sieg versprechen - in der jetzigen Situation?", fragt Jean Todt deprimiert zurück in Richtung Heinz Prüller, der den Ferrari-Rennleiter in einem Krone-Interview daran erinnert, dass Präsident Luca Montezemolo für dieses Jahr noch einen Sieg "fordert". Und weil sich der Franzose in den letzten Tagen und Wochen immer wieder die gleichen Erklärungen abringen lassen musste, spricht Todt im Telegrammstil: "Unser Problem: Kein Grip. Das wird sich auch in Spa nicht ändern. Vielleicht nachher." Einen Funken einer Chance sieht er "höchstens bei Regen, aber nur auf nasser, nicht auf feuchter Strecke".

Getrübte Vorfreude

Düstere Aussichten also - und auch die Vorfreude des erklärten Spa-Liebhabers Michael Schumacher ist "getrübt", wie der Siebenfachweltmeister auf seiner Internetseite schreibt. Er habe den Eindruck, man werde auch in Spa "nicht allzu gut aussehen", gibt Schumacher zu. Trotzdem sei das Ardennen-Gastspiel "immer etwas Besonderes, das will ich gar nicht leugnen". Und: "Ich liebe diese Strecke, sie ist ganz nach meinem Geschmack: Technisch herausfordernd, eine echte Aufgabe, und landschaftlich wunderschön. Mal abgesehen davon, dass sie nicht allzu weit von meiner Heimatstadt Kerpen entfernt liegt und wir daher meist sehr viel Zuspruch von unseren Fans bekommen haben. Darauf hoffen wir auch diesmal, und dann freuen wir uns auf ein hoffentlich schönes Wochenende. Wir werden kämpfen, darauf können unsere Fans und Gegner bauen."

Roter Alarm

Dieser Zuspruch war in Monza bereits stark reduziert - nur 93.000 Zuschauer strömten in den königlichen Park, rund 25.000 weniger als im Vorjahr. Der Promotor schlug bereits Alarm. Die italienische Presse hat längst auf roten Alarm umgestellt - das Trauerspiel in Monza war inspirierend: Ferrari als Phantom. Ferrari als ein am Strand sterbender Delfin. An einem der schwärzesten Tage der Teamgeschichte. Aber auch die deutschen Medien sind gut darin, aus sportlichen Krisen menschliche Tragödien zu machen - die Bild theatralisch: "Entweltmeistert. Gedemütigt. Verspottet." Am Sonntagabend hat sich Michael Schumacher über das Staatsfernsehen RAI bei den Tifosi für den peinlichen Auftritt beim Heimspiel entschuldigt. Eine große Geste.

Was passiert, wenn Jean Todt geht?, Foto: xpb.cc
Was passiert, wenn Jean Todt geht?, Foto: xpb.cc

Nicht nur in Italien oder Deutschland, sondern, so scheint es, auf der ganzen Welt wird jetzt gegrübelt, wie es so weit kommen konnte. Was in siegreichen Zeiten als Optimum oder als Nährboden für Siege und WM-Titel gegolten hat, ist in Krisenzeiten die Wurzel allen Übels. Dass Ferrari so exklusiv mit Bridgestone kooperiert hat, wurde beim Feiern noch tosend als "starke Achse" begrüßt - heute ist es der Grund dafür, dass Ferrari "in die Isolation geriet". Dass Schumacher sein Dreamteam - Rory Byrne, Ross Brawn,... - von Benetton nach Maranello gelotst hat, wurde jahrelang als einer der Hauptgründe für die noch nie da gewesene Sieges- und Titelserie betrachtet. Heute wiederum befürchtet man, dass sich Ferrari in einem Nichts auflösen könnte. Dann nämlich, wenn am Ende der Saison 2006 Michael Schumacher abdanken und die Schlüsselfiguren mit ihm gehen sollten.

Ernüchterung

Niki Lauda, der für Ferrari zwei Titel an Land zog, erklärte gegenüber dem Express: "Bei Ferrari müssen sie sich den Kopf zerbrechen, wie es überhaupt weitergeht. Es gibt ja die ungewöhnliche Situation, dass die Verträge der Schlüsselfiguren wie Todt und Brawn an Michaels Vertrag gekoppelt sind. Das ist komisch, in normalen Teams gibt´s das nicht." Und: "Sie müssen dringend mit Michael sprechen und diesen Knoten irgendwie lösen. Wenn Michael nicht rechtzeitig sagt, wann er aufhört, kriegen die ein Riesenproblem."

Lauda: Schumacher muss sagen, wann er aufhört!, Foto: Sutton
Lauda: Schumacher muss sagen, wann er aufhört!, Foto: Sutton

Es scheint, als wäre durch die Krise eine weltweite Ernüchterung eingetreten - man erkennt, dass Michael Schumacher keine 30 mehr ist. Und dass auch Leute wie Todt, Byrne, Brawn oder Martinelli nicht ewig auf der roten Kommandobrücke sitzen werden. Ein italienischer Journalist fordert vehement den Verbleib von Jean Todt. Alberto Antonini schreibt in der Autosprint: "Nach Enzo Ferraris Tod wollten zu viele Leute regieren. Das darf nicht wieder passieren. Jean Todt ist die größte Stärke im Team. Wenn er weitermacht, ist die Krise bald vorbei. Wenn Schumi geht, ist das nicht das Ende von Ferrari - aber wenn Todt geht, wird es schwierig."

Doch Kimi Räikkönen?

Todt selbst erklärt im eingangs erwähnten Krone-Interview: "Wir wünschen uns, dass Michael in der Formel 1 bleibt, so lange er will - Ferrari wird für ihn immer ein Auto haben. Aber Ferrari muss sich weiter bewegen, auch mit jüngeren Menschen. Wir wollen überall stark sein: Bei Fahrern, Ingenieuren, Technikern..." Als Prüller nachhakt und wissen möchte, ob es konkrete Vorverträge mit Kimi Räikkönen oder Zweiradstar Valentino Rossi geben würde, antwortet Todt kryptisch: "Diese Frage habe ich dir soeben beantwortet."

Kimi Räikkönen bald in Rot?, Foto: Sutton
Kimi Räikkönen bald in Rot?, Foto: Sutton

Also doch Kimi Räikkönen ab 2007 im roten Boliden? Sogar Bernie Ecclestone glaubt an ein solches Szenario. Dass Räikkönen zu den stärksten Fahrern zu zählen ist, hat der Finne längst bewiesen. Und McLaren-Mercedes spuckt ihm derzeit so viele Defekte in die Titelsuppe, dass ein Wechsel nach Maranello zumindest nicht völlig abwegig erscheint. Doch das sehen nicht alle so - Helmut Zwickl schreibt in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Motorsport Aktuell: "Natürlich fallen wir Trottel immer wieder auf seine Spielchen herein..." Gemeint ist Schumacher-Manager Willi Weber, der es "meisterhaft versteht, auf dem Medienklavier zu spielen", und mit lancierten Mercedes-Geheimverhandlungen den Vertragspoker um das nächste Schumacher-Gehalt gewinnen möchte, glaubt der langjährige Formel 1-Journalist.

Das schmerzhafte Ende einer Erfolgs-Ära

Eines ist sicher: Felipe Massa kann nicht der Mann sein, der in die Fußstapfen von Michael Schumacher steigt und eine neue Ära in Maranello beginnt. Ferrari steht mächtig unter Druck. Einerseits muss die Formkrise kurzfristig gelöst werden. Und da befürchten bereits viele Experten, dass man die Probleme mit in die kommende Saison tragen wird, sollten sich nicht bald Erfolge einstellen. Und andererseits muss sich Ferrari langfristig neu formieren. Außerdem betritt man mit dem V8-Motor bislang unbekanntes Terrain.

Eines scheint klar zu sein: Hinter all dem steckt die Angst, dass die Scuderia Ferrari nach der erfolgreichsten Ära ihrer langjährigen Teamgeschichte wieder Jahre oder gar Jahrzehnte der Bedeutungslosigkeit erleben könnte. Diese Angst ist nicht unbegründet. Denn bekanntlich hat alles ein Ende. Die Ära Schumacher war/ist ein Ausnahmefall. Und: Dass es mit Sicherheit eine Formel 1 ohne Michael Schumacher geben wird, und dass diese Zeit nicht allzu weit entfernt liegt - damit wird sich auch die deutsche Medienwelt abfinden müssen. Die Ferrari-Krise scheint all das ins allgemeine Bewusstsein zu rücken - der Abschied von der Ära Schumacher wirft seine Schatten voraus - und er wird vielen sehr schwer fallen...