2014 heulen in den Formel-1-Boliden erstmals seit 1988 wieder Turbo-Motoren auf: Für Nostalgiker ein wahres Fest, denn die erste Ära der Power-Aggregate gilt bis heute als die spektakulärste Zeit der Königsklasse. Dabei war die Idee, die hinter der Revolutionierung des Antriebs stand, doch recht einfach: Mehr Leistung durch mehr Luft... und schon war der Siegeszug des Turboladers trotz diverser Rückschläge und massiven Gegenwindes nicht mehr aufzuhalten.

Das technische Prinzip hinter der Innovation war ebenso simpel wie genial: Die Motorenabgase treiben ein Turbinenrad an - parallel trifft kühle Außenluft auf einen Verdichter und wird komprimiert. Die signifikant höhere Luftmenge wird anschließend mit hohem Druck in die Brennräume des Aggregats geleitet und mit einer höheren Kraftstoffmenge für die verdichtete Luft erreicht das Turbotriebwerk eine gesteigerte Leistung.

Doch der natürliche Feind aller noch so ausgeklügelten Theorien ist die Praxis. Als Renault Mitte der Siebzigerjahre unter strengster Geheimhaltung mit den ersten Versuchen und Konstruktionen des neuartigen Konzeptes begann, haperte es zunächst an der Umsetzung. Mit Hilfe von Mineralölriese Elf investierten die Franzosen über die Jahre in kleines Vermögen in das Projekt, das versteckt in einem Renault Alpine im November 1975 erstmals auf der Strecke getestet wurde.

Schon im März des darauffolgenden Jahres baute man den Motor in einen abgewandelten F2-Boliden ein, um die Forschung im Formelsektor voranzutreiben. Neben der Testarbeit nahm man mit Entwicklungspilot Jean-Pierre Jabouille an ersten Rennen teil, ohne dass dies an die große Glocke gehängt wurde.

"Ich erinnere mich noch gut an die ersten Runden, die ich mit dem Wagen fuhr. Als ich anhielt, wusste ich zuerst gar nicht, wie ich es den erwartungsvollen Ingenieuren sagen sollte: Nämlich, dass es unmöglich war und das ganze Unterfangen vorne und hinten nicht funktionierte, weil der Turbo nur auf den Geraden ansprang", erinnerte sich Jabouille später an die ersten Gehversuche, nach denen zunächst Ernüchterung herrschte. "In einer Runde lief der Turbo noch nicht einmal zehn Sekunden, mehr war nicht drin. Ich fragte mich, wie wir es jemals schaffen sollten, einen Motor zu bauen, der eine ganze Runde lang durchhält", so der Franzose. Doch Renault wollte so schnell nicht aufgeben und wagte sogar die Flucht nach vorne: Die Bemühungen wurden öffentlich bekannt gemacht und der Großkonzern gab grünes Licht für die Weiterentwicklung.

Renault wurde zu Beginn der Turbo-Ära verspottet, Foto: Sutton
Renault wurde zu Beginn der Turbo-Ära verspottet, Foto: Sutton

Der Bau des ersten echten F1-Aggregats begann Ende 1976. Was folgte, war jedoch keinesfalls schneller Erfolg, sondern eher eine zweijährige Leidensgeschichte voller Kinderkrankheiten. An Leistung mangelte es nicht: Das Problem war, diese einerseits auch auf die Straße zu bringen und andererseits, das Aggregat standfest zu machen. 1977 nahm man gegen Saisonende erstmals an Grand-Prix-Rennen teil - bei fünf Versuchen fiel man viermal aus, einmal scheiterte man sogar in der Qualifikation.

Die Technik war noch viel zu anfällig und unausgereift. Von der Konkurrenz wurde Renault zu Beginn einfach nur ausgelacht, da man kaum ein Rennen beenden konnte. Oftmals ging der Turbo kaputt und das Öl entzündete sich - schnell wurde der RS01 von den anderen Teams deshalb als 'gelbe Teekanne' verspottet, weil er zumeist am Straßenrand stand und rauchte.

Doch die Franzosen ließen sich nicht entmutigen und kämpften an der Technikfront weiter, im sicheren Glauben daran, dass der eingeschlagene Weg der richtige war. Irgendwann trug diese Ausdauer wider Willen Früchte. Schon 1978 kletterten die PS-Werte über die gängigen 500 Pferdestärken der Mitstreiter. Ein erster Teilerfolg, hatte sich zunächst doch niemand vorstellen können, dass der Turbo aus anderthalb Litern Hubraum so viel Leistung herausholen könnte, wie der Saugmotor aus drei.

Zählten Zielankünfte zunächst noch wie Siege, gelang mit der Einführung des Ladeluftkühlers dann der endgültige Durchbruch. Ausgerechnet beim Heimrennen der Franzosen in Dijon erzielte Jabouille den viel umjubelten Premierensieg, der die Boxengasse in der Senf-Stadt in ein Meer aus Freudentränen verwandelte - Platz drei für Teamkollege René Arnoux war die zusätzliche Belohnung für Renaults Mut. Die Marschrichtung schien fortan klar: Der Turbo war schwer im Kommen - die anderen Hersteller sahen sich gezwungen, alsbald nachzuziehen.

1981 stieg auch Ferrari auf Turbo-Power um, Foto: Sutton
1981 stieg auch Ferrari auf Turbo-Power um, Foto: Sutton

1981 präsentierte auch Ferrari einen V6 Turbo, doch weder der Scuderia noch den Pionieren von Renault war der erste Titel mit dem Konzept vergönnt. Zwar ließ sich der Siegeszug der Turbos auf lange Sicht nicht mehr aufhalten, dennoch war weiterhin Geduld gefragt. Es dauerte bis 1983, ehe sich BMW gemeinsam mit Brabham und Nelson Piquet mit dem prestigeträchtigen Titel als erster Turbochampion schmücken durfte, wobei die Münchner im Gegensatz zur Konkurrenz auf ein Konzept mit nur vier Zylindern setzten. Anschließend war es ein anderer deutscher Autobauer, der das Heft in die Hand nahm.

Ende 1983 setzte McLaren erstmals Porsche-TAG-Motoren ein - diese schlugen voll ein und gemeinsam mit Niki Lauda und Alain Prost wurde das Team in den folgenden Jahren gleich dreimal Weltmeister. Zum größten Konkurrenten an der Motorenfront, die längst zur erbitterten Materialschlacht geworden war, stieg Honda auf, die kurioserweise nahezu zeitgleich wie Porsche mit dem ungewöhnlichen wie gewinnbringenden Zylinderwinkel von 80 Grad aufwarteten.

Brabham sicherte BMW den ersten Turbo-Titel, Foto: Sutton
Brabham sicherte BMW den ersten Turbo-Titel, Foto: Sutton

Zunächst kooperierten die Japaner mit Williams - zusammen mit den Briten und abermals Piquet gelang ihnen 1987 die Ablösung an der Spitze der Weltmeisterschaft. Bei McLaren erkannte man die Zeichen der Zeit und warb den japanischen Motorenlieferanten vom Traditionsrennstall aus Grove zur Folgesaison ab. Mit der Traumkombination aus dem etablierten Prost und dem aufstrebenden Ayrton Senna, der sich gleich in seinem ersten Jahr mit dem Team den letztendlich letzten Turbo-Titel sicherte, machte McLaren in der Folge alles platt.

Der Erfolg glich dabei einer Demonstration, von 16 Rennen gewann das Team aus Woking sage und schreibe 15. Der Weltverband FISA sah sich anschließend zum Handeln gezwungen, um die erdrückende Dominanz Hondas zu beenden. Zur Kostensenkung und im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit der kleineren Teams, die die Entwicklungsschritte aus finanziellen Gründen nicht hatten mitgehen können, zog man die Notbremse und Verbot die Turbos zur Saison 1989.

McLaren-Honda dominierte das letzte Turbo-Jahr, Foto: Sutton
McLaren-Honda dominierte das letzte Turbo-Jahr, Foto: Sutton

In den vorangegangenen Jahren war die Leistung in nahezu lächerliche Höhen geschnellt und hatte sich binnen eines Jahrzehnts verdreifacht. Abseits des Sicherheitsaspekts konnte man mit der einheitlichen Rückkehr zum Saugmotor eine bessere Chancengleichheit gewährleisten. Der Tod der Turbos war dennoch einer auf Raten - schon zuvor hatte sich der Weltverband bemüht, durch einschneidende Zwischenschritte wie die Ladedruckbegrenzung oder die Einschränkung des Benzintankvolumens, die einer Verbrauchsreduzierung der PS-Monster gleichkam, den Größenwahn der Techniker zu stoppen.

Vergebens: Trotz ihrer besseren Fahrbarkeit, größeren Zuverlässigkeit und ihres sparsameren Verbrauchs, war das Leistungsdefizit der Fahrzeuge mit Saugmotor gegenüber ihren großen Turbo-Brüdern bald nicht mehr kompensierbar, kratzten diese leistungsmäßig über eine schnelle Runde im Qualifying mittlerweile doch an der aberwitzigen 1.500-PS-Marke und verbrannten die teamführenden Global Player ihr Geld doch weiterhin ohne mit der Wimper zu zucken. Letzten Endes stolperten die Turbos so über ihren eigenen Erfolg.

Was blieb, sind die Erinnerungen an die wohl herausragendste Zeit der Formel 1: Legendär, wie Senna den schwarzen Lotus 97T am Limit über die Straßen Adelaides tänzeln ließ. Spektakulär, wie Gerhard Berger in Hockenheim jenseits von 300 Stundenkilometern im sechsten Gang immer noch mit durchdrehenden Rädern zu kämpfen hatte.

Atemberaubend, wie die kraftstrotzenden Boliden beim Herausbeschleunigen über die Bergab-Bodenwelle am Ausgang der Casinokurve in Monte Carlo selbst den gestandensten Männern das Blut in den Adern gefrieren ließen. Niemals zuvor und danach zeigte sich die Königsklasse so pulsierend maskulin wie im goldenen Turbozeitalter. Berger hatte schon 1986 konstatiert: "Diese Autos können vor lauter Kraft wirklich kaum noch laufen!" Die Turbo-Ära war die wohl unvernünftigste und exzessivste der F1 - und vielleicht genau deswegen auch ihre bis dato schönste.

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