Der angebliche neueste Umtrunk von Kimi Räikkönen sorgt für Aufsehen in der internationalen Medienlandschaft - die Story übertrifft vielerorts die Berichterstattung über den nagelneuen McLaren-Mercedes MP4-20, der seit gestern in Barcelona getestet wird. Die seriösen Kollegen von Grand Prix schreiben: "Wir berichten generell nicht über das Privatleben der Formel 1-Piloten", aber: Das Thema sei im Rahmen des Car-Launches derart präsent gewesen, dass man "sich fragen muss, in wie weit die Affäre den Fahrer oder das Team beeinträchtigen könnte..."

Nachdem seine Vorgesetzten bereits ernste Worte in den Medienwald gestellt hatten, hat sich Kimi Räikkönen persönlich zu dem angeblichen Vorfall in einem Londoner Stripteaselokal geäußert.

Zuvor hatte bekanntlich ein Freund des Finnen den Vorfall - die Zeitschrift People berichtete, Räikkönen habe sich in dem Lokal mit dem Namen "For Your Eyes Only" nicht nur auffällig verhalten, sondern sich auch vor jungen Damen entblößt – telefonisch als "absoluten Müll" bezeichnet. Das Dementi von Räikkönen klingt jedoch ein wenig halbherzig – er weicht einem klaren "Nein, das ist nicht passiert" geschickt aus.

Als er im Rahmen der MP4-20-Präsentation auf den Vorfall angesprochen wurde, sagte Räikkönen: "Ich weiß, was Sie mit dieser Frage versuchen, aber das alles wird mich nicht langsamer machen. Es ist mein Privatleben – was ich im Auto mache, ist eine andere Geschichte, denn ich kann mit Sicherheit sagen, dass ich für das Team wirklich alles gebe. Das ist Teil des Lebens. Man darf nicht immer alles glauben, was in der Zeitung steht. Das ist in meinem Fall ja nicht das erste Mal und nach einer Weile gewöhnt man sich auch daran."

Klarerweise darf man den Zeitungen nicht immer alles glauben – nur im Falle Räikkönen gab es wie er sagt bereits zuvor solche Meldungen und diesen wurden jeweils Bilder des vom Schiff stürzenden oder aus der Disko torkelnden "Icemans" hinzugefügt. Auch auf Gran Canaria soll sich Räikkönen entblößt haben. Und auch im aktuellen Fall gibt es klare Aussagen des Lokalmanagers sowie Augenzeugenberichte. Eines ist natürlich auch klar: Schlagzeilen wie diese sind immer auch Werbung für das Lokal…

Wie dem auch sei – allein das Vorhandensein solcher Meldungen stellt für das sterile Image von McLaren-Mercedes ein großes Problem dar. Das Team und die Sponsoren sind ganz sicher "not amused"…

Man könnte jetzt aber auch reklamieren: Man möchte doch wieder mehr Charakterköpfe in der Formel 1 haben - jetzt solle man sich nicht über die Exzesse des Kimi Räikkönen aufregen. Das ist prinzipiell absolut richtig. Sie sollen schillern, sie sollen auch ihre Feste feiern, sie sollen in Saus und Braus leben – wie einst James Hunt oder Jochen Rindt. Dagegen ist wirklich nichts einzuwenden - jeder soll tun, was ihm Spaß bereitet….

Im Falle Räikkönen scheint man jedoch einem Irrtum zu erliegen. Der Begriff Charakterkopf ist nicht zwingend oder gar ausschließlich mit Alkohol in Verbindung zu bringen. Charakterköpfe sollen oder können das Leben bereichern, es einfärben, können mit ihrem Stil und ihrem Auftreten die Blicke auf sich ziehen. Aber: Wahre Charakterköpfe lassen nicht bei jeder Gelegenheit respektive bei jedem Promillegehalt über 1,0 die Hosen runter. Das ist ein wenig billig - von einem Exzentriker wie Marylin Manson beispielsweise sind solch primitive Diskoauftritte nicht bekannt, und dieser Mann führt offensichtlich ein nicht ganz unaufgeregtes und zuweilen auch recht schräges Leben.

Es scheint wie so oft um die kleinen aber feinen Unterschiede zu gehen. Ein im Rahmen einer ausgelassenen Party im Suff vorgetragenes und dementsprechend entartet klingendes Musikstück beispielsweise kann nahe an die Grenze des Ertragbaren gehen - jemand, der dann unbedingt "Klein-Kimi" (eine Wortkreation der Kollegen von Sport-Bild) zur Schau stellen will, überschreitet diese Grenze jedoch offensichtlich. Im Falle Räikkönen kommt schlicht und einfach ein Problem mit dem Gesetz hinzu, denn es handelt sich de facto - sollten die Aussagen des Lokalmanagers stimmen - um sexuelle Belästigung. Die jungen Damen, die in der People-Story erwähnt wurden, sollen laut dem zitierten Lokalbesitzer schockiert und verstört gewesen sein. Und auch "diese Leute" haben das Recht darauf, dass man ihren Worten Glauben schenkt. Auch wenn es "nur" ein Striptease-Lokal war…

Man sollte aber auch bedenken: Kimi Räikkönen steht unter einer Art Alltags-Zwang. Er muss stets aufpassen, was er sagt. Er trägt nach außen ein cooles, zuweilen unnahbares Image. So will ihn McLaren, so will ihn Ron Dennis haben - als "Iceman", als kühlen Finnen, der schmallippig und ultracool seine Siege einfährt. Der Mensch hinter dieser engmaschigen Fassade scheint jedoch von Zeit zu Zeit vulkanartig auszubrechen und wild um sich zu schlagen. Doch damit ist er ganz sicher nicht allein. Millionen von Menschen ertränken am Weekend in der Disko ihren Alltags-Frust. Nicht alle jedoch lassen dann auch ihre Hosen runter – das sollte Kimi künftig besser sein lassen. Die Vorstellung, dass aufgrund der Vorbildwirkung Räikkönens nun tausende Jugendliche mit heruntergelassenen Hosen in den Diskos dieser Welt anzutreffen sind, ist zwar nicht dramatisch, aber auch nicht wirklich appetitlich.

Ansonsten aber sollte auch für Kimi Räikkönen gelten: So lange man niemanden vor den Kopf stößt oder gar schädigt, sollte man machen dürfen, was man will.