Unberechenbar - das ist vielleicht das beste Wort, um die Ausgangslage vor dem Großen Preis von Spanien zu beschreiben. Vier Fahrer von vier verschiedenen Teams trugen sich in ebenso vielen Rennen in die Siegerliste ein. Hauptgrund für das Machtvakuum an der Spitze des Fahrerfeldes sind die neuen Pirelli-Pneus.

Die schnell abnutzenden Walzen sind von den Teams bisher kaum zu kontrollieren. Das Team, das die richtige Reifenstrategie wählt, spielt bei der Vergabe von Rennsieg und Podiumsplatzierungen auf jeden Fall eine gute Rolle. Und für das Rennen in Barcelona droht bereits neues Ungemach: Pirelli bringt die weiche und die harte Mischung mit nach Spanien, erstmals liegt also ein voller Mischungsgrad zwischen den eingesetzten Reifentypen.

Bei dieser Konstellation fällt es natürlich schwer, einen Favoriten für den Spanien-Grand-Prix zu benennen. Sollte sich allerdings die Serie mit den unterschiedlichen Rennsiegern fortsetzen, gehören Kimi Räikkönen und Romain Grosjean auf dem Circuit de Catalunya zu den ersten Siegkandidaten. Lotus ist der einzige Top-Rennstall, der bislang noch ohne einen Erfolg ist.

Hat Kimi Räikkönen auch auf dem Circuit de Catalunya den Durchblick?, Foto: Sutton
Hat Kimi Räikkönen auch auf dem Circuit de Catalunya den Durchblick?, Foto: Sutton

Neben der starken Performance in Bahrain - Kimi Räikkönnen und Romain Grosjean landeten beide auf dem Podium - sprechen auch die Ergebnisse von den Testfahrten in Mugello für das Team in schwarz-gold. Grosjean sicherte sich an zwei von drei Tagen die Bestzeit. Und vielleicht folgt am Wochenende ja schon das nächste Highlight. Räikkönen würde das offenbar nicht überraschen. "Ich denke, Lotus wird in Barcelona sehr konkurrenzfähig sein", kündigte er an.

Für Ferrari ist das Rennen in Barcelona dagegen so etwas wie die letzte Chance. Wie in jedem Jahr gab die Scuderia Ferrari auch vor dem Start der Saison den WM-Titel als erklärtes Ziel aus - in den ersten vier Rennen machten die Roten jedoch einen wenig weltmeisterlichen Eindruck. Fernando Alonsos 43 WM-Punkte sind auf die Klasse des Spaniers, nicht aber auf ein überragendes Auto zurückzuführen. Ein besser Indikator für die Stärke des F2012 sind die zwei Punkte, die Felipe Massa - immerhin Vize-Weltmeister 2008 - bisher ergatterte.

Mut dürfte dem Team aus Maranello der letzte Testtag in Mugello machen, als sich Alonso in seinem generalüberholten Ferrari, der mit schlankeren Seitenkästen und nach innen gerichteter Auspuffposition daherkam, auf Augenhöhe mit den anderen Top-Teams befand. Der Beweis, dass das Auto auch im Rennen konkurrenzfähig ist, steht allerdings noch aus. Wenn nicht bei Alonsos Heimrennen, wo dann? "Wir rechnen damit, einen großen Schritt nach vorne zu machen", kündigte der Lokalmatador an. "Wie groß, dass werden wir aber frühestens am Samstag sehen."

Anders als Ferrari machten sich die McLaren-Fahrer in Mugello rar. Als einziges Top-Team reiste die Mannschaft von Martin Whitmarsh mit der kompletten zweiten Garde nach Italien. Ob McLaren ohne Weiteres auf die Expertise seiner etatmäßigen Piloten verzichten kann, wird sich in Barcelona zeigen. Nach dem enttäuschenden Resultat von Bahrain, wird das Rennen in Katalonien für das Team aus Woking zur Nagelprobe. Können Lewis Hamilton und Jenson Button den Negativ-Trend stoppen? Nach den ersten drei Rennen war McLaren noch von vielen Experten als das konstanteste Team der Königsklasse gelobt worden, auf dem Bahrain International Circuit war davon allerdings wenig zu sehen.

Dabei waren die verpatzten Boxenstopps von Hamilton noch das kleinere Problem, mehr Sorge sollte den Ingenieuren und Mechanikern der fehlende Speed bereiten. Damit der MP4-27 in Barcelona wieder gewohnt schnell unterwegs ist, probierte es McLaren bereits in Mugello mit einer leicht angehobenen Fahrzeugnase. Gut möglich, dass die auch in Spanien zum Einsatz kommt. "Es gibt durchaus die Chance, dass wir das auch am Sonntag zu sehen kriegen", sagte Teamchef Martin Whitmarsh. Dann wird sich auch zeigen, ob der hochnäsige McLaren auch schnell ist.

Schnell war in Bahrain auf jeden Fall Red Bull. Nach einem ernüchternden Saisonstart, vor allem im Qualifying waren Sebastian Vettel und Mark Webber nicht konkurrenzfähig, kehrte das Weltmeisterteam in Bahrain mit dem ersten Saisonsieg in die Erfolgsspur zurück. Um zu gewährleisten, dass der Aufwärtstrend auch in Barcelona weitergeht, spulten Vettel und Webber bei den Testfahrten in Mugello ein umfangreiches Programm ab.

Im Gegensatz zur Konkurrenz beschränkte sich der Rennstall von Dietrich Mateschitz allerdings auf eine Analyse der bestehenden Teile. Das neue Update-Paket packt die Technik-Crew um Adrian Newey erst zum Freitagstraining in Barcelona aus. Hat der "Design-Guru" für den Europaauftakt noch eine Überraschung parat?

Knalleffekte auf der Strecke?

Auch Mercedes sorgte zuletzt für einige Knalleffekte - allerdings vor allem jenseits der Strecke. Zum einen schlug Michael Schumachers harsche Kritik an den Reifen hohe Wellen, andererseits tauchten in den Medien immer wieder Gerüchte auf, dass Mercedes über einen Rückzug aus der Formel 1 nachdenkt. Auch sportlich ist derzeit noch nicht klar, wohin die Reise geht.

Nach dem umjubelten Shanghai-Sieg von Nico Rosberg gab es in Bahrain einen kleinen Dämpfer. Im Qualifying gehörten die Piloten erstmals nicht zu den Spitzenleuten. Im Rennen sprang für Rosberg nach einigen grenzwertigen Manövern immerhin noch Platz fünf, für Schumacher, der nach einem Technik-Defekt in der Quali vom achtzehnten Startplatz ins Rennen gegangen war, der zehnte Rang heraus.

Ist Michael Schumacher auf der Strecke genauso angriffslustig wie daneben?, Foto: Sutton
Ist Michael Schumacher auf der Strecke genauso angriffslustig wie daneben?, Foto: Sutton

Ist Mercedes in Barcelona wieder ein Sieganwärter oder läuft Lotus dem deutschen Vorzeige-Rennstall langsam den Rang ab? Ein Fragezeichen steht immer noch hinter der Haltbarkeit der Pneus, in den ersten Rennen wurden die Fahrer durch einen starken Verschleiß an den Hinterreifen ausgebremst. Der Trip nach Mugello stand deshalb auch ganz im Zeichen eines verbesserten Reifenmanagements.

Schumacher absolvierte am zweiten Tag mit 144 Runden zwei komplette Renndistanzen, Rosberg stand ihm tags darauf mit 129 Umläufen kaum etwas nach. Das neue, leichtere Karbongetriebe, mit dem Mercedes in Italien aufwartete, könnte ebenfalls helfen den Abbau einzudämmen. Das reifenschonende Profil des Kurses und die zu erwartenden, gemäßigten Temperaturen sprechen auf jeden Fall für Mercedes. Und das Schumacher bereits sechs Mal auf dem Circuit de Catalunya triumphiert hat, ist sicherlich auch kein Nachteil.