Montreal verspricht alle Jahre wieder eine Menge Spannung: Nicht nur, dass der Einsatz des Safety-Cars sehr wahrscheinlich ist, die mit niedrigem Grip ausgestattete Asphaltoberfläche und viele Überholmöglichkeiten machen den Grand Prix vor den Toren Montreals immer zu einem schwer vorausplanbaren Spektakel. Auch in diesem Jahr sind Prognosen standesgemäß schwer: So führt Red Bull zwar in beiden WM-Wertungen, hat in Kanada aber noch nie gewonnen. McLaren hingegen war bei den letzten drei Rennen vor Ort siegreich - dieses Jahr ist ihr Auto aber eigentlich nicht siegfähig. Interessant wird der Kampf um die Oberhand auch beim Blick auf Mercedes, denn Montreal gilt als Lewis Hamiltons Lieblingsstrecke - bei fünf Auftritten gewann er hier dreimal... kann er diesmal gegen Monaco-Sieger Nico Rosberg zurückschlagen? Nach der extremen Streckencharakteristik zuletzt im Fürstentum dürfte das Qualifying in Montreal schon viel weniger wichtig werden.

Das Bild trügt: Kanada ist selten eine Prozession, Foto: Sutton
Das Bild trügt: Kanada ist selten eine Prozession, Foto: Sutton

Das Überholen ist leicht, was sich wiederrum auch auf die Taktik der Teams im Rennen auswirkt, werden somit doch eher mehr als weniger Boxenstopps gemacht. Auf dem Circuit Gilles Villeneuve gibt es viele lange Geraden, Schikanen und Haarnadeln - Höchstgeschwindigkeitskurven gibt es hingegen keine, weswegen eine gute Traktion aus den langsamen Kurven heraus wichtig wird, genauso wie der Fakt, dass das Auto eine gute Höchstgeschwindigkeit auf den Geraden aufweist und gut mit den harten Kerbs umgehen kann. Da es sich in Montreal um einen Straßenkurs auf öffentlichen Straßen handelt, ist die Strecke gerade zu Beginn des Wochenendes meist sehr schmutzig - zwar purzeln die Rundenzeiten mit der Zeit, das Grip-Level bleibt nichts desto trotz eher gering. Schwierig macht es das für die Hochrechnungen der Strategen, sind alle Vorgaben für die Reifenwahl somit doch ein bewegliches Ziel und schwer zu treffen.

Belastung für die Bremsen

Gefahren wird am Sonntag über 70 Runden - bei einer Streckenlänge von 4,36 Kilometern entspricht das einer zurückgelegten Gesamtdistanz von 305 Kilometern. Insgesamt vereint der Kurs zwölf Kurven und erfordert vor allem eine Abstimmung, die Wert auf eine gute Aerodynamik legt, wohingegen eine mittlere Downforce ausreichend ist. Die zu erwartende Spitzengeschwindigkeit beträgt 326 Stundenkilometer, wobei die Piloten ohne DRS zehn Stundenkilometer einbüßen werden. Ganze 60 Prozent einer Runde stehen die Fahrer in Montreal voll auf dem Gas, davon allein 15 Sekunden am Stück auf der langen Start-/Zielgeraden - die für das Rennen benötigte Spritmenge beträgt 142 Kilogramm, wobei pro Umlauf gut zwei Liter Benzin verbraucht werden. Hart ist der Stop-and-Go-Kurs derweil zu den Bremsen. 17 Prozent einer Runde treten die F1-Stars in Montral in die Eisen.

King of Montreal: Lewis Hamilton mag Kanada sehr, Foto: Sutton
King of Montreal: Lewis Hamilton mag Kanada sehr, Foto: Sutton

Neben Red Bull, die quasi ein Montreal-Fluch zu verfolgen scheint - besonders sichtbar wurde dieser 2011 als Sebastian Vettel einen sicher geglaubten Sieg in Kanada eine halbe Runde vor Schluss nach einem Fahrfehler doch noch an den von hinten heranstürmenden Jenson Button verlor - dürfte auch Ferrari am kommenden Wochenende vor die ein oder andere Herausforderung gestellt sein. Eigentlich waren die Roten in Kanada traditionell immer stark - das galt jedoch vor allem für die Zeiten Michael Schumachers. Seit 2004 konnte man am Sankt-Lorenz-Strom aber nicht mehr gewinnen. Besorgniserregend sind aus Sicht Ferraris auch die zuletzt in Monaco demonstrierten Probleme in den langsamen Kurven - hier könnten die Italiener auch in Kanada viel liegen lassen, genauso wie bei ihrem nicht optimalen Umgang mit den superweichen Pneus. Neben Dreifachsieger Lewis Hamilton gehen bei den Fahrern mit Button, Fernando Alonso und Kimi Räikkönen noch drei weitere ehemalige Sieger in den Grand Prix.

Beim Blick auf das Wetter zeigt sich, dass Montreal immer für eine Überraschung gut ist. Auf Grund ihrer Lage kann es in der Stadt sowohl sehr trocken und heiß als auch schon kurze Zeit später nass und kalt sein. Für die Reifentechniker der Teams ist das nicht so einfach, da dementsprechend auch hohe Temperaturschwankungen keine Seltenheit sind und es schnell einmal um 15 Grad Celsius in die eine oder in die andere Richtung gehen kann. Pirelli hat sich daher dieses Jahr für eine etwas konservativere Herangehensweise entschieden. Zwar ist wie bereits 2012 erneut die superweiche Mischung der Option-Reifen, als Prime-Pneu wird heuer aber die mittlere Komponente mitgebracht - vor zwölf Monaten setzte man hier noch auf die weiche Mischung. Vom ursprünglichen Plan, neue Reifenmischungen mit nach Kanada zu bringen, ist man beim Gummi-Monopolisten aber wieder abgewichen.

Ein oder zwei Stopps?

Von der überarbeiteten Mischung werden den Teams nun lediglich zwei Sätze für das Training am Freitag zur Verfügung gestellt, sodass diese die neuen Pneus erst einmal austesten können, bevor sie tatsächlich unter Rennbedingungen zum Einsatz kommen. Keine Probleme sollte es dabei mit der Abnützung geben, da die Kursoberfläche eher milde zu den Reifen ist und nur wenig Energie in die Pneus übergeht. Wer in Kanada seine extraweichen Reifen lange fahren will, muss vor allem durchdrehende Räder auf der Hinterachse vermeiden. Da der Unterschied zwischen beiden Mischungen ob der größeren Differenz bei der Mischungsauswahl heuer bei über einer Sekunde liegen könnte, wird das Management der Gummis von essentieller Bedeutung. Wer hier nicht gut aufpasst, bezahlt das mit zusätzlichen Boxenaufenthalten, wenngleich die kurze, für einen Stopp in Montreal benötigte Zeit, den Schaden allgemein eindämmt.

Bei den Reifen haben die Fahrer erneut die Qual der Wahl, Foto: Sutton
Bei den Reifen haben die Fahrer erneut die Qual der Wahl, Foto: Sutton

Spannend wurde es im vergangenen Jahr, als Red Bull und Ferrari gegen McLaren unterlagen, weil man versuchte eine Ein-Stopp-Strategie durchzuziehen. Hamilton war jedoch auf zwei Stopps und damit wesentlich aggressiver unterwegs, was sich am Ende klar auszahlte. Da man einfach überholen kann, ist die Position auf der Strecke nicht immer so wichtig wie auf anderen Kursen. Wichtig ist nur, dass man sein eigenes Rennen und vor allem seine eigene Pace fahren kann - abgerechnet wird auf dem Circuit Gilles Villeneuve immer erst ganz zum Schluss. Für Piloten, die sich vielleicht nicht so gut wie erhofft qualifiziert haben, heißt das, dass man durchaus auf eine alternative Strategie setzen kann, um sich freie Fahrt zu verschaffen - damit ist am Ende des Tages dann immer noch Erfolg möglich.

Zuletzt zeigte sich in Montreal immer wieder, dass man mit einem Stopp bis kurz vor Rennende zwar vor den Konkurrenten mit zwei Stopps lag, dann jedoch ob der deutlich langsameren Pace auf den gebrauchteren Reifen hinter die Gegner zurückfiel. Helfen könnte in so einer Situation aber ein Safety-Car, das man auf dem engen Straßenkurs nie außer Acht lassen darf. Mit 67 Prozent ist die Wahrscheinlichkeit für ein Ausrücken des Schrittmacherfahrzeugs sehr hoch - pro Rennen in Montreal gibt es im Schnitt 0,8 Safety-Car-Einsätze und bei sieben der letzten elf Grand Prix kam es auf die Strecke. Da die Strecke viele blinde Ecken und nah an der Strecke stehende Mauern beinhaltet, bleibt der Rennleitung mit Blick auf ein derartiges Einschreiten oftmals überhaupt keine andere Wahl.