Freitag, 24. Januar. Ein kühler Wind weht über Abbey, Woodcote und Copse. Der Traditionskurs in Silverstone hat schon viele historische Momente erlebt, nicht zuletzt das erste Rennen der Formel-1-Weltmeisterschaft 1950. An diesem frischen Tag Ende Januar erlebt Silverstone abermals den Beginn einer neuen Ära. Um 14:21 Uhr Ortszeit heult zum ersten Mal die Hybrid Power Unit eines Formel-1-Boliden auf einer Rennstrecke auf. Der neue Silberpfeil erwacht zum Leben und beginnt bei kühlen, aber trockenen Bedingungen seine erste Runde in der realen Welt. Es könnte der Anfang eines neuen Kapitels in der ruhmreichen Geschichte der Silberpfeile gewesen sein.

Die Silberpfeile wollen die Formel 1 zurückerobern, Foto: Mercedes AMG
Die Silberpfeile wollen die Formel 1 zurückerobern, Foto: Mercedes AMG

Das Team: Mercedes hat seine technischen Abteilungen in den vergangenen Jahren sukzessive mit Top-Ingenieuren verstärkt. Was einst als "zu viele Köche" angesehen wurde, hat sich zu einer erfolgreichen Zusammenarbeit von Toppersonal zusammengefunden. Mit Mark Ellis und Gilles Wood hat das Team bereits zwei weitere Neuverpflichtungen zur Mitte des Jahres bekannt gegeben - sie kommen ausgerechnet von Red Bull Technology und schwächen damit gleichzeitig den Gegner.

Auf ein Gesicht müssen die Silbernen 2014 jedoch verzichten: Teamchef Ross Brawn hat seine Aufgaben an Toto Wolff und Paddy Lowe übergeben. Er konzentriert sich nun aufs Rosenzüchten und Angeln. Das neue Führungs-Duo ist jedoch schon seit knapp einem Jahr gemeinsam für Mercedes im Einsatz. Das Genie und die Erfahrung des 16-fachen Weltmeisters Brawn werden in manchen Situationen aber sicher fehlen. Nichtsdestotrotz kann auch Lowe auf mehr als 20 Jahre Formel-1-Erfahrung bei Williams und McLaren zurückblicken.

Team - Note: sehr gut

Ein elegantes Design für den F1 W05, Foto: Mercedes
Ein elegantes Design für den F1 W05, Foto: Mercedes

Das Auto: Motor, Energierückgewinnung, Aerodynamik - dank der neuen Regeln ist der F1 W05 der erste komplett neue Silberpfeil seit 1954. Ein besonderer Vorteil ist die enge Zusammenarbeit mit der in direkter Nachbarschaft gelegenen Mercedes-Motorenschmiede in Brixworth. Auto und Power Unit entstehen zwar nicht unter einem Dach, aber sehr wohl aus einem Guss. Der F1 W05 ist also ein echter Werks-Silberpfeil.

Im Gegensatz zu den meisten Konkurrenten setzt Mercedes nicht auf eine spitze Schmalspurnase. Das gewinnt zumindest schon einmal den (keine Punkte bringenden) Schönheitspreis. Der Querschnitt von rund 9.000 Quadratmillimetern ist nicht rechteckig gehalten, sondern wie ein umgedrehtes, breites U. Die Nase ist deshalb nur über eine kleine Stufe von den Pylonen, die den Frontflügel mit der Nase verbinden, getrennt. Die Mercedes-Front sieht somit wie ein kleiner Tunnel aus, der die Luft an entsprechende Stellen leiten soll.

Auto - Note: gut

Gleich am ersten Testtag versagte der Frontflügel, Foto: Sutton
Gleich am ersten Testtag versagte der Frontflügel, Foto: Sutton

Die Zuverlässigkeit: Die vier Mercedes-Kundenteams absolvierten im Verlauf der drei Wintertests in Jerez und Bahrain die meisten Testkilometer der drei Motorenhersteller. Die Leistung und die Zuverlässigkeit der Power Unit aus Brixworth gilt als unumstritten. Ein Motorwechsel bei Nico Rosberg am vorletzten Testtag bestätigte die Regel. Die Nachtschicht hatte seltsame Geräusche beim Anlassen vernommen. Dennoch gab es auch bei Mercedes einige technische Gebrechen zu kurieren.

Schon am ersten Testtag flog Lewis Hamilton nach einem Frontflügel-Schaden ab. Danach gab es immer wieder mal Schwierigkeiten mit Sensoren, den Bremsen oder dem Getriebe. Das Team berief sich darauf, dass es Sinn der Testfahrten sei, diese Probleme zu finden. Trotzdem gelang es dem Werksteam erst am vorletzten Testtag in Bahrain, mehr als 100 Runden an einem Tag zu fahren. Im Vergleich zu Renault-befeuerten Teams wie Red Bull oder Lotus hatte Mercedes aber sehr viel mehr Gelegenheiten, sein Auto auf Kinderkrankheiten außerhalb des Motorenumfelds zu testen.

Zuverlässigkeit - Note: gut

Der F1 W05 erwies sich als standfest, Foto: Sutton
Der F1 W05 erwies sich als standfest, Foto: Sutton

Die Fahrer: Gemeinsam mit dem Ferrari-Duo Kimi Räikkönen und Fernando Alonso gilt die Mercedes-Paarung als die stärkste der Formel 1. Für manchen Experten sind Nico Rosberg und Lewis Hamilton sogar besser. Hamiltons Speed ist unumstritten und auch Rosberg gilt seit jeher als potentieller Weltmeister. In diesem Jahr könnte es für beide soweit sein, ihrem Ruf gerecht zu werden. Gerade Rosberg könnte die neue Formel-1-Ära entgegen kommen. Er ist technisch äußerst versiert und sollte den neuen Anforderungen, während der Fahrt noch mehr mitzudenken genau entsprechen. Was jedoch nicht bedeuten soll, dass dies Hamilton nicht auch umsetzen kann. In einem schnellen Auto ist der Brite nur schwer zu schlagen.

Fahrer - Note: sehr gut

Redaktionskommentar

Geheimfavorit Mercedes? Die Tests verliefen erfolgreich, Foto: Sutton
Geheimfavorit Mercedes? Die Tests verliefen erfolgreich, Foto: Sutton

Saisonziel: Weltmeister

PRO: Red Bull, Ferrari zieht euch warm an, denn Mercedes ist auf dem Vormarsch. Der Rennstall ist nicht ohne Grund der Favorit 2014. Kinderkrankheiten gehören angesichts eines völlig neuen Motorenreglements dazu, doch knapp 5.000 abgespulte Testkilometer sprechen eine deutliche Sprache. Während die Gegner damit beschäftigt waren, ihre Autos irgendwie aus der Garage zu bringen, absolvierten Lewis Hamilton und Nico Rosberg bereits Rennsimulationen. Zudem ist der F1 W05 nicht nur zuverlässig, sondern auch schnell. Und nicht zu vergessen: Mercedes verfügt mit Rosberg und Hamilton über eines der stärksten Fahrerduos im Formel-1-Feld. Top-Fahrer plus Top-Auto - was soll da noch schief gehen? (Kerstin Hasenbichler)

CONTRA: Die Silberpfeile sind nach den Wintertests jedermanns WM-Favorit - und das nicht ohne Grund. Dennoch haben Nico Rosberg oder Lewis Hamilton den WM-Titel noch lange nicht in der Tasche. Die Mercedes Power Unit ist derzeit erwartungsgemäß das Maß der Formel-1-Dinge, aber ein WM-Auto besteht aus mehr als nur dem "Motor". Bei den Tests plagten Mercedes einige Kinderkrankheiten - das ist kein Beinbruch, dafür sind Tests schließlich da, aber es zeigt: auch sie sind nicht unfehlbar. Über den wahren Speed lässt sich ohnehin noch bei keinem Team eine Aussage treffen - schon gar nicht wie es in der zweiten Saisonhälfte aussehen wird. Mercedes ist gut vorbereitet, aber erst wenn Zuverlässigkeit, Speed und Weiterentwicklung zusammenkommen, sind sie auch wirklich titelfähig. (Stephan Heublein)

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