Rolf Michl hatte wahrlich keinen einfachen Einstand als neuer Audi-Motorsportchef. Im September dieses Jahres folgte der 44-Jährige auf Julius Seebach - und musste direkt die bereits zuvor feststehenden Abgänge der Stars Rene Rast und Nico Müller sowie des Top-Teams WRT samt der Einstellung des LMDh-Projekts kommentieren. Keine Überraschung: In den Sozialen Medien setzte es deftige Fan-Kritik an Audi Sport.

Mit dem 44-jährigen Michl leitet nun wieder ein 'Racer' die motorsportlichen Geschicke des Autobauers aus Ingolstadt. Der Allgäuer arbeitet seit 2007 für Audi, baute unter anderem 2014 den Audi Sport TT Cup im Rahmenprogramm der DTM auf und war später als Head of Global Product Marketing bei Audi Sport tätig. Nach zwei Jahren als Sales- und Marketing-Leiter beim Traditionsrennstall Abt Sportsline kehrte Michl 2019 zurück nach Neuburg. Inzwischen ist er Mitglied der Geschäftsführung bei der Audi Sport GmbH und verantwortet parallel die Leitung des Motorsports.

Motorsport-Magazin.com traf den leidenschaftlichen Motorsportler am Rande des DTM-Saisonfinales auf dem Hockenheimring zum ausführlichen Interview. Michl war direkt von der Rallye Marokko, wo sich Audi auf die Dakar 2023 vorbereitete, ins badische Motodrom gereist und durfte sich über den Gewinn der Hersteller-Meisterschaft in der DTM freuen.

Herr Michl, Sie sind seit September 2022 Geschäftsführer der Audi Sport GmbH und verantwortlich für den Motorsport bei Audi. Wie haben Sie ihre ersten Monate in dieser Funktion erlebt?
Rolf Michl: Racer und gleichzeitig Unternehmer - wenn ich mir als Kind einen Job hätte aussuchen dürfen, dann wäre es wahrscheinlich der gewesen! Es ist eine große, aber auch spannende Herausforderung, beide Komponenten zu vereinen. Für uns war es erst einmal wichtig, die laufenden Engagements sowie die strategischen Gesichtspunkte sauber einzuordnen in den gesamten Unternehmenszweck der Audi Sport GmbH. Ich bin sehr froh, wieder an der Rennstrecke sein zu können, das habe ich in den vergangenen paar Jahren vermisst. Ich bin direkt von der Rallye Marokko zum DTM-Finale nach Hockenheim gereist und es macht riesigen Spaß, diese Varianz zu erleben.

Rolf Michl im Gespräch mit Kelvin van der Linde, Foto: DTM
Rolf Michl im Gespräch mit Kelvin van der Linde, Foto: DTM

Motorsport-Fans kennen Sie noch aus dem Audi Sport TT Cup, den Sie 2014 als Projektleiter im Rahmenprogramm der DTM aufgebaut haben. Wie sieht Ihr motorsportlicher Hintergrund aus?
Rolf Michl: Ich bin nie aktiv Rennen gefahren, aber ich würde es so ausdrücken: Racer by Heart und Unternehmer. Meine erste faktische Erfahrung im Motorsport war damals der Audi Sport TT Cup. Das war eine steile, aber sehr gute Lernkurve. Ich glaube, dass ich das Racer-Gen in mir trage, und deshalb nicht nur die unternehmerischen und organisatorischen Aspekte verstehe, sondern auch die Rennfahrer. Das hilft dabei, die rationale und emotionale Welt zu vereinen. Durch meine langjährige Erfahrung kann ich die Szene gut einschätzen, und das ist in der aktuellen Zeit auch notwendig.

Sie mussten kurz nach Ihrem Amtsantritt die schon vorher feststehenden Abgänge von Rene Rast, Nico Müller und dem Erfolgs-Team WRT kommentieren. Wie schwierig war das?
Rolf Michl: So etwas fällt nie leicht, dafür bin ich zu sehr Mensch. Rene und Nico wurden zu Freunden, wir kennen uns seit vielen Jahren. Beim DTM-Finale in Hockenheim war es mir ein wichtiges Anliegen, mich mit einer persönlichen Erinnerung von ihnen zu verabschieden. Wenn eine strategische Planung im Unternehmen aber gewisse Engagements nicht mehr vorsieht, dann ist das eine schwierige, aber nachvollziehbare Entscheidung. Die Fahrer wollen und sollen sich weiterentwickeln. Mir ging es darum, wie wir auseinandergegangen sind. Ich denke, dass wir auf beiden Seiten mit erhobenem Haupt und als Freunde getrennte Wege gehen. Das gilt zu 100 Prozent ebenso für das Team WRT. Und ich kann auch unsere 'Kollegen im Süden' (BMW M Motorsport, neue Arbeitgeber von Rast und WRT; d. Red.) gut verstehen. Ich halte es mit der Einstellung, dass sich für jeden eine neue Perspektive ergibt: für die Fahrer und auch für uns.

Audi Sport bekam im Zuge der Abgänge von Rast, Müller und WRT viel Kritik von Motorsport-Fans ab. Sie waren nicht für diese Entscheidungen verantwortlich, aber können Sie die Reaktionen nachvollziehen?
Rolf Michl: Absolut, die Kritik habe ich wahrgenommen. Wenn man von außen draufschaut, kann man schnell sagen oder in den Sozialen Medien schreiben: 'Macht ihr jetzt den Laden zu?' Dazu sage ich: Nein, das machen wir nicht! Ich bin chancenorientiert, und wir haben dieses Kapitel genial gestaltet sowie top beendet. Wenn ein Kapitel endet, beginnt ein anderes. Wir haben weiterhin einen sehr guten Fahrerkader mit Jungen Wilden wie Ricardo Feller oder Kelvin van der Linde, den wir aktuell mit Chris Reinke (Leiter Audi Sport customer racing; d. Red.) intensiv bewerten. Sicherlich ist auch WRT ein Top-Team, aber es gibt andere, die daran anknüpfen können.

Rolf Michl: Emotionale Verabschiedung von Rene Rast in Neuburg, Foto: Audi Communications Motorsport
Rolf Michl: Emotionale Verabschiedung von Rene Rast in Neuburg, Foto: Audi Communications Motorsport

Es gibt Gerüchte über Abgänge weiterer langjähriger Audi-Kundenteams, aus Sorge, dass es für den Audi R8 LMS GT3 nach dem Ende der Serienproduktion keine Zukunft im GT-Sport gibt. Was können Sie dazu sagen?
Rolf Michl: Wir haben ein klares Statement dazu abgegeben. 2023 und 2024 sind absolut unstrittig. Wir haben mit dem Audi R8 und gerade mit dem evo II-Paket ein sehr wettbewerbsfähiges Auto, wie wir unter anderem beim 24h-Rennen Nürburgring eindrucksvoll gezeigt haben. Und die Rennen am Nürburgring sowie in Spa, wo wir noch eine Rechnung offen haben, sind für mich ganz klar die 'Big Ones'. Ein Nachfolger für den Audi R8 ist für mich momentan nicht Gegenstand, um über ein Kundensport-Engagement zu sprechen. Diese Skepsis halte ich für verfrüht. Die nächsten beiden Jahre sind für uns mit dem Audi R8 LMS eine ganz saubere Planung. Darüber hinaus machen wir uns natürlich Gedanken, was potenzielle Zukunftsformate sein könnten. Das Portfolio bei Audi wird stark elektrifiziert und es gibt Überlegungen, wie wir das kombinieren können.

Audi-Meeting: Hans-Jürgen Abt, Kimmo Liimatainen, Rolf Michl, Chris Reinke, Arkin Aka, Foto: Audi Communications Motorsport
Audi-Meeting: Hans-Jürgen Abt, Kimmo Liimatainen, Rolf Michl, Chris Reinke, Arkin Aka, Foto: Audi Communications Motorsport

Haben Sie Sorgen, dass nach Rast und Müller weitere Fahrer Audi Sport verlassen könnten?
Rolf Michl: Rene und Nico hatten sich schon vor einiger Zeit ein Langstrecken-Engagement zum Ziel gesteckt. Mit der Entscheidung pro Formel 1 und damit dem Stopp des LMDh-Projekts war das bei uns nicht möglich. Was unsere weiteren Fahrer betrifft: Ich halte zwei Jahre Planungssicherheit für eine solide Grundlage. Es gibt bei uns eine Kultur der Interaktion, bei der wir mit den Fahrern sprechen und eine klare Perspektive aufzeigen. Man muss Verständnis haben, dass ich in der kurzen Zeit nicht die Welt auf den Kopf stellen kann. Wir wollen zunächst das System stabilisieren und parallel schon für die Zukunft weiterschauen. Schon jetzt kann ich sagen, dass der Motorsport Bestandteil unserer DNA ist und bleibt.

Audi hat faktisch mit dem Engagement bei der Rallye Dakar im Jahr 2023 nur noch ein Werksprogramm?
Rolf Michl: Das ist korrekt. Die Rallye Dakar ist auch nächstes Jahr unser Werksprogramm. Hinzu kommt unser Kundensportprogramm. Dazu ein ganz klares Statement: Audi Sport customer racing bleibt bei uns eine ganz feste und nachhaltige Säule im Motorsport. Ich kann schon jetzt sagen, dass auch 2023 wieder Audi-Kundenteams in der DTM an den Start gehen werden. Die Gespräche dazu laufen aktuell. Wir hatten am Rande des Finales ein Event mit dem neuen Audi R8 Coupé V10 GT RWD und haben das als eine sehr gute Möglichkeit gesehen, die Nähe zwischen dem Motorsport und der Serie zu betonen. Und noch etwas...

Ja, bitte?
Rolf Michl: Im Jahr 2023 feiert die Audi Sport GmbH, ehemals quattro GmbH, ihren 40. Geburtstag. Das ist doch eine tolle Möglichkeit für die eine oder andere Geschichte. So viel kann ich jetzt schon einmal verraten.

Rolf Michl bei der Verabschiedung von Nico Müller, Foto: Audi Communications Motorsport
Rolf Michl bei der Verabschiedung von Nico Müller, Foto: Audi Communications Motorsport

Wird Audi auch die DTM-Dachorganisation ITR unterstützen?
Rolf Michl: Das kann ich aktuell nicht bestätigen. Wir werden definitiv die DTM-Plattform für das Racing nutzen. Andere Engagements bleiben abzuwarten. Für uns war es ein wichtiges Zeichen, die Plattform auch für eine Produktpräsentation wie mit dem R8 zu nutzen. Das erste Feedback der Händler und Investoren war hervorragend. Jetzt werden wir den Benefit dieser Aktion bewerten, denn: Racing ist das Eine, aber mit Blick auf das Unternehmerische müssen sich auch klare Renditen ergeben.

2024 soll die DTM Electric auf der Plattform kommen. Ist das ein interessantes Projekt für Audi?
Rolf Michl: Elektrifizierung ist bei uns ein zentraler Teil im Serienportfolio. Natürlich sind wir immer interessiert an elektrifizierten Formaten. Das kann aber nie Einer allein sein und es muss für uns immer ein Format sein, bei dem man Elektrifizierung und ihre Vorteile eindrucksvoll darstellen kann. Wir verfolgen das Format mit großer Spannung, ich kenne allerdings noch nicht mehr als den Prototypen. Es muss ein Finanzierungs- und ein Einsatzkonzept geben. Genauso wichtig ist die Wirkung auf den Zuschauer - was wollen die Fans sehen?

Audi steigt 2026 in die Formel 1 ein. Welche Auswirkungen hat dieses Projekt auf die weiteren Motorsport-Engagements der Marke?
Rolf Michl: Unabhängig von einem Projekt wie der Formel 1 stellt sich immer die Frage, welche Engagements man betreibt und welche Mitarbeiter wie und wo eingesetzt werden. Die Formel 1 ist sicherlich eine besondere Herausforderung, das gilt aber für sämtliche Motorsport-Engagements. Die Formel 1 ist alleine schon wegen des Cost Cap ein eigenständiges Projekt und bei Adam Baker in besten Händen. Uns ist wichtig, dass wir strategisch mehrere Facetten besetzen können. Unsere Säulen sind das Dakar-Projekt und der Kundensport, und die Auswirkungen unserer Motorsport-Projekte für die Serienentwicklung müssen immer gegeben sein. Wir sind alle zusammen in Neuburg, stehen in engem Kontakt und haben einen guten Austausch.

Rallye-Legende trifft Audi-Motorsportchef: Carlos Sainz und Rolf Michl, Foto: Audi Communications Motorsport
Rallye-Legende trifft Audi-Motorsportchef: Carlos Sainz und Rolf Michl, Foto: Audi Communications Motorsport

Viele Motorsport-Fans und Experten fragen sich noch immer, warum Audi eigentlich die Rallye Dakar macht. Können Sie uns das erklären?
Rolf Michl: Zum einen geht es mit der Dakar 'back to the roots', wir haben in den Achtziger-Jahren ja im Rallye-Sport angefangen. Und zum anderen - und das finde ich klasse - ist es der Pioniergeist. Als ich noch in anderer Funktion zum ersten Mal gehört habe, dass wir mit einem Auto mit elektrischem Antrieb und Energiewandler die Dakar fahren, dachte ich: 'Ihr seid ja völlig wahnsinnig'. Dann aber solch ein Projekt innerhalb kurzer Zeit auf die Beine zu stellen und dabei noch Antriebsstränge aus der Formel E und DTM zu nutzen, hat die Menschen intern wie extern fasziniert. Für mich ist das ein Beweis, dass Elektromobilität auch unter den widrigsten Witterungsbedingungen funktioniert und an den größten Herausforderungen gemessen wird. 'Vorsprung durch Technik', das wird hier gelebt.

Muss Audis einziges Ziel für 2023 mit der Weiterentwicklung des Prototypen der Gesamtsieg bei der Dakar sein?
Rolf Michl: Wir treten mit der klaren Erwartungshaltung an, auf das Podium zu fahren. Als Audi Sport tritt man nicht an, nur, um dabei zu sein. Wir haben mit Stephane Peterhansel, Carlos Sainz und Mattias Ekström absolute Top-Fahrer, haben darüber hinaus hervorragenden Beifahrer und dazu ein belastbares Fahrzeug. Gleichzeitig darf man nicht vergessen, dass bei der Dakar viel mehr äußere Einflüsse eine Rolle spielen als auf der Rundstrecke. Rallye, das ist wirklich noch ein Abenteuer, das musste ich auch erst einmal selbst erleben, als ich vor Kurzem bei der Rallye Marokko dabei war. Einfach unglaublich! Diese Faszination wollen wir auch den Fans näherbringen.