Gerald, unter Strömungsdynamikberechnung können sich die wenigsten etwas vorstellen. Viele wissen allenfalls, dass mithilfe von CFD die Aerodynamik der Autos verbessert wird. Was ist CFD genau?
Gerald Murphy: CFD kann das Verhalten von Flüssigkeiten beziehungsweise Luftströmen berechnen. Der Luftfluss rund um ein Formel 1-Auto ist sehr komplex. Wir nutzen CFD, um diesen Fluss besser zu verstehen. Der Windkanal liefert uns Abtriebswerte, Belastungen, Luftwiderstände und ähnliche Daten, aber er kann den Luftfluss nicht gut sichtbar machen. Also verknüpfen wir die Daten aus dem Windkanal mit den CFD-Daten. Wenn wir ein neues Teil per CFD testen, können wir zum Beispiel exakt ablesen, wie die Luftströmung den Rest des Autos beeinflusst - und das hilft uns, das Auto weiterzuentwickeln. Wir sehen, ob die neue Komponente das leistet, was wir uns erhofft haben. Wenn nicht, können wir gezielter weiter daran arbeiten.

CFD zeigt manches, was der Windkanal nicht verrät, Foto: BMW
CFD zeigt manches, was der Windkanal nicht verrät, Foto: BMW

Was kommt denn zuerst - der Windkanal oder CFD?
Gerald Murphy: Gewöhnlich CFD. Wir probieren neue Konzepte, Ideen und Entwicklungsrichtungen zuerst am Rechner aus. Wenn die Simulation vielversprechend aussieht, stellen wir das Teil in den Windkanal. In diesem Moment besitzen wir aber schon ein viel besseres Verständnis von der Funktion dieses Teils als ohne CFD - die Simulationsrechnung hilft uns also auch, die Windkanalzeit optimal auszunutzen.

Wie genau stimmen die Rechenergebnisse mit der Wirklichkeit überein?
Gerald Murphy: Manchmal glauben wir, per CFD einen großen Fortschritt entdeckt zu haben. Aber wenn du das Teil dann im Windkanal testest, zeigt sich gelegentlich, dass es nicht so gut ist wie erhofft. CFD hat bestimmte Grenzen.

Es liefert nicht so akkurate Ergebnisse wie der Windkanal. Warum?
Gerald Murphy: Für die Simulation des Luftflusses rund ums Auto müssen wir bestimmte Annahmen voraussetzen, damit CFD die Gleichungen überhaupt in einem akzeptablen Zeitrahmen berechnen kann. Dadurch ergibt sich eine gewisse Unschärfe. Unterm Strich lässt sich sagen: CFD gibt dir sehr viel mehr Informationen als der Windkanal, wenn auch nicht ganz so genaue. Dafür ergänzen sich die beiden Werkzeuge sehr gut.

Wie lange dauern die CFD-Berechnungen im Durchschnitt?
Gerald Murphy: Nehmen wir beispielsweise einen neuen Frontflügel: Um den durchzurechnen, benötigt der CFD-Aerodynamik-Spezialist rund einen halben Tag. Anders sieht es aus, wenn man eine bestimmte Veränderung im direkten Vergleich ausprobieren möchte. In unserem Beispiel würde der Ingenieur sein CAD-Konstruktionsprogramm öffnen und eine zweite, alternative Form entwerfen. Die beiden Geometrien werden dann zusammengepackt und berechnet. Eine solche vollständige Vergleichssimulation dauert etwa 16 Stunden. Zusammen mit der CAD-Konstruktion kommen wir auf eine Durchlaufzeit von etwa 24 Stunden.

Wenn der Windkanal die genaueren Ergebnisse liefert - in welchen Punkten können die Ingenieure aus der CFD-Berechnung überhaupt mehr lernen als aus der Windkanalarbeit?
Gerald Murphy: Du bekommst vor allem viel mehr Informationen. Und du kannst den Luftfluss visualisieren. Wir können genau ablesen, wie sich jede Geometrie-Änderung eines Teils auf die Strömung rund ums Auto auswirkt. Ein gutes Beispiel für die Vorteile von CFD ist der angeströmte Unterboden. Viele Teams führen jetzt die Auspuffgase durch den Diffusor, um mehr Abtrieb zu erzeugen. Wenn du das im Windkanal simulieren möchtest, hast du aber ein Problem: Die heißen Abgase weisen eine geringere Dichte auf als kalte Luft - diese geringere Dichte lässt sich im Windkanal nicht akkurat darstellen. Das CFD-Modell können wir dagegen mit jeder beliebigen Temperatur und Luftdichte laufen lassen und erzielen realistischere Ergebnisse.

Man kann am Computer aber noch mehr herausfinden als den Gewinn an Downforce.
Gerald Murphy: Das Rechenmodell zeigt uns auch, wo es Hitzeprobleme geben könnte und welche Teile des Autos wir deshalb modifizieren oder beispielsweise aus Titan fertigen müssen. So gehen wir sicher, dass wir beim ersten Test auf der Rennstrecke nicht die Hinterreifen kochen oder den Unterboden schmelzen. Aus dieser Sicht ist CFD wirklich unverzichtbar. Dasselbe gilt übrigens für die Entwicklung der Bremskühlung und -verkleidungen. Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Bereiche, wo CFD dem Windkanal überlegen ist. Ich schätze, 80 Prozent der CFD-Arbeit ergänzt die Windkanalstudien, bei den restlichen 20 Prozent geht es um Arbeiten, die wir ausschließlich per CFD erledigen können.