Warum möchte die FIA einen Einheitsreifen einführen?

Pierre Dupasquier: Es gibt drei offizielle Gründen und ich sage nicht ohne Grund offizielle Gründe. Diese sind die Kostenreduzierung, die Verbesserung der Sicherheit und die Sicherstellung dessen, dass kein Team aufgrund der "falschen" Reifen verlieren kann.

Inwiefern würde ein Einheitsreifen die Kosten senken?

Pierre Dupasquier: Ein Einheitsreifen ohne Weiterentwicklung würde die Testkilometer der Teams verringern. Wenn es für ein Jahr nur eine bestimmte Anzahl an Reifentypen geben würde, zum Beispiel einen Trocken- und einen Regenreifen, dann wäre der Reifen immer der gleiche und würde zu Jahresbeginn in hoher Stückzahl produziert.

Es würde also keine Weiterentwicklung oder Tests geben?

Pierre Dupasquier: Deswegen sagte ich 'offizielle' Gründe. Dieser Vorschlag betrifft ein grundlegendes Thema: Der Reifen wird dadurch ein banaler Bestandteil der Autos, der nur dazu da ist, dass die Autos mobil sind. Als der führende Reifenhersteller der Welt können wir das nicht akzeptieren. Im Tagesgeschäft kommen die Hersteller von Straßenautos und Lastwagen zu uns, damit wir die Reifen ständig optimieren. Aber in der Formel 1, der angeblichen Technikschaubühne, sollen die Reifen etwas Banales werden. Das würde für unsere Kunden keinen Sinn machen und dem Image unserer Reifen schaden.

Sind also Kostenreduzierungen in einem Reifenkrieg mit zwei Herstellern nicht möglich?

Pierre Dupasquier: Wir haben unter den aktuellen Regeln bereits eine einschneidende Beschränkung bei der Reifenanzahl vorgenommen: Drei Reifensätze und zwei Reifentypen pro Wochenende sowie ein Reifensatz für das Qualifying und Rennen. Zudem wird über eine Beschränkung der Testkilometer nachgedacht.

Welche Vorschläge hat Michelin unterbreitet?

Pierre Dupasquier: Beim Brasilien GP 2004 machten wir Mr. Ecclestone einen schriftlichen Vorschlag: "Michelin sieht sich dazu in der Lage F1-Reifen zu entwickeln, ohne spezielle Reifentests anzuwenden. Wir können unsere Reifentests auf jene Zeit beschränken, wenn unsere Partnerteams Getriebe oder Aerodynamikteile testen." Dennoch ist auch Michelin unter bestimmten Umständen ein Verfechter von Testfahrten. Wir glauben, dass Reifenfirmen aus Sicherheitsgründen auf neuen oder neu asphaltierten Strecken und Strecken mit veränderten Layouts testen sollten.

Wenn die Vorschläge von Michelin bei mehr als einem Reifenhersteller durchgesetzt werden würden: Welche Kostensenkungen wären dann noch möglich?

Pierre Dupasquier: Wir haben zwei Vorschläge: Weniger Reifentypen und eine Einschränkung der Testkilometer. Bei 800 Dollar Kosten pro Testkilometer würde dies schnell zu vernünftigen Einsparungen führen. Man könnte die Distanzen pro Team auf jährlich 20.000 Kilometer senken. Das wäre eine Ersparnis von 160 Millionen Dollar!

Der zweite Vorschlag ist es die Renn- und Fahrersicherheit zu verbessern...

Pierre Dupasquier: Wenn ein Fahrer zu spät bremst, zu schnell in eine Kurve fährt oder das Hinterrad eines Vorausfahrenden berührt, dann wird das Auto abfliegen - egal ob mit es einen Einheitsreifen fährt oder nicht. In den USA gibt es bereits Serien mit Einheitsreifen. Beispielsweise Nascar, Indy Car und ChampCar. Aber das ist dort keine Garantie für die Sicherheit. In Pocomo sind in der Nascar Serie in diesem Jahr sieben Reifen geplatzt.

Ein weiterer Diskussionspunkt betrifft die faire Behandlung aller Teams. Welche Garantien würde es hierfür bei nur noch einem Hersteller geben?

Pierre Dupasquier: gute Frage. Wenn der Organisator es möchte, dann kann man Mittel wie in der Vergangenheit einsetzen: Man kann die Reifen zufällig verteilen und verhindern, dass ihre Performance durch die Behandlung verbessert wird. Wir haben unsere Teams in unseren Einheitsserien schon oft gebeten sich ihre Reifen selbst auszusuchen.

Könnte die Weiterentwicklung der Reifen einem Auto besser liegen als einem anderen?

Pierre Dupasquier: Ja, das könnte passieren und ich verrate auch warum. Wer die Performance eines F1-Autos optimieren möchte, muss eine komplizierte Balance zwischen den Reifen, der Aerodynamik und der Traktion verstehen. Dies hängt von den Fahrern, der Motorpower und den Rennzwischenfällen und Taktiken ab. Wenn ich ein bestimmtes Team bevorzugen wollte, dann würde ich Reifen entwickeln, die für dessen Paket optimiert sind. Dann würde jeder diesen Reifen erhalten. Selbst wenn die Reifen zufällig verteilt würden, hätte das bevorzugte Team einen Vorteil daraus gezogen. Ein Reifen der für das Paket eines Teams optimiert wurde, dürfte nur eine geringe Chance besitzen auch auf den anderen Autos optimal zu funktionieren. Mir wurde gesagt, dass genau dies mit jenen Teams geschehen ist, die 1999 und 2000 an unsere Tür klopften um Michelin-Reifen zu erhalten. Ehrlich gesagt würde ein Einheitsreifenhersteller das Interesse am Sport nicht erhöhen.

Was sind die Nachteile eines Einheitsreifenherstellers in der F1?

Pierre Dupasquier: Man reduziert das Technikschaufenster auf das Niveau einer Einheitsformel und man würde verhindern, dass es aufgrund des Wettbewerbs zu neuen Entdeckungen und Innovationen kommt.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen der F1 oder anderen Rennserien und dem Alltags-Reifen?

Pierre Dupasquier: Ohne Zweifel: Ja. Allerdings hängt es von der Art des Wettbewerbs ab: Die Spitzenmotorräder profitieren von den Entwicklungen in der MotoGP. So ist der Michelin Pilot Power eine direkte Weiterentwicklung des MotoGP Rennreifens. Rallye-Reifen müssen auf vielen Oberflächen funktionieren und sind eine gute Basis um High-Performance-Reifen zu entwickeln. In der F1 ist die Verbindung natürlich nicht so offensichtlich, aber wenn man die Rolle der Reifen versteht, erlangt man hier jede Menge wertvolle Erfahrung. Es gibt einen ständigen und fruchtbaren Austausch zwischen den Forschungsteams.

Was würde Michelin machen, wenn die FIA Einheitsreifen vorschreiben würde?

Pierre Dupasquier: Diese Frage müssen Sie dem Michelin-Management stellen. Ich weiß nur, dass ein Einheitsreifen nicht mit der Vorstellung der Michelin-Direktoren übereinstimmt. Wenn wir der F1 helfen sollten, würden wir sicherlich unsere Verpflichtungen überdenken. Aber so lange man keinen Holzreifen entwickelt, was unserer Vorstellung eines Reifens grundsätzlich widerspricht, entspricht es dem Geist des Motorsports mindestens zwei Reifenhersteller oder sogar mehr zu besitzen. Man könnte auch ohne Einschnitte bei der Fahrersicherheit oder der Attraktivität des Sports deutliche Sparmaßnahmen erzielen.