Bunt gemischt wie noch nie in dieser Saison präsentierte sich das Zeitentableau am Freitag in Österreich. Zum ersten Mal 2015 erzielte kein Mercedes-Pilot im zweiten Freien Training die Bestzeit, denn mit Sebastian Vettel behielt ein Ferrari-Mann die Oberhand. Erst an zweiter Stelle kam mit Nico Rosberg der beste Silberpfeil-Fahrer, WM-Leader Lewis Hamilton musste sich sogar nur mit dem fünften Rang begnügen.

Über allzu viel Aussagekraft verfügt das Ergebnis allerdings nicht, da sich der Red Bull Ring ausgesprochen rutschig präsentierte, viele Fahrfehler passierten und sich die Rückschlüsse für das Qualifying am Samstag somit in Grenzen halten. Hamilton gelang es beispielsweise gar nicht, eine brauchbare fliegende Runde auf den superweichen Reifen zu fahren, was den für seine Verhältnisse ungewohnten fünften Platz erklärt.

Räikkönen schockt Mercedes

Räikkönen war mit vollen Tanks schnell unterwegs, Foto: Sutton
Räikkönen war mit vollen Tanks schnell unterwegs, Foto: Sutton

Wesentlich mehr Aussagekraft hatten hingegen die mit vollen Tanks abgespulten Longruns. Wie schon vor dem Rennwochenende vermutet worden war, scheinen die Spitzenteams in Österreich deutlich enger als noch bei den letzten Rennen zusammenzuliegen - und das ist nicht nur wegen der vergleichsweise kurzen Rundenzeiten in Spielberg. Die Gegner von Mercedes haben offenbar aufgeholt.

Wie stark Ferrari auf dem Red Bull Ring ist, lässt Kimi Räikkönens Longrun mit den weichen Reifen erahnen. Der Finne lag konstant unter jenen Werten, die Nico Rosberg in den kühlen steirischen Asphalt brannte, und demonstrierte, dass mit der Scuderia zu rechnen ist, was im Mercedes-Lager nicht unbemerkt blieb. "Die roten Autos sind hier sehr stark. Sie zeigten eine sehr beeindruckende Pace, sowohl mit viel als auch mit wenig Benzin", zog Rosberg den Hut.

Räikkönen nahm seine gute Performance hingegen gewohnt stoisch zur Kenntnis. "Es gibt immer noch ein paar Dinge zu verbessern. Aber es war nicht so schlecht", meinte der Finne. Etwas euphorischer war da schon Motorsport-Magazin.com-Experte Christian Danner: "Ich glaube schon, dass Ferrari näher dran ist als vor Montreal", hat er die Scuderia dick auf der Rechnung. "Ich glaube, dass das ganz gut läuft für Ferrari."

Von Williams liegen nur ausgesprochen wenige Longrunzeiten auf den weichen Reifen vor, dafür wird bei einem Blick auf Pastor Maldonados Daten, der im zweiten Training überraschend den vierten Platz belegte, klar, dass Lotus im Rennen keine Gefahr für die Spitze darstellen wird, sondern sich vermutlich mit Force India, Toro Rosso und womöglich Red Bull um die Plätze dahinter duellieren wird.

Auch Williams mischt mit

Wie sich das Kräfteverhältnis zwischen Mercedes und Ferrari auf den superweichen Reifen darstellt, ist schwierig einzuschätzen. Räikkönen absolvierte gar keinen Run auf der weicheren der beiden Mischungen, da er sich seinen Satz mit wenig Sprit im Tank ruinierte, und bei Sebastian Vettel schlug bereits nach drei Runden der Technikteufel zu.

Massa stand im Vorjahr auf der Pole Position, Foto: Sutton
Massa stand im Vorjahr auf der Pole Position, Foto: Sutton

Auch Hamiltons Zeiten müssen mit Vorsicht genossen werden, weil sich die Pneus des Briten nach dessen wildem Ritt über den Red Bull Ring nicht mehr im besten Zustand befanden. Hamilton schrieb als beste Supersoft-Zeit 1:12.463 Minuten an, während es sein Teamkollege Rosberg gegen Ende der Session mit frischeren Reifen auf 1:12.159 brachte.

Den längsten Supersoft-Longrun der Spitzenpiloten absolvierte Felipe Massa. Der Brasilianer bewegte sich auf seinen schnellsten Runden zwischen dem Niveau von Rosberg und Hamilton und unterstrich damit, dass Mercedes in Spielberg wohl nicht nur mit Ferrari, sondern auch mit Williams rechnen muss. Im Vorjahr gelang es dem britischen Traditionsteam überraschend, die komplette erste Startreihe zu besetzen, wenn auch nur dank Fehlern der Mercedes-Piloten.

Im Williams-Lager ist man jedenfalls positiv gestimmt, dass der mit zahlreichen Updates ausgestattete und vom gewohnt leistungsstarken Mercedes-Motor befeuerte FW37 ein Anwärter auf die absoluten Spitzenplätze ist. "Ich denke, wir haben einen Schritt nach vorne gemacht", meinte Valtteri Bottas. "Die zweite Reihe ist auf jeden Fall möglich. Die Top-3 sind das Ziel für das Qualifying." Und Massa fügte hinzu: "Die Longruns schauen stark aus."

Reifen bauen kaum ab

Neben dem Umstand, dass wegen der hohen Leistungsdichte mit einem spannenden Rennen zu rechnen sein sollte, zeigen die Longruns aber auch noch etwas anderes: Die Reifen bauen kaum ab, auch nach einer Vielzahl von Runden ist der Zeitverlust nur minimal. Somit dürfte es wie schon zuletzt in Monaco und Kanada auf ein Ein-Stopp-Rennen hinauslaufen, was die strategischen Möglichkeiten stark einschränkt.

Nur schwere Verbremser setzen den Reifen zu, Foto: Sutton
Nur schwere Verbremser setzen den Reifen zu, Foto: Sutton

"Ich hoffe auf ein wenig Regen, damit ein bisschen Überraschungsmoment in die Sache kommt. Ansonsten wird es ein Ein-Stopp-Rennen - da bin ich mir ziemlich sicher", fürchtet Pirellis Motorsportchef ohne Hilfe des Wettergotts einen langweiligen Grand Prix. Christian Danner drückte es noch dramatischer aus: "Man könnte das Rennen mit den Supersofts fast durchfahren. Es gibt keinen Verschleiß."

Aufgrund des geringen taktischen Spielraums wird es umso wichtiger sein, einen guten Start zu erwischen, da der Red Bull Ring trotz seiner beiden DRS-Zonen nicht unbedingt zum Überholen einlädt. "Es ist hier ein bisschen wie in Monaco", meinte Nico Hülkenberg.

Als große Unbekannte muss das Wetter angesehen werden, vor allem am Samstag zum Qualifying sind Regenschauer nicht ausgeschlossen. Sollte der Himmel auch am Sonntag seine Schleusen öffnen, könnte dies vor allem der Heimmannschaft Red Bull Racing in die Karten spielen - Daniel Ricciardo und Daniil Kvyat müssen wegen des Einsatzes des bereits fünften Motors von ganz hinten starten. Bleibt es hingegen trocken, rechnet man sich im Lager der Bullen kaum Chancen auf Punkte aus.

Fazit: Trotz des ungewöhnlichen Trainingsresultats wäre es eine Überraschung, sollte die Pole Position schlussendlich nicht an Mercedes gehen - zur Not können die Silberpfeile noch immer etwas mehr Power als die Konkurrenz abrufen. Die Ausgangslage für das Rennen scheint hingegen völlig offen. Ferrari und Mercedes agieren auf Augenhöhe und auch Williams ist mit dem neuen Aero-Paket keineswegs zu unterschätzen.