Die Red Bull-Hospitality war gerammelt voll, schon beim Hereinkommen merkte Sebastian Vettel, "dass es da wohl etwas Besonderes geben muss", wie er leicht ironisch feststellte, spürte wohl auch die feindselige Stimmung vor allem vieler der englischen Medienvertreter, bei denen ja Webber-Lebensgefährtin Anne schon in Malaysia am Sonntagabend begonnen hatte, massiv Stimmung gegen Vettel zu machen. Doch so verzweifelt die auch versuchten, ihn in eine Ecke zu drängen, ihm "unfaires Verhalten" anzukreiden - Vettel stand bei seinem ersten großen Auftritt in Shanghai über allem, machte klar, warum er der jüngste dreimalige Formel-1-Weltmeister aller Zeiten ist - und blockte alle Attacken souverän ab.

Nach zwei Wochen, in denen er noch einmal in Ruhe über alles nachdenken konnte, präsentierte er sich vor allem als Racer, als einer, der im Cockpit nicht kalkuliert, WM-Punkte ausrechnet und Theorien wälzt - sondern für den es nur eines gibt, wenn er im Auto sitzt: Gewinnen. Und der das auch, von der Tunnelerfahrung bis zum sofortigen Ergreifen von Chancen, ohne langes Zögern, so eindrucksvoll beschrieb, wie das nur ganz früher ein Ayrton Senna konnte. Mit der Selbstsicherheit der großen Champions ist er jedenfalls grundsätzlich davon überzeugt: Wenn man ein echter Rennfahrer sei, dann dürfe man auch nie lange nachdenken, wenn es Chancen gibt: "Wenn sich eine Lücke, eine Chance auftut, dann musst du sie nutzen. Wenn du anfängst zu überlegen, unsicher wirst, ob du ein Risiko eingehen sollst - dann geht es schief."

Und auch als ehrliche Haut, weg von allem schön geredeten PR-Gewäsch von Teamkollegen-Hilfe und Zusammenarbeit, zeigte er sich, als er endlich einmal das aussprach, was hinter den Kulissen auch schon seit einiger Zeit bekannt ist: Dass Vettel nicht wirklich viel Grund hat, Webber einen großen Gefallen zu tun - dass man eben auch unter Teamkollegen irgendwann das erntet, was man säht.

Die ganze Diskussion, ob Vettel den Funkspruch seiner Box nun tatsächlich nicht richtig zugeordnet hat oder nicht, ob er das Nachfragen vergaß oder vielleicht auch ein bisschen vergessen wollte, eigentlich ist es müßig. Denn der entscheidende Klartext kam dann ja sowieso auf die Nachfrage, wie er denn agiert hätte, hätte er die Anweisung verstanden: "Dann hätte ich darüber nachgedacht - und in Anbetracht der Ereignisse der letzten Jahre glaube ich nicht, dass Mark es verdient gehabt hätte, dass ich als Zweiter hinter ihm bleibe und ihn praktisch das Rennen gewinnen lasse."

Also - auf gut Deutsch: Auch dann hätte er wohl, in dem Wissen, auch dank eines im Qualifying clever eingesparten Reifensatzes und noch etwas größerer Spritreserven in der Endphase der Schnellere zu sein, attackiert. Weil es vorher eben mehr als einmal - vor allem auch in entscheidenden Situationen wie im WM-Finale 2012 in Brasilien - Webber gewesen war, der sich nicht an vorher getroffene Absprachen hielt. So etwa, als er Vettel damals in Interlagos am Start "einklemmte" und damit erst in die kritische Situation brachte, die kurz danach zum Unfall mit Bruno Senna und nur mit viel Glück nicht zum Aus führte. Oder im gleichen Rennen später noch einmal, als Webber Vettel auf dessen Aufholjagd böse im Weg stand...

Es war nicht das erste Duell zwischen Vettel und Webber, Foto: Sutton
Es war nicht das erste Duell zwischen Vettel und Webber, Foto: Sutton

Was Vettel nicht laut sagte, was aber möglicherweise der einzige Unterschied gewesen wäre, hätte er nach Überlegen und nicht instinktiv gehandelt: Er hätte dem Team dann über Funk vielleicht klar gesagt, dass er die Absprache nicht akzeptiere, dadurch für alle mit offenen Karten gespielt - und damit wäre der Punkt des "das Team Hintergehens" weggefallen - derjenige, für den er sich ja auch entschuldigt hatte. Wobei die Reaktion der Teammitarbeiter in Milton Keynes ja meist gewesen sein, "dass die gar nicht verstanden haben, wofür ich mich entschuldigen müsste..."

Mit Nachteilen aus einem offenen Stallkrieg rechnet Vettel nicht. Zu Recht wohl. Denn es hat sich ja eigentlich nichts verändert. Zwischen ihm und Webber gab es in der Realität schon vor Malaysia kein Vertrauen und keine Zusammenarbeit und wird es jetzt auch keine mehr geben. Und gerade ohne jede Order, wie es bei Red Bull jetzt ja in Zukunft sein soll, wenn jeder weiß, woran er ist, verlässt er sich eben darauf, was er in den letzten Jahren ja auch immer tat: Die Dinge für sich auf der Strecke selbst zu regeln - und dabei die Unterstützung der wahren Machthaber bei Red Bull zu genießen.

Da mag sich Christian Horner, der ja unter anderem mit Mark Webber geschäftlich über ein gemeinsames GP3-Team verbunden ist, noch so ärgern - mit der von Red-Bull-Sportkoordinator Dr. Helmut Marko in Absprache mit dem "Dosen-Oberboss" Dietrich Mateschitz getroffenen Vereinbarung, dass es bei Red Bull in Zukunft eben keine Teamorder mehr gibt, ist gleichzeitig noch etwas festgeschrieben: Christian Horner mag zwar formal Teamchef sein, zu melden hat er nicht viel. Das Sagen haben Vettel, Mateschitz und sein "Stellvertreter" Marko. Also der, der dank seiner überragenden Leistungen im Auto die Erfolge holt - und die, die das Geld geben.

Wobei Mateschitz, der ja auch in PR-Zahlen denkt, denken muss, sicher nicht nur seine seit Jahren grundsätzlich geäußerte Abneigung gegen Stallregie, für die er ja früher, als er sie sogar in WM-Endkämpfen nicht einsetzen wollte, auch oft kritisiert wurde, zu seiner Entscheidung trieb: Sicher hatte er auch zur Kenntnis genommen, dass in fast allen Fan-Umfragen Vettel deutliche Zustimmung für seine Aktion bekam - mit dem allgemeinen Grundtenor: "Wir wollen Rennen sehen und der Schnellere soll gewinnen."