Frage an die Technikbosse Ross Brawn (Ferrari), Mike Gascoyne (Toyota), Sam Michael (Williams), Pat Symonds (Renault) und Geoffrey Willis (British American Racing) - im Rahmen der FIA-Pressekonferenz werden die fünf Chefdenker der Königsklasse mit jener Idee des FIA-Präsidenten Max Mosley konfrontiert, welche für die ferne Zukunft eine drastische Reduktion der Aerodynamik, bis zu 90 Prozent Aero-Reduktion, vorsieht. Können sich die Superhirne eine Formel 1 mit flügellosen, mit breiten Slicks versehenen Autos vorstellen? Was sagen die Ritter der Windkanäle, die stets den heiligen Gral des aerodynamischen Abtriebs jagen, zu solch revolutionären Ideen? Eine interessante Studie…

Ferrari-Technikdirektor Ross Brawn bestätigt zunächst, dass die aktuellen Formel 1-Autos aufgrund der Aerodynamik alles andere als überholfreundlich sind, da der Hintermann im Windschatten eines Konkurrenten mit einem instabilen Fahrzeugverhalten bestraft wird. Dann sagt Brawn aber auch: "So lange ich denken kann, ist die Formel 1 hinter dem heiligen Gral der Aerodynamik her. Das wäre eine sehr große Veränderung und daher ist es schwierig für die Leute, die schon so lange in der Formel 1 arbeiten, hier eine ausbalancierte Sichtweise an den Tag zu legen. Wir alle haben sehr viel Geld in Windtunnels und Aerodynamik-Programme investiert. Und die Perspektive, dass die Aerodynamik derart unwichtig werden könnte, ist keine angenehme Angelegenheit für uns. Aber das könnte es in der Zukunft dennoch sein. Die Formel 1 muss sich überlegen, wie die Autos in vier oder fünf Jahren aussehen sollen. Ich denke, es gibt einige gute Gründe dafür, dass ein hoher Reifen-Grip und weniger Downforce besseren Rennsport bringen könnten."

Pat Symonds mahnt zur Vorsicht - man solle vor allem beachten, was die Hinterreifen tun, wenn es darum geht, das Überholen zu erleichtern. Symonds sträubt sich gegen ein simples weiteres Reduzieren der Aerodynamik: "Niemand weiß, ob das ein linearer Effekt ist. Das kann gefährlich werden." Außerdem sehe er die Formel 1 nicht in einer Krise, man dürfe aber auch nicht "selbstgefällig" werden.

Sam Michael erklärt, dass jede Änderung "eine Menge an Analysen" voraussetze: "Als ich erstmals diesen Vorschlag einer neunzigprozentigen Downforce-Reduktion las, war ich überrascht, denn dann wären wir auf einem Level mit den Touring Cars. Und auch ich gehöre zu den tief verwurzelten Personen dieser Serie und betrachte die Formel 1 als aerodynamische Herausforderung. Meine erste Reaktion auf diesen Vorschlag war: Das geht zu weit…"

Willis: Überholen wurde nach letzter Änderung noch schwieriger!

Geoff Willis warnt davor, sich "einfach hinzusetzen und zu sagen: Wir erleichtern das Überholen, wir machen eine Regeländerung". Als Beispiel nennt Willis die aktuellen Regeländerungen: "Wir sehen es gerade - es sieht so aus, als wäre das Überholen mit den aktuellen Fahrzeugen noch schwieriger als im letzten Jahr. Es ist nach den neuesten Regeländerungen viel härter, dicht hinter einem anderem Fahrzeug herzufahren. Das war also eine relativ geringe Reduktion an Downforce, die jedoch nicht geholfen hat. Daher müssen wir diese Fragen wirklich gründlich studieren…" Laut Willis geht es in dieser Frage um eine Balance zwischen dem mechanischen und dem aerodynamischen Grip - diese müsse verändert werden. Zudem aber müsse die Formel 1 die oberste Motorsport-Serie bleiben, warnte Willis.

Und auch Mike Gascoyne warnt vor einem "Hüftschuss". Sicher seien sich die Experten darüber einig, dass ein Verändern des Quotienten zwischen Aero- und Mechanik-Grip hilfreich für das Überholen sein könnte. "Aber wir müssen als eine Gruppe von Experten sicherstellen, dass wir den Sport künftig nicht nur verändern, sondern dass wir ihn auch wirklich verbessern."

Aerodynamikreduktion: Massiver Gegenwind...

Die Superhirne der Formel 1 bestätigen also, dass eine Reduktion des aerodynamischen Abtriebs bei gleichzeitiger Erhöhung des mechanischen Grips (Slicks) hilfreich sein könnte, warnen zugleich aber vor voreiligen Schlüssen und einem einfachen linearen Abbau der Downforce. Zugleich lassen sie auch durchblicken, dass sie nicht gewillt sind, ihre jahrzehntelange Jagd nach Abtriebswerten, ihre Investitionen in eigene Windlkanäle einfach so zu opfern, weil für sie die Windkanalforschung eine der Hauptsäulen ihrer Herausforderung darstellt.

Max Mosley kann sich also bereits ein Bild jenes Gegenwinds machen, der ihm bei einem solch radikalen Vorschlag wie von ihm angesprochen ins Gesicht wehen wird. Mosley hat mit seinem 90 Prozent-Reduktionsvorschlag an einem Heiligtum gekratzt - ob mehr Überholmanöver oder nicht - die Aerodynamik ist die heilige Kuh der Formel 1. Um sie wird hart gekämpft werden, selbst wenn ihre Reduktion den Sport verbessern könnte. Wer immer eine neue und bessere Formel 1 herbeizaubern möchte, muss gegen diese heilige Kuh ankämpfen…