Der Bahrain Grand Prix war ein weiteres gutes Beispiel für enges Racing mit unsicherem Ausgang - immer abhängig von der Rennstrategie, so wie das für die Formel-1-Saison 2012 bereits charakteristisch geworden ist. Sebastian Vettel und Red Bull sind die vierte verschiedene Fahrer-Auto-Kombination, die im vierten Rennen siegreich war. Das zeigt nicht nur, wie dicht die Teams zusammen liegen, sondern auch was für ein schwieriger Balanceakt es ist, die Strategie für die Pirelli-Reifen richtig hinzubekommen.

Die Teams mussten jederzeit für Stopps bereit sein, Foto: Sutton
Die Teams mussten jederzeit für Stopps bereit sein, Foto: Sutton

Der Sakhir Circuit in Bahrain bot den bislang härtesten Reifentest in diesem Jahr, es gab einige Kurven mit hohen Lasten, harte Bremszonen und Streckentemperaturen um die 40 Grad. Der Reifenabbau war hoch, vor allem wegen der Hitze. Der Abbau ist ein Messwert für den Abfall in der Rundenzeit, dahingegen bezeichnet der Verschleiß den Reifenverbrauch. Die Strategen meinten am Sonntagmorgen, dass der Verschleiß kein Problem sein würde - es wäre möglich gewesen, eine ganze Renndistanz mit einem Reifensatz zu fahren. Doch der Abfall in der Rundenzeit war über etwa 20 Runden mit dem Medium-Reifen enorm hoch, beim Soft galt das für 14 Runden.

Daher ging es vor allem darum, reaktionsschnell zu sein. Es war wichtig, einen guten Plan vorbereitet zu haben, egal ob der für zwei Stopps oder drei Stopps ausgelegt war. Man musste immer bereit sein, ihn zu ändern und an der Box schnell reagieren zu können, sobald es klar war, dass der Abbau die Rundenzeit beeinflusst. Es hatte auch einen großen Vorteil, einen neuen Satz Reifen zu haben, statt auf gebrauchte bauen zu müssen. Vor dem Rennen wurde erwartet, dass die meisten Fahrer drei Stopps machen würden und nur wenige zwei Stopps riskieren wollten. Letztendlich gab es unter den Top-10 nur Paul di Resta, der mit zwei Stopps durchkam.

Lotus fordert Red Bull heraus

Es gab bei diesem Rennen viele Überraschungen. Die schwache Leistung von McLaren auf der Strecke und in den Boxen beispielsweise. Doch die größte Überraschung war, wie die Lotus von Kimi Räikkönen und Romain Grosjean es mit den Red Bulls aufnahmen. Sie konnten Mark Webber relativ einfach hinter sich lassen, Räikkönen gelang es aber nicht ganz, Vettel den Sieg noch abzujagen. Lotus hatte in dieser Saison eigentlich bei bislang jedem Rennen ein gutes Auto, doch die Strategie hatte noch nie so richtig gepasst. In China versuchte man beispielsweise ein Zwei-Stopp-Rennen mit Räikkönen, doch die Stopps waren falsch getimt, wodurch er auf abgenutzten Reifen am Ende des Rennens ein einfaches Ziel für die Dreistopper war. Dadurch fiel er von Platz zwei auf Rang 14 zurück.

In Bahrain bekamen sie es beinahe perfekt hin. Die Strategieplanung begann bereits im Qualifying, wo der Finne in Q2 nur eine schnelle Runde fuhr, um so einen Satz neuer, weicher Reifen aufzusparen. Hier machte Lotus einen kleinen Fehler, der sich später als Vorteil herausstellte, als man den Finnen etwas zu früh losschickte und die Streckenverbesserung am Ende von Q2 unterschätzte. Räikkönen verpasste den Kampf um die Top-10, bei dem Daniel Ricciardos Ergebnis zeigte, dass ein sechster Startplatz möglich gewesen wäre. Allerdings hätte das auch mehr Reifen verbraucht.

Kimi Räikkönen hatte genügend Reifen gespart, um angreifen zu können, Foto: Sutton
Kimi Räikkönen hatte genügend Reifen gespart, um angreifen zu können, Foto: Sutton

Der Vorteil war, dass Räikkönen durch das Verpassen der Top-10 zwei neue Soft-Reifensätze und zwei neue Medium-Reifensätze hatte, wodurch er das ganze Rennen auf frische Gummis zurückgreifen konnte. Zudem hatte er die freie Wahl bei den Reifen für den Start. Vettel verbrauchte im Gegensatz dazu bis auf einen Satz Mediums alle Reifen, weil er bis zum Ende des Qualifyings dabei war und auf Pole fuhr. Wie groß war der Gewinn, den Räikkönen dadurch hatte? Jeder neue Satz, den man im Vergleich zu einem Konkurrenten auf einem gebrauchten Satz verwendet, bringt laut UBS Strategy Report rund acht Sekunden pro Stint.

Und so erarbeiten die Strategen diesen Unterschied: der Abbau ist rund 0,3 Sekunden pro Runde, nach drei Runden im Qualifying ist ein Reifensatz damit rund 0,7 Sekunden langsamer als ein neuer Satz - da nicht alle drei Runden mit Vollgas gefahren werden, lassen sich die 0,3 Sekunden Abbau nicht 1:1 umlegen. Für Räikkönen bedeutete das im Vergleich zu Vettel, dass er in den ersten drei Stints rund 24 Sekunden herausholen hätte können, wäre es ihm möglich gewesen, die neuen Reifen voll zu nutzen, hätte es also weder Fehler noch Verkehr gegeben. Das brachte ihn nach vorne und beinahe sogar den Sieg.

Lotus wählte am Start den weichen Reifen, da er eine höhere Arbeitstemperatur als der Medium hat und das freie Training hatte gezeigt, dass das Auto mit viel Benzin gut damit lief. Das Team dachte, dass man am Freitag das schnellste Auto gehabt hatte. Wir haben gesehen, wie wichtig der Start für die Strategie ist und Räikkönen kam sehr gut weg, was ebenfalls den Vorteil zeigte, neue, weiche Reifen für den Beginn zu haben. Von Platz elf kam er auf Rang sieben nach vorne und lag vor Nico Rosberg und Sergio Perez. In Runde drei machte er dann einen Fehler und ließ Massa vorbei, danach brauchte es ein paar Runden, bis er wieder vor dem Brasilianer war. In dieser Zeit verlor er drei Sekunden auf Vettel an der Spitze. Noch wichtiger war aber, dass er seinen Vorderflügel beschädigte und dadurch aerodynamische Einbußen hinnehmen musste, die ihn für den Rest des Rennens plagten.

Hinter Romain Grosjean ging viel Zeit verloren, Foto: Sutton
Hinter Romain Grosjean ging viel Zeit verloren, Foto: Sutton

Dank seiner neuen Reifen überholte Räikkönen dann Hamilton, der Probleme hatte. Seinen ersten Stint konnte er bis Runde elf ausdehnen, wodurch er vor Alonso, Webber und Button kam. Jetzt war er ein Anwärter auf den Sieg. Im zweiten Stint war er mit den neuen Softs der Schnellste auf der Strecke, bis er seinen Teamkollegen Grosjean einholte. Und wahrscheinlich verlor er genau dort die Chance auf den Sieg. Vettel kam vorne nicht weg, Grosjean fuhr auf gebrauchten Medium-Reifen und Räikkönen steckte hinter ihm fest. Er überholte den Franzosen in Runde 24 und dann setzte er Vettel nach.

Auf neuen Mediums holte er schnell auf Vettel mit seinen gebrauchten Softs auf, er kam aber nicht vorbei. Mit etwas freier Fahrt statt den vier Runden hinter Grosjean hätte er vielleicht die Basis gehabt, um Vettel bei den letzten Stopps zu überholen. Stattdessen machte er seinen dritten Stopp zur gleichen Zeit wie Vettel und da der Deutsche im letzten Stint seinen einzigen neuen Reifensatz verwendete, hatte Räikkönen keinen Reifenvorteil mehr und musste auf Platz zwei nach Hause fahren. Er war nach dem Rennen enttäuscht, da er eine Chance auf den Sieg hatte, so wie Perez in Malaysia. Die Strategie war gut genug, um ihm diese Chance einzuräumen, sie war aber nicht perfekt. Mit vielleicht etwas mehr Rücksichtslosigkeit auf Seiten von Lotus, indem man Grosjean hätte Platz machen lassen, wäre sie perfekt gewesen.

Ein Kraftakt von Di Resta und Force India

Nach einem schwierigen Wochenende abseits der Strecke für Force India gab es am Sonntag mit Platz sechs durch Paul di Resta ein tolles Ergebnis. Wie der Schotte nachher sagte, für das Mittelfeld-Team fühlte sich das wie ein Sieg an. Er schaffte das, obwohl er das langsamste Auto der Top-12 des Qualifyings hatte. Seine Pace lag um acht Zehntelsekunden hinter jener von Red Bull und McLaren und auf Mercedes fehlten drei Zehntelsekunden. Wieder begann die Strategieplanung im Qualifying; das Team hatte die Entscheidung getroffen, in Q3 keine Runde zu fahren, sondern stattdessen die Reifen für das Rennen aufzusparen, weil man bereits wusste, dass er es mit zwei Stopps probieren würde. Das verschaffte ihm zwei neue Sätze Soft-Reifen und einen neuen Satz Mediums für das Rennen.

Paul di Resta hätte sogar Fünfter werden können, Foto: Sutton
Paul di Resta hätte sogar Fünfter werden können, Foto: Sutton

Das ideale Zwei-Stopp-Rennen wäre mit Boxenbesuchen in Runde 19 und 38 gewesen, doch obwohl er beim Start einen neuen Satz Soft-Reifen hatte, kam er nicht weiter als bis Runde 14, bevor der Abbau gegenüber den Dreistoppern zu groß war und er an die Box kommen musste. Er war der Letzte unter den Top-10, der stoppte. Da alle anderen um Di Resta auf drei Stopps gingen, wusste Force India, dass ihr Fahrer am Ende des Rennens verwundbar sein würde, wenn er auf gebrauchten und der Rest mit frischen Reifen unterwegs sein würde. Doch Di Resta fuhr ein starkes Rennen, hielt die Reifen am Leben, aber gleichzeitig auch seine Pace hoch.

Auf neuen Softs verlor er beim Start zwei Plätze und dadurch hinter Bruno Senna Zeit. Indem er mit den Reifen aber bis Runde 14 durchhielt, kam er vor viele der Dreistopper, darunter Rosberg, gegen den er um die Position im Ziel kämpfte. Verkehr ist für einen Fahrer mit zwei Stopps weniger ein Problem als für einen mit drei Stopps, doch Di Resta verlor dennoch in verschiedenen Phasen des Rennens Zeit. Vor allem im zweiten Stint, in dem er schneller war als viele Dreistopper, obwohl er einen Stint von 19 Runden fuhr, während der Rest 13 Runden anvisierte. Wenn es eine Möglichkeit gab, vor Rosberg ins Ziel zu kommen, war es wohl zu dieser Zeit.

Mit einem letzten Stint von 24 Runden war er am Ende des Rennens von Rosberg angreifbar, allerdings half ihm Buttons Ausscheiden und die Tatsache, dass Fernando Alonso nicht den Top-Speed hatte, um in den letzten Runden anzugreifen. Mit Hilfe von KERS konnte Di Resta seinen sechsten Platz verteidigen, womit er sein bislang bestes Resultat in der Formel 1 einstellte.