Der neue McLaren-Mercedes MP4-20 hat in Barcelona das Licht der Welt erblickt – das Paket für 2005 ist geschnürt. Jetzt wird getestet. McLaren-Geschäftsführer Martin Whitmarsh nahm zu den wichtigsten Fragen der kommenden Saison Stellung. Die Regeländerungen stehen natürlich im Vordergrund – laut Whitmarsh haben diese die Entwicklung des gesamten Autos beeinflusst. Und: Es wird in dieser Saison wieder ordentlich mit Runden gegeizt werden – Racefans vor Ort sollten Lesestoff oder Strickzeug nicht vergessen.

Welche Änderungen in punkto Reifen hat das neue Regelwerk bewirkt?

Martin Whitmarsh: Bislang war die einzige Einschränkung, dass, welches Set auch immer am Samstag im Qualifying verwendet wurde, wir dieses dank der Parc Fermé-Regel dann auch beim Start des Rennens einsetzen mussten. Daher wurden die Reifen ein elementares Element in der Boxenstoppstrategie – bei den Stopps konnte man dann neue oder bereits abgefahrene Reifen verwenden. In der kommenden Saison muss man die Reifen, die man im Qualifying zum Einsatz brachte, das gesamte Rennen über verwenden. Das heißt sie müssen viermal so lange halten. Das bringt eine große Änderung in der Philosophie mit sich, was die Reifenentwicklung betrifft.

Welche Herausforderungen sind dadurch für McLaren und Michelin entstanden?

Martin Whitmarsh: Während Abnützung und Haltbarkeit wichtige Faktoren waren, war vor allem die Performance in der ersten Runde signifikant. Denn gewöhnlich musste der Reifen danach für nicht mehr als ein Renndrittel halten. Klarerweise verfügt Michelin über die Kapazität, einen Reifen zu bauen, der viel mehr als eine Renndistanz hält. Aber es gibt immer den Kompromiss zwischen Langlebigkeit und Performance. Die große Herausforderung besteht nun darin, die Abnützungscharakteristika der verschiedenen Rennkurse miteinzubeziehen. Denn das variiert von Strecke zu Strecke, es variiert auch vom Beginn des Rennwochenendes bis zu dessen Ende. Wir werden an den Freitagen relativ wenig Wahlmöglichkeiten haben, wenn wir uns für eine der zwei Reifen-Spezifikationen entscheiden müssen.

Wie wird sich das auf den Umgang mit den Reifen auswirken?

Martin Whitmarsh: Es ist offensichtlich, dass es nicht einfach ist, einen Reifen zu entwickeln, der ein ganzes Rennen über hält. Wir heizen die Reifen vor dem Einsatz auf, denn die Komponenten sind dahingehend ausgelegt, dass sie bei bestimmten Temperaturen optimal arbeiten. Ist der Wagen dann auf der Strecke, wird diese Temperatur von der Masse an Lauffläche erzeugt, man braucht also eine gewisse Menge an Gummi an der Lauffläche. Signifikant wird dieser Umstand beim letzten Tankstopp werden. Die Reifen werden abkühlen und dann wird es schwer sein, sie wieder auf Temperatur zu bekommen, da sie nicht mehr über so viel Lauffläche verfügen. Wenn es schlecht läuft, hat man dann im letzten Stint eine schlechte Reifenperformance, da man nicht in der Lage ist, sie auf Temperatur zu bekommen.

Welche Revisionen wurden in punkto Motorenregel notwendig?

Martin Whitmarsh: Die Motoren müssen jetzt doppelt so lange halten, das sind rund 1500 Kilometer. Das ist wie bei den Reifen – man kann natürlich einen Motor bauen, der die ganze Saison über hält. Aber es geht um den Kompromiss zwischen Langlebigkeit und Performance. Die Motoreningenieure sind in der Lage, dir eine Matrix vorzulegen, die sagt: Was möchtest du lieber: X Umdrehungen pro Minute und 1000 Kilometer oder Y U/min und 1500 Kilometer?

Welche Auswirkungen gibt es diesbezüglich?

Martin Whitmarsh: Manche Teams fuhren schon 2004 weniger Trainingsrunden als sie früher gefahren haben, vor allem an den ersten Rennwochenenden war das der Fall. Das wird auch in der kommenden Saison der Fall sein. Die besorgten Teams werden weniger fahren, die anderen mehr. Wenn die Strecke schmutzig oder das Wetter unfreundlich sein sollte, wird man in der Box bleiben. Mercedes-Benz hat mit Vollgas an den Schlüsselzonen des Motors gearbeitet, auf die sich die doppelte Laufleistung auswirkt. Du musst auf die Kolben, die Pleuel und derartige hoch beanspruchte Teile des Motors achten. Trotzdem werden die Motoren alles in allem wahrscheinlich die selbe Performance wie im Vorjahr abliefern, vor allem im Qualifying.

Welche Regeländerungen haben den größten sichtbaren Einfluss auf den MP4-20?

Martin Whitmarsh: Die größte Änderung gab es in der Aerodynamik. Das Anheben des Frontwings und auch der Heckflügel und der Diffuser wurden beschnitten. Die Änderungen kamen spät, die Teams mussten abwägen, wie sehr sie in der wenigen Zeit diese Dinge optimieren konnten. Man spricht von einem Abtriebsverlust zwischen 20 und 25 Prozent. Ich bin skeptisch wenn jemand sagt, er habe die gleichen Abtriebswerte wie zuvor. Wenn es doch der Fall sein sollte, würde das bedeuten, dass ihre Vorgängerautos nicht optimal waren.

Welche Neuerungen gibt es sonst noch beim Chassis?

Martin Whitmarsh: Aerodynamik ist wichtig, aber es gibt auch Änderungen, die durch die größeren Crahtest-Anforderungen entstanden sind. Der MP4-20 hat einen verbesserten Seitenaufprallschutz. Und auch die Reifenregel hat zur Folge, dass man an verschiedenen Bereichen des Fahrzeugs dafür sorgen muss, dass diese möglichst lange halten. Aufgrund der Aerodynamikänderungen und der Reifenlimitierung musste das gesamte Paket überarbeitet werden – die Gewichtsverteilung, die Aufhängungsgeometrie und so weiter. Die heutigen Formel 1-Autos sind ein Ganzes, die Grenzen sind so eng abgesteckt – jede kleine Änderung hat schwerwiegende Folgen. Zum Beispiel: Wenn du den Frontwing änderst, wird das gesamte Strömungsfeld beeinflusst sowie die Motoren- und die Bremsenkühlung.

2005 werden wir ein neues Format des Rennwochenendes sehen, können Sie diese Änderungen abstecken?

Martin Whitmarsh: Nach dem Experiment in Suzuka werden wir am Sonntag Vormittag ein zweites Qualifying erleben. Die Kernfrage ist: Während im Sonntag-Quali mit Rennsprit gefahren wird, ist die Tankfüllung im Samstag-Quali frei wählbar, das heißt, dass alle mit fast leerem Tank fahren werden, so wie das früher einmal der Fall. Wir haben stets Autos erlebt, die besser mit leerem oder besser mit vollem Tank funktioniert haben – jetzt sind beide dieser Zustände wichtig geworden.

Letzte Frage: Wird McLaren ein drittes Auto einsetzen?

Martin Whitmarsh: Ein drittes Auto bringt natürlich große Vorteile. In der Theorie bedeutet das, dass die beiden Einsatzpiloten nicht so viele Kilometer zurücklegen müssen, wie das bei den Top 4-Teams der Fall ist. Ein drittes Auto wird uns helfen. Denn es gibt einen Konflikt zwischen den Technikern. Der Chassisingenieur möchte Kilometer abspulen, der Motoreningenieur will das Leben des Aggregats schützen, die Reifeningenieure haben nur noch eine begrenzte Anzahl an Reifen zur Verfügung. Ein drittes Auto wird von all diesen Limitierungen nicht betroffen. Wir werden einen erfahrenen Piloten in dem dritten Boliden sitzen haben - man benötigt jemanden, der ein integraler Bestandteil des Entwicklungsprogramms ist.