"Wie in einem Horrorfilm", beschrieb BMW-Werksfahrer Philipp Eng die Unfall-Szenen im Samstagsrennen der DTM beim Saisonfinale auf dem Hockenheimring. Rückblickend lässt sich festhalten: Die Crash-Orgie ging mit Ausnahme eines gebrochenen Lendenwirbels bei David Schumacher, drei Fahrern im Krankenhaus, vielen Prellungen, zahlreichen zerstörten Autos und Titelträumen (Thomas Preining) mit einem 'Happy End' aus. Es hätte viel schlimmer kommen können...

Tatsächlich muss man sagen, dass die DTM nur knapp einer Tragödie entgangen ist. Zwar sah der Unfall zwischen Schumacher und Preining atemberaubend aus, doch der zeitgleiche Crash von Dennis Olsens SSR-Porsche hätte um ein Haar viel gravierendere Folgen haben können.

Cassidy-Ferrari: Überrollkäfig beschädigt

Nach seinem Highspeed-Einschlag löste sich der Motor im Heck des gelben SSR-Porsche und wurde in die Fahrertür von Nick Cassidys Ferrari geschleudert. "Wäre der Motor 50 Zentimeter höher eingeschlagen, weiß ich nicht, was passiert wäre", malte eine mit dem Fall vertraute Person ein Schreckens-Szenario aus.

Die Wucht des rund 170 Kilogramm schweren Porsche-Boxermotors war derart massiv, dass sogar der extrem robuste Überrollkäfig von Cassidys AF-Corse-Ferrari beschädigt wurde. Man will sich gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn der Motor stattdessen die Seitenscheibe direkt neben dem Kopf des Neuseeländers getroffen hätte...

Dennis Olsens SSR-Porsche nach dem Hockenheim-Unfall, Foto: LAT Images
Dennis Olsens SSR-Porsche nach dem Hockenheim-Unfall, Foto: LAT Images

Reichert: "Wie viel 'Glück' wir hatten..."

"Ich kann nicht genug hervorheben, wie viel 'Glück' wir hatten, als der Motor eingeschlagen ist", sagt AF-Corse-Teamdirektor Ron Reichert zu Motorsport-Magazin.com. "Aber auch, wie sicher der Ferrari ist. Das ist ein unfassbar sicheres Auto, die Jungs haben da wirklich einen tollen Job gemacht, eine solch sichere Sicherheitszelle zu entwickeln. Auf den Onboard-Aufnahmen war zu sehen, wie sehr es das Auto durch den einschlagenden Motor auf der Rennstrecke versetzt hat. Das zeigt, was für eine Kraft hinter diesem sehr schweren Eisenblock steckte."

Reichert bestätigt die Beschädigung des Überrollkäfigs. Das Fahrzeug müsse Rissprüfungs- und Röntgenprüfverfahren durchlaufen, um den vollständigen Schaden zu ermitteln. Das war an der Rennstrecke nicht möglich. Cassidy verpasste das Sonntagsrennen in Folge des Unfalls. "Ich weiß, dass die Jungs dran sind und dass das Auto dafür sehr weit bis aufs Chassis zerlegt werden muss", so Reichert. "Das Wichtigste ist für uns, zu sehen, wie sicher das Auto ist. Deshalb bin ich Ferrari dankbar, dass es ausgegangen ist wie es ausgegangen ist."

Laut Angaben von Ferrari gegenüber Motorsport-Magazin.com könne Cassidys Ferrari nach Reparaturarbeiten weiterhin Rennen bestreiten. Der Überrollkäfig habe "so auf den Crash reagiert hat, wie er konstruiert wurde", hieß es seitens des italienischen Sportwagenbauers: "Wenn wir einen Rennwagen konstruieren und entwickeln, ist Sicherheit eine Schlüsselsäule. Unsere Autos werden nicht nur von Pro-Fahrern, sondern auch von Gentlemen gefahren, daher ist Sicherheit für uns sehr wichtig."

Preining: Mauereinschlag mit 50 G

Bei all dem sportlichen Geschehen und den spektakulären Bildern geht oftmals unter, welch hohe Sicherheitsvorkehrungen bei den heutigen Rennwagen herrschen. Man denke nur an Porsche-Werksfahrer Thomas Preining, der sich bei seinem Hochgeschwindigkeits-Unfall kurz vor Olsens Einschlag 'nur' starke Prellungen zuzog, obwohl er mit einer Kraft von rund 50 G - dem Fünfzigfachen seines Körpergewichts - in die Streckenmauer eingeschlagen war.

Motorsport-Experten sind sich einig: In früheren Zeiten wären derartige Unfälle nicht so glimpflich ausgegangen. Verantwortlich sind in erster Linie die hohen Sicherheitsstandards des Automobil-Weltverbandes FIA, die immer weiter überarbeitet und weiterentwickelt werden. Allein ein Blick ins Technische Reglement für GT3-Tourenwagen und speziell den 23-seitigen Anhang J für Sicherheit zeigt, welche Detailarbeit und welche Anforderungen hinter dem Sicherheitskonzept stecken.

So ziemlich jedes relevante Bauteil in einem GT3-Rennwagen unterliegt einer Homologation und muss den strengen Vorgaben der FIA entsprechen. So muss etwa der Sicherheitskäfig von einer nationalen Sportbehörde (ASN) oder von der FIA homologiert und zertifiziert werden und die Rohre in der Nähe des Fahrers müssen mit einem von der FIA zugelassenen, nicht brennbaren Schaumstoff gepolstert sein. Sogar diese Polsterung unterliegt genauen Vorgaben, um möglichst hohe Sicherheit bei einem Vorfall zu gewährleisten.

Im Detail erklärt: So sicher sind GT3-Autos

Um bei einem seitlichen Aufprall - wie in Cassidys Fall mit dem Porsche-Motor - zusätzlichen Schutz zu gewähren, sind neben dem Stahl-Überrollkäfig auch Seitenschutzbleche und energieabsorbierendes Material rund um den Fahrer vorgeschrieben. Einen weiteren Schutz bieten die aus Onboard-Aufnahmen bekannten und obligatorischen Netze rund um den Fahrersitz, die an homologierten Befestigungspunkten angebracht und gemäß den von der FIA veröffentlichten Installationsspezifikationen installiert werden müssen.

Ebenfalls verpflichtend: Die Schnellverschluss-Systeme beider Netze müssen sowohl vom Fahrer sitzend in seiner Rennposition mit angezogenen Sicherheitsgurten als auch von Rettungskräften geöffnet werden können.

Blick ins Cockpit des neuen Ferrari 296 GT3 für 2023, Foto: Ferrari
Blick ins Cockpit des neuen Ferrari 296 GT3 für 2023, Foto: Ferrari

Leif Linden: "Motorsport stets mit gewissem Restrisiko behaftet"

"Die Ereignisse vom DTM-Wochenende in Hockenheim haben uns einerseits vor Augen geführt, in welchen Bereichen es Bedarf für Verbesserungen gibt, andererseits aber auch deutlich gezeigt, auf welch hohem Niveau der Sicherheitsstandard der aktuellen GT3-Fahrzeuge liegt", sagt Lutz Leif Linden, Vorsitzender der FIA GT-Kommission und Generalsekretär des AvD (Sportlicher Ausrichter der DTM), zu Motorsport-Magazin.com. "Ich bin froh, dass den Betroffenen nicht mehr passiert ist und wünsche allen eine schnelle Genesung."

Grundsätzlich seien die FIA, die Rennstreckenbetreiber und die im Motorsport engagierten Hersteller darum bemüht, den nach aktuellem Stand der Technik höchsten Sicherheitsstandard für die Sportler, die Offiziellen und die Zuschauer zu gewährleisten. Dazu gehöre auch, sich nie auf dem Status quo auszuruhen, um das Sicherheitsniveau noch weiter zu verbessern. Die letzte Anpassung für das GT3-Sicherheitskonzept wurde erst im Juli dieses Jahres vorgenommen.

Leif Linden weiter über die speziellen Anforderungen der GT3-Kategorie, dessen Reglement seit 2021 auch die DTM nutzt: "Im GT-Sport, in dem auf Serienmodellen basierende Rennfahrzeuge zum Einsatz kommen, gibt es jedoch stärkere konstruktiv gegebene Einschränkungen als beispielsweise in den Formel-Klassen oder bei den Sport-Prototypen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Motorsport stets mit einem gewissen Restrisiko behaftet ist."

Lutz Leif Linden im Gespräch mit Gerhard Berger, Foto: DTM
Lutz Leif Linden im Gespräch mit Gerhard Berger, Foto: DTM

Ineichen zur Sicherheit ins Krankenhaus geflogen

Nicht selten erhält man den Eindruck, dass sich gewisse Fahrer eines Rennwagens dieses angesprochenen Restrisikos nicht immer vollends bewusst sind. Auch in der laufenden DTM-Saison kam es zu teilweise schweren Unfällen oder Massen-Crashes, die glücklicherweise für die Beteiligten glimpflich ausgingen und stattdessen 'nur' die Ersatzteil-Budgets der Teams belasteten. Beim Hockenheim-Finale konnten aufgrund der zahlreichen Fahrzeugschäden nur 19 der eigentlich 27 eingeschriebenen Autos das Sonntagsrennen aufnehmen.

Nicht mehr dabei war nach seinem schweren Unfall unter anderem GRT-Lamborghini-Pilot Rolf Ineichen, der laut dem Medizinischen Delegierten der DTM, Dr. Thomas Fell, per Hubschrauber in die BG Unfallklinik Ludwigshafen geflogen wurde, "weil er initial über Rückenschmerzen geklagt hatte". Der 44 Jahre alte Schweizer Unternehmer bestätigte im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com, dass bei ihm eine Gehirnerschütterung und Prellungen diagnostiziert worden seien: "Ich habe mich medizinisch gut versorgt gefühlt und mich zudem daheim weiteren Untersuchungen unterzogen."

Rolf Ineichen verunfallt beim DTM-Rennen in Hockenheim, Foto: DTM
Rolf Ineichen verunfallt beim DTM-Rennen in Hockenheim, Foto: DTM

So sicher ist der Fahrer im GT3-Auto

Um schlimmeren Verletzungen vorzubeugen, sind die GT3-Rennwagen mit zahlreichen Sicherheits-Features ausgestattet, die übrigens zu jedem Zeitpunkt den Vorgaben der FIA entsprechen müssen und von zuständigem Personal überwacht werden. Andernfalls können sie mit sofortiger Wirkung vom Wettbewerb ausgeschlossen werden.

So müssen die Autos etwa mit flüssigkeitsdichten, feuerfesten und gasdichten Brandwänden zwischen Fahrer und Motor einerseits und zwischen Fahrer und Kraftstofftank andererseits ausgestattet sein, um den Durchgang von Flammen aus dem Motorraum ins Cockpit zu verhindern. Dachverkleidungen, Teppiche sowie potenziell gefährdende Materialien und Gegenstände müssen aus dem Fahrzeuginnern entfernt werden.

Zwar sind die Fahrer durch feuerfeste Rennunterwäsche und Rennoveralls sowie durch einen Rennhelm geschützt, doch eine automatische Abschaltvorrichtung des Benzindurchflusses ist ebenso verpflichtend wie eine spezielle Auslegung des Getriebes: Laut FIA-Anforderungen müssen bei einem stehenden Fahrzeug und laufendem Motor zwei gleichzeitige Handgriffe des Fahrers erfolgen, um das Fahrzeug in Bewegung zu setzen. Wichtig: Das gleiche Glied (Arm, Bein) darf dabei nicht beide Aktionen ausführen. Natürlich müssen auch die Feuerlöscher an Bord den Vorgaben der FIA entsprechen.

Zahlreiche Unfälle und Abflüge beim DTM-Finale in Hockenheim, Foto: Ferrari
Zahlreiche Unfälle und Abflüge beim DTM-Finale in Hockenheim, Foto: Ferrari

Fahrer muss Auto in 7 Sekunden verlassen können

Eine weitere Sicherheitsanforderung des Automobil-Weltverbandes und immens wichtig etwa bei einem Brandschaden: Der Fahrer muss in seiner normalen Fahrposition in der Lage sein, das Cockpit innerhalb von 7 Sekunden durch die Fahrertür und in 9 Sekunden durch die Beifahrertür zu verlassen. Selbstredend, dass auch bei den Sitzen, den Gurten und den jeweiligen Anbringungspunkten haargenaue Vorgaben gelten, die alle Hersteller eines GT3-Autos erfüllen müssen.

Das HANS (Head and Neck Protection System) kennen alle Motorsport-Fans. Weniger bekannt sind weitere Anforderungen rund um den Fahrer und seine Sicherheit: So verlangt die FIA, dass alle Fahrzeuge mit einer Kopfstütze ausgestattet sein müssen, die sich bei einer nach hinten gerichteten Kraft von 85 daN (dekaNewton; umgerechnet 85 Kilogramm) nicht mehr als 50 Millimeter durchbiegen darf.

Ein weiteres Beispiel, wie detailreich die FIA-Vorgaben bezüglich der Sicherheit sind und was die Hersteller bei der Entwicklung eines GT3-Boliden beachten müssen: Wenn der Fahrer in seiner normalen Fahrposition sitzt, muss die Augenlinie unter der Oberkante und über der Unterkante der seitlichen Kopfstütze liegen. Der seitliche Abstand zwischen Helm und seitlicher Kopfstütze (gemessen bei 150 mm von der Vorderseite der seitlichen Kopfstütze) darf nicht größer als 40 mm sein.

Weiterhin wird verlangt, dass die Motorhaube per deutlich gekennzeichnetem Schnellverschluss ohne Werkzeug geöffnet und entfernt werden kann. Oder auch, dass Seitenscheiben mit einem 4mm-Inbussschlüssel von außen abgeschraubt werden können. Diese sowie zahlreiche weitere Vorgaben und Maßnahmen dienen dazu, den Motorsport für alle Beteiligten auch aus technischer Sicht so sicher wie möglich zu gestalten.