Sommerzeit ist Ferienzeit und weil da alle in den Urlaub fahren wollen, kommen die Blechlawinen auf den Autobahnen in schöner Regelmäßigkeit zum Stillstand. Staus sind jedes Jahr im Sommer auf diversen Autobahnen der Normalfall, dementsprechend ist auch jeder schon darauf eingerichtet und baut das fröhliche Warten in der Blechlawine in sein Urlaubserlebnis ein. So auch sechs Deutsche und ein Schweizer, die gemeinsam vor irgendeinem Tunnel warten mussten, weil dort Blockabfertigung herrschte und sich die Sache zog.

Mit irgendwas muss man sich ja beschäftigen, Foto: Sutton
Mit irgendwas muss man sich ja beschäftigen, Foto: Sutton

Sebastian hatte sich durch langes Warten in die Pole Position der Stauwalze gebracht, angesichts seiner Wartezeit analysierte er seinen Standplatz aber eher nüchtern. "Es ist egal, ob man mit zwei Tausendsteln oder einer Sekunde vorne steht - der Unterschied in der Startaufstellung sind immer acht Meter." Er war auch ein wenig nervös, ob auch alles klappen würde, wenn es denn weitergehen sollte, denn als sich die 35 Kilometer Zukunftsschrott das letzte Mal bewegt hatten, sorgte Sebastian beinahe für einen Stau im Stau. "Wir hatten ein Kupplungsproblem, aber ich bin zuversichtlich, dass wir hier keine Probleme haben werden und alles wieder klappt", sagte er und lächelte dem Tunnelwärter zu.

Nico war ein eher ungeduldiger Staufahrer. Ihm konnte es nicht schnell genug vorwärts gehen und Stillstand fand er gar nicht gut. Deswegen missfiel es ihm, wenn es nur so einen halben Meter weiterging, weil vorne irgendwer draufgekommen war, dass er doch nicht zwei Fahrzeuge Abstand zum Vordermann lassen muss. "Ich glaube nicht, dass wir einen Fortschritt gemacht haben", wiederholte er wieder und wieder, bevor er sich wieder mit der Klima-Anlage und seinem Autoradio beschäftigte. "Diese beiden wichtigsten Technologien müssen wir noch komplett verstehen lernen", sagte Nicos Kumpel Ross auf dem Rücksitz.

Wer die Philosophie des Staus nicht versteht, kann Probleme bekommen, Foto: Sutton
Wer die Philosophie des Staus nicht versteht, kann Probleme bekommen, Foto: Sutton

Nicht weit hinter ihm stand Hulk in seinem froschgrünen Käfer und zog sich ein wenig entspannte Musik von einem Achtspur-Band rein. Er war eben noch Purist und genoss die Reise, statt sich über Hindernisse Gedanken zu machen. "Man will immer mehr, aber eigentlich muss man einen Schritt zurückgehen", versuchte er die Philosophie des Staus zusammenzufassen. Und er versuchte auch vorauszusehen, denn er erahnte, was passieren würde, wenn es plötzlich wieder freie Fahrt geben wurde. "Ich denke, es wird eng zugehen wie in Hockenheim."

Etwas anders gerüstet für den Stau war Adrian. Er hatte den neuesten MP3-Player, den neuesten Laptop und den neuesten portablen DVD-Player vom Elektronik-Produzenten seines Vertrauens eingepackt und ließ alles in seiner indischen Luxuskarosse gleichzeitig laufen, um nicht daran denken zu müssen, mitten im Verkehr festzustecken - das hatte er schon zu oft erlebt. "Ich stehe auf der sauberen Seite, das sollte ein Vorteil sein", sagte er sich und blickte auf die eher welk wirkenden Büsche neben der Fahrbahn. Irgendwie hatten die beinahe hypnotisierende Wirkung auf ihn, denn als er aufgrund der hupenden Autos hinter sich wieder nach vorne sah, merkte er: "Die Abstände sind noch größer geworden."

In einem schlechten Stau würde man gerne die Beine in die Hand nehmen, Foto: Sutton
In einem schlechten Stau würde man gerne die Beine in die Hand nehmen, Foto: Sutton

Bereits ein alter Hase auf dem Stausektor war Michael oder einfach nur "S", wie ihn die Staukenner nannten. Er spürte das innere des Verkehrsinfarkts, konnte damit Kontakt aufnehmen und deswegen auch genau sagen, wie es weitergehen würde. "Manchmal läuft es gegen einen. Die Dinge sind schwierig. Man hat Gegenwind, aber da muss man sich durchkämpfen", meinte er dann nach einer kurzen Meditation. Der Stau strahlte für ihn keine guten Schwingungen aus, dabei mochte er gut gelaunte Staus gerne - für ihn gab es so etwas. "Das ist in die Hose gegangen", sagte "S" und fuhr bei nächster Gelegenheit auf einen Parkplatz, um dem Verkehr wieder aus dem Weg zu gehen.

"Es ist schwierig, ich glaube, unser Auto ist momentan nicht schnell genug", klagte Sebastien, der extra um Mitternacht weggefahren war, um dem Stau am Morgen aus dem Weg zu gehen. Da er aber mitten in der endlosen Kolonne aus Blechkarossen stand, musste er merken, dass er vielleicht doch besser schon um zehn Uhr abends losgefahren wäre. "Wir verlieren sehr viel Zeit in Sektor zwei. Das ist unser Hauptproblem", meinte Sebastien. Eine Lösung war für ihn nicht in Sicht, höchstens ein neues Auto, aber darauf musste er bis zum nächsten Jahr warten.

Von so freien Straßen kann man manchmal nur träumen, Foto: Sutton
Von so freien Straßen kann man manchmal nur träumen, Foto: Sutton

Ein neues Auto wünschte sich auch Timo, denn bei ihm fielen die Teile schon von alleine ab. Nicht einmal einem stärkeren Wind konnte man den Wagen aussetzen, zumindest hatte das der Mann gesagt, der es für Timo aufgemotzt hatte - oder besser gesagt, neu lackiert. Was Staus betraf, schaffte sein kleines rotes Wägelchen aber doch immer wieder kleine Wunder, weil es sehr gut durch Lücken passte. "Toi, toi, toi, dass es morgen so weitergeht", freute sich Timo, als er den still stehenden Autos um sich herum zuwinkte und im Zickzack nach vorne schlich. "Mir macht die Strecke Spaß, man kann sich hier wenig ausruhen und es muss alles passen", dachte er sich und versuchte, Sebastian ins Visier zu nehmen. Noch war der aber weit weg.