Als Juan Pablo Montoya am Sonntag die Ziellinie als Erster überquerte, konnte ich mir ein breites Grinsen in der Kommentatorkabine nicht verkneifen. Was ich mit diesem liebenswürdigen Wahnsinnigen in den letzten Jahren erlebt habe, könnte ein Buch füllen. Ich fürchte, diese Kolumne kann nur einen kleinen Ausschnitt bieten.

Juan Pablo war nie langweilig. 1997 fuhr er Formel 3000 für Dr. Helmut Marko und lebte sogar acht Monate lang in Graz. Im einzigen Kino, das englischsprachige Filme bot, war sein Zuhause. Zwei Besuche bei McDonalds waren Teil des abwechslungsreichen Tagesprogramms. Dass er die Meisterschaft absichtlich sausen ließ, versteht bis heute keiner so recht.

Aber schon damals war klar: Der ist übernatürlich. Dass einer bereits bei Rennhälfte das komplette Feld überrundet hat wie seinerzeit in Pau, hat es wohl auch noch nicht oft gegeben.

1998 machten wir das erste von unzähligen TV-Interviews miteinander. Wir waren uns sofort unsympathisch. Er war arroganter und unwilliger als je ein Nachwuchspilot davor und danach.

Aber irgendwie dürften die zwei Jahre in den USA Wunder gewirkt haben. Denn als ich ihn bei seinem Formel 1-Debüt in Melbourne 2001 wieder vorm Mikro hatte war er wie ausgewechselt: Charmant, gesprächig, witzig, zuvorkommend. Nur als ich den Namen Helmut Marko in den Mund nahm, wäre er mir fast an die Gurgel gesprungen.

Davor hatten wir noch eine Begegnung der anderen Art. Es war Juan Pablos erster Testtag bei Williams, ein kühler Dezembertag in Jerez de la Frontera. Beim Verlassen meines Hotelzimmers kam mir in der Hoteleinfahrt ein 7er BMW mit rauchenden Reifen ziemlich quer entgegen. Zu Tode erschrocken zerrte ich meinen Kameramann in den Grünstreifen. Das Speedlimit dieser malerischen andalusischen Gasse hatte der Neo-F1-Pilot schon vor dem Frühstück um – na ja, sagen wir mal das Dreifache überschritten, unter Berücksichtigung einer großzügigen Messtoleranz. Ich glaube, BMW muss ihm irgendwann empfohlen haben, die Autos doch lieber bei SIXT zu mieten.

Von da an blödelten wir bei den Interviews, dass sich die Balken bogen. Juan, der holländische Boxenreporter Jack und ich. Unsere Streiche waren im humorlosen Fahrerlager gefürchtet. Juan konnte schon mal bei laufender Kamera plötzlich seitlich abgehen um auf einmal mitten ins Interview eines anderen Senders, zum Beispiel mit seinem Kumpel Barrichello zu tanzen.

Leider hat ihn der Formel 1-Moloch irgendwann wieder völlig aufgefressen. Ich wünschte mir manchmal, er könnte mal wieder so ein Jahr Champ Car einlegen.

Gefürchtet war er auch immer teamintern. Die einzige, die ihn je halbwegs in Griff hatte, war Ann Bradshaw. Sie hat als resolute Pressechefin so manches Team durch unruhige Zeiten navigiert. Juan nannte die liebenswürdige, aber bestimmt auftretende End-Vierzigerin immer vor allen Journalisten "Grandma". Andere der inflationär auftretenden Pressepüppchen wären vielleicht heulend davongelaufen, Ann hingegen nannte ihn fortan vor der Weltpresse nur noch "Monster".

Einen Riesenauftritt, der Vorstandvorsitzende an den Rand eines Herzinfarkts treiben könnte, lieferte er bei einer der vielen Interview-Sessions vor Dutzenden Kameras.

Ich hatte am Morgen erfahren, dass Cora Schumacher ihr erstes Kind erwartete und sprach Ralfs Teamkollegen gleich darauf an. Er sah mich verdutzt an. Offensichtlich wusste er noch nichts davon. Urplötzlich brach er während der laufenden Interviews in hysterisches Gelächter aus. Er machte einen Schritt zurück, klopfte sich vor Lachen auf die Schenkel und rief mir dann deutlich hörbar zu: "Is it his?" Offensichtlich hatte er seinem Teamkollegen soviel Lendenkraft nicht zugetraut. Ann Bradshaw hielt ihm sofort wie einem kleinen Buben den Mund zu, und er kicherte unaufhörlich weiter. Irgendwie fehlt sie mir, und ihm sicher auch ein wenig.

Ein weiteres Highlight war ein Zusammenstoss mit meinem Kameramann Michi Panhofer, für den beide nichts konnten. Viele Internet-User haben das Filmchen wohl ohnehin bereits gesehen. Juan lief Michi blindlings in die schwere TV-Kamera holte sich ein tiefes Cut am Hinterkopf. Er dachte wohl zunächst an eine Attacke mit einem Baseball-Schläger. Mit weit aufgerissenen Augen hätte er den armen ORF-Mann am liebsten bis auf die Knochen filetiert, wären nicht Conny und Bernies Pasquale Lattunedu dazwischen gegangen.

Zwei Stunden später mussten wir wieder zu Juan, er hatte trotz der Platzwunde die Pole Position eingefahren. Doch anstatt wie befürchtet als Rache auf den armen Kameramann loszugehen, zeigte er unglaublichen Humor. Er meinte, ob es okay sei, wenn er bei Interviews mit uns in Zukunft den Helm aufließe.

Nach der tollen Pole bat uns ein Williams-Mann im Vertrauen, das doch ruhig öfter zu machen. Juan Pablo hatte aber Humor genug, wenige Tage später den Film des Frontalcrashs mit der Kamera auf seine offizielle Website zu stellen. Schade nur, dass nie jemand gesehen hat, was Michis Kamera während der Auseinandersetzung aufgezeichnet hat. Wir werden es Juan mal schenken, wenn er seine Karriere beendet hat.

Als Simultandolmetscher habe ich ihn immer gehasst. Keiner spricht so schnell in so kurzer Zeit. Dafür haben uns seine Launen immer auf Trab gehalten. Als er in Indy 2003 seine WM-Chancen begraben musste, stapfte er mit Conny noch vor Rennende aus dem Fahrerlager. Gut zehn Mikros vor der Nase, eine Menschentraube rund um ihn, schaffte er es auf dem Weg zum Ausgang – das sind in Indy gut 300 Meter – nichts, nicht ein einziges Wort zu sagen. Und bei einem der exklusiven Einzelinterviews vor drei Jahren schaffte er es, minutenlang auf heiße Fragen so unwillig zu antworten, dass ich ihn fragen musste, ob es ihm Spaß mache, Leute so zu enttäuschen. Wenige Minuten später saß eine attraktive Interviewerin eines anderen Senders bei ihm und er parlierte fröhlich und charmant jede noch so schwachsinnige Frage. Der Typ kann sich einfach nicht verstellen. Aber genau deswegen mag ich ihn so.