Es gab am Sonntagabend im Fahrerlager von Brasilien eigentlich nur eine Frage: Was passiert, wenn es in Abu Dhabi ein oder zwei Runden vor Rennende genau so steht wie am Sonntag in Interlagos bei Rennende: Also Vettel vor Webber und Alonso. Denn dann wäre der Spanier Weltmeister - würde Vettel seinen Teamkollegen allerdings vorbei lassen, hieße der Champion 2010 Mark Webber.

Das Szenario ist bei den derzeitigen Kräfteverhältnissen alles andere als unwahrscheinlich. "Eine Teamorder wird es nicht geben", sagt Red Bull-Chef Christian Horner, fügt allerdings hinzu: "Wir verlassen uns dabei ganz auf unsere Fahrer, dass sie wissen, was sie im jeweiligen Moment zu tun haben." Das klingt, als erwarte er schon, dass Vettel dann zur Seite fahren würde. Horner denkt dabei im "normalen" Formel-1-Denken, liegt auf einer Linie mit den meisten in der Szene, die sich überhaupt nicht vorstellen können, dass man irgendetwas höher einschätzen könnte als einen Weltmeistertitel.

Wer zeigt in Abu Dhabi wem die Hörner?, Foto: Sutton
Wer zeigt in Abu Dhabi wem die Hörner?, Foto: Sutton

Wobei Dr. Hemut Marko, Red-Bull-Motorsportkoordinator und Sprachrohr von Red Bull-Chef Dietrich Mateschitz, direkt nach einem Telefonat mit seinem Boss, schon so klang, als könne man tatsächlich auch noch den einen Schritt weitergehen. Nicht nur, dass er betonte, dass auch in Abu Dhabi beide Fahrer absolut freie Fahrt hätten. Seine Erklärung - "wir wollen den zweiten Titel holen, aber wir müssen dabei auch auf ein bisschen Pech von Ferrari hoffen", macht ja nur dann Sinn, wenn man davon ausgeht, dass Vettel wieder vorne liegen, seinem Teamkollegen aber keine Schützenhilfe leisten wird.

Der Punkt ist: Red Bull hat sich von Saisonbeginn an, speziell aber in den letzten Wochen, so eindeutig auf diese Linie festgelegt, dass ein Umschwenken sozusagen "auf der Zielgeraden", ob nun durch "Teamorder" oder eine freiwillige Einigung unter den Fahrern, zwar innerhalb der Formel 1 sicher weitgehend verstanden, nach außen aber nicht mehr in die Philosophie der Fairness und Sportlichkeit passen würde, die man sich auf die Fahnen geschrieben hat.

"Red Bull ist ein Unternehmen, das in seinem ganzen Marketing sehr auf Individualität setzt, sich gerade dadurch abheben will", sagt Christian Danner. "Und wenn man sich selbst fair und der Gegner sich unfair verhält, diskreditiert man ihn." Speziell also dann, wenn Alonso genau durch die sieben zusätzlichen Punkte, die ihm die Ferrari-Stallorder von Hockenheim einbrachte, den Titel holen sollte. "So lässt es sich auch besser verlieren. Es ist sehr klug von Red Bull, denn der Imageverlust so einer Stallregiesache ist bei Weitem größer, als das Plus durch einen Fahrer-WM-Titel."

In der Außenwirkung vor allem, außerhalb des in solchen Dingen manchmal sehr engen Formel-1-Horizonts. Auch Mateschitz hatte sich so ausgedrückt: Man verliere lieber den Titel, als ihn durch die gleichen Methoden wie Ferrari zu gewinnen.

Sebastian Vettel ging allen Fragen zu dem Thema nach dem Rennen erst einmal aus dem Weg. Klar ist: Sein Verhältnis zu Webber hat sich, vor allem durch das Verhalten der Australiers, der oft gegen seinen Teamkollegen vor allem bei den englischsprachigen Medien intrigierte und auch einige sehr abfällige Bemerkungen losließ, stark verschlechtert. Auch kein Wunder nach Webber-Sprüchen wie: "Vettel ist nichts Besonderes, ich kann nicht sehen, dass er irgendwie anders arbeitet als Heikki Kovalainen."

Red Bull muss seine Fahrer im Zaum halten, Foto: Red Bull/GEPA
Red Bull muss seine Fahrer im Zaum halten, Foto: Red Bull/GEPA

Lust darauf, seinem Teamkollegen zum Titel zu verhelfen, hat er ganz bestimmt nicht - da wäre ihm selbst ein Fernando Alonso als Weltmeister lieber. Sollte er also die Rückendeckung der obersten Teamführung haben, wäre es durchaus möglich, dass er sich auf nichts einlässt und dafür lieber ein paar Beschimpfungen zumindest aus der englischen Formel-1-Medienwelt in Kauf nimmt. Andererseits könnte sich Vettel natürlich auch noch überlegen: "Wenn ich, auch ohne offizielle Teamorder, Webber zum Titel verhelfe, und das dementsprechend gut verkaufe, kann das für mein Image nur gut sein."

Aber am liebsten wäre es ihm mit Sicherheit, wenn sich diese Konstellation gar nicht ergeben würde. Am besten dadurch, dass Alsonso durch irgendwelche Probleme in Abu Dhabi maximal auf Platz fünf liegen oder sogar ausfallen würde. Dann wäre Vettel bei einem Sieg Weltmeister. Oder, wenn das nicht geht, dann wenigstens andersherum so, das Klarheit herrschte: wenn nämlich, bei einer Führung von Vettel, Alonso vor Webber läge. Dann wäre der Spanier sowieso Champion - ohne dass Vettel in irgendwelche Gewissenskonflikte gestürzt würde.