Der Kanada Grand Prix versprach aufgrund der Natur der Strecke, der Optionen für die Rennstrategie und der Effektivität des DRS-Heckflügels eigentlich von Anfang an ein knappes Finish. Es war allerdings auch deswegen eng, weil die Daten zeigen, dass die Leistung des McLaren, des Red Bull und des Ferrari am Renntag sehr dicht beisammen lag, sie waren nur durch eine oder zwei Zehntel getrennt. Den Unterschied machten das Reifen-Management und größtenteils die Strategie.
Das Rennen hatte drei Spitzenreiter, von dem jeder gewinnen hätte können; Polesetter Sebastian Vettel wurde Vierter, Fernando Alonso führte sieben Runden vor Schluss und wurde Fünfter, während Lewis Hamilton der einzige Fahrer war, bei dem eine Zweistopp-Strategie voll aufging: er gewann. Nach dem Rennen beschuldigte man Red Bull und Ferrari, Strategie-Fehler gemacht zu haben, die sie das Rennen kosteten, aber stimmt das? Die folgende Analyse des Wie und Warum zu den großen Entscheidungen, bei der Input und Daten der Entscheider eingeflossen sind, wird es zeigen.
Hintergrund
Die Gefahr mit einem Stopp in Montreal liegt darin, dass man zwar vor einem Zweistopper liegt, wenn der seinen zweiten Stopp absolviert hat, doch er ist auf frischen Reifen und wird mit dem DRS wenig Probleme haben, zu überholen. Da die Chance auf ein Safety Car allerdings bei 71 Prozent liegt und eine neutralisierte Phase das Rennen in Richtung Einstopper verschiebt, kann sich das Risiko für Mittelfeld-Teams auszahlen, die einige Plätze gutmachen wollen. Diesen Poker aus der ersten Startreihe zu machen, ist aber ein eigenes Thema.
Das Training am Freitag hatte den Teams gezeigt, dass der Reifen-Abbau kein Problem war und dass es möglich wäre, mit nur einem Stopp effektiv durchzufahren - auch wenn ordentlich Reifenschonen dazu nötig war. McLaren war allerdings überzeugt, dass man zwei Stopps brauchen würde, daher stand Lewis Hamilton ein Angriffs-Rennen bevor. Das Team glaubte, zwei Stopps würden rund zehn Sekunden schneller sein als einer. McLaren hatte am Freitag aber auch nur ein Auto wirklich im Einsatz, da Jenson Button einen Großteil des Tages wegen eines Öllecks und eines Getriebe-Wechsels verlor.
Ferrari machte derweil keine umfangreichen Longruns, der längste Run war ein 12-Runden-Stint von Felipe Massa, doch der enthielt einige langsame Runden. Das könnte sehr wohl dazu beigetragen haben, was am Sonntag passierte. Andererseits war die Streckentemperatur am Renntag 15 Grad höher als am Freitag und vor dem Rennen konnten sich auch die Teams mit vielen Longrun-Daten nicht sicher sein, ob ein Stopp wirklich besser sein würde. Der einzige Weg, das herauszufinden, war es zu versuchen und den Hitze-Abbau im Auge zu behalten. Denn wenn der sich bei diesen Pirelli-Reifen bemerkbar macht, dann kommt er plötzlich und die Rundenzeiten fallen sofort ab. Die Hinterreifen waren in dem Fall das einschränkende Element und der Soft-Reifen sah wie der bessere Rennreifen aus.
Wie sich das Rennen in Richtung Hamilton neigte
Die Führenden behielten beim Start ihre Reihenfolge bei, Vettel führte vor Hamilton und Alonso. Doch bei den ersten Stopps, bei denen sie alle von gebrauchten Supersofts auf neue Softs wechselten, änderte sich die Reihenfolge: Vettel kam in Runde 16 als Erster, Hamilton folgte in Runde 17 und Alonso in Runde 19. Hamilton kam bei den Stopps zunächst vor Vettel, doch dann überholte Alonso beide an der Box. Aber der Ferrari des Spaniers brauchte Zeit, um die Reifen aufzuwärmen, weswegen Hamilton angreifen und sich die Führung gleich wieder zurückholen konnte.
Damit war die Reihung im zweiten Stint Hamilton, Alonso, Vettel. Zu dem Zeitpunkt hatten alle Drei noch die Option, ein weiteres Mal zu stoppen. Aber nur Hamilton wusste sicher, dass er das noch einmal tun würde, daher gab er mit freier Strecke vor sich Gas. Er öffnete eine Lücke von vier Sekunden auf Alonso und die blieb recht konstant. Für den Spanier und Vettel lag das Problem darin, dass sie nicht wussten, wie viel sie pushen können, da sie einerseits nicht auf einen Stopp gehen und am Ende ohne Reifenleistung dastehen wollten, andererseits aber auch nicht zu wenig tun wollten, nur um am Schluss herauszufinden, dass die Reifen noch genügend Leistung übrig hatten.
Die Zeit der Entscheidung
Hamilton merkte, dass die Beiden nicht an ihm dran blieben und fragte sein Team, ob es sicher war, das Alonso und Vettel nur einmal stoppen. Das Team versicherte ihm das, womit Red Bull und Ferrari gleichzeitig die Bestätigung hatten, dass Hamilton wieder stoppen wird. Anhand dieser Informationen dürften sie ihr Rennmodell neu berechnet haben. Die neue Berechnung wird sie nach seinem zweiten Stopp vor Hamilton gezeigt haben, allerdings war der Reifenabbau an diesem warmen Tag weiter eine Unbekannte.
In den Runden vor Hamiltons Stopp war Alonsos Pace konstant; er fuhr in den hohen 1:17ern und niedrigen 1:18ern. Vettel war ein paar Zehntelsekunden langsamer und lag drei Sekunden hinter Alonso. Als Hamilton in Runde 50 hereinkam, hatten Ferrari und Red Bull eine Entscheidung zu treffen. Sollten sie reagieren und wieder stoppen? In Vettels Fall hätte das den Deutschen nicht vor Hamilton gebracht, doch er hätte Alonso kriegen können. Ferraris Entscheidung war noch etwas schwieriger. Als er auf die Gegengerade fuhr, betrug Alonsos Vorsprung 14,8 Sekunden auf Hamilton, also in etwa die Zeit, die einen ein viersekündiger Boxenstopp kostet.
Da Ferrari starke Boxenstopps hat, konnte das Team davon ausgehen, dass Alonso zumindest neben Hamilton aus der Box kommen würde, wahrscheinlicher sogar vor ihm. Doch aufgrund des ersten Stopps wusste Ferrari ebenfalls, dass Hamilton wieder vorbeikommen hätte können, weil die Reifen bei Alonso nicht schnell genug warm wurden. Zudem machten sie sich Sorgen wegen Vettel, daher holten sie den Spanier in Runde 51 nicht rein. Sie hatten aber wohl ihren Blick von den anderen Autos abgewendet, die von hinten nach vorne fuhren, hier sei vor allem Romain Grosjean erwähnt.
Zu dem Zeitpunkt hätte Alonso an die Box kommen und vor Grosjean wieder herausfahren können, womit er seine Platz gefestigt hätte. Doch auch wenn er hinter dem Lotus-Piloten wieder auf die Strecke gefahren wäre, hätte das kein großes Problem bedeutet, da der Ferrari mit frischen Reifen und DRS ohne Probleme an dem Lotus mit abgefahrenen Reifen vorbeigekommen wäre. Je länger Ferrari und Red Bull warteten, desto mehr andere Autos wurden ein Thema, etwa Sergio Perez, dessen Primärstrategie es zu werden scheint, mit einem Stopp so schnell wie möglich ins Ziel zu fahren. Auch ein etwas verspäteter Boxenstopp in den Runden nach Hamilton hätte Alonso und Vettel ein Podest gesichert, doch auch das taten sie nicht.
Das war eine dieser Situationen, über die sich im Nachhinein einfach sagen lässt, dass ein Fehler gemacht wurde. Ferrari dachte, man würde eine ähnliche Reifenleistung wie Lotus und Sauber haben und es würde mit einem Stopp funktionieren. Statt es auf die Strategie zu schieben, schieben sie es auf den Reifenabbau. Laut UBS Strategy Report rätseln die Konkurrenz-Strategen aber darüber, dass wohl nicht auffiel, als im entscheidenden Moment um Runde 51, 52 am anderen Ferrari von Felipe Massa die Reifen 40 Runden alt waren und bereits Zeichen von Leistungsabfall zeigten. Vielleicht nahm Ferrari an, Alonso hätte weniger Abbau, doch der Plan sah vor, dass die Gummis 51 Runden durchhalten, also zehn mehr, als Massa zu dem Zeitpunkt mit seinen Reifen gefahren hatte.
Daher ist es etwas schwierig zu verstehen, wo ihre Überzeugung bezüglich eines Verbleibs auf einem Stopp herkam. Sogar noch in Runde 60, als Grosjean nur zehn Sekunden hinter Alonso war, zeigen die Modelle, dass Ferrari den Spanier hereinholen hätte können, der dann fünf Sekunden hinter dem Schweiz-Franzosen wieder herausgekommen wäre und es mit frischen Reifen in den zehn verbleiben Runden wieder nach vorne geschafft hätte. So machte es Vettel mit Alonso, als Red Bull seine Fehleinschätzung auffiel und den Deutschen sieben Runden vor Schluss zum Wechsel brachte.
Lektionen aus Kanada
Grosjeans Ergebnis zeigt, dass der Lotus hin und wieder das Potential hat, einen Stopp weniger als die Konkurrenz zu machen und dennoch schnell zu sein. Seine Schwäche liegt auf einer Runde im Qualifying; wenn Grosjean oder Kimi Räikkönen in den Top-5 starten könnten, beispielsweise vor Nico Rosberg, dann könnten sie ihren Reifenvorteil echt umsetzen. Das starke Podest von Perez hat wieder einmal seine Fähigkeit gezeigt, wie er eine gute Pace halten kann, während er seine Reifen schont. Es muss eine Kombination mehrere Faktoren in seinem Fahrstil sein, die er in die Formel 1 mitgenommen hat, denn Kamui Kobayashi kann die Reifen im anderen Auto nur selten so gut am Leben halten.
Was aber etwas besorgniserregend ist: dies war das zweite Rennen, in dem man mit einer Einstopp-Strategie herumrollen konnte und obwohl das Finale dank Hamiltons Strategie spannend war, war ein Großteil des Rennens recht öde und prozessionsartig. Diese Autos und Reifen funktionieren in Zwei- oder Dreistopp-Rennen am besten, wenn die Fahrer Phasen haben können, in denen sie mehr pushen.
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