Die DTM blickt auf eine über 30-jährige und äußerst bewegte Geschichte zurück. Unvergessen bleibt die Rückkehr der Tourenwagenserie zum Jahr 2000. Mittendrin: Reporter-Legende Rainer Braun. Die spannenden Hintergründe dieses enormen Kraftaktes beschreibt der heute 79-Jährige in seinem 2015 erschienenen Buch "Hallo Fahrerlager Classic". Motorsport-Magazin.com veröffentlicht täglich einen Auszug aus dem Kapitel 'In geheimer Mission'. In sechs Teilen nimmt Rainer Braun die Leser mit auf eine packende Reise vom Ende der STW-Serie bis hin zur Wiederauferstehung von Deutschlands wichtigster Rennserie.

Oktober 1999

Schon kurz nach der IAA werden die Weichen für die neue DTM mit dem Titel "Deutsche Tourenwagen Masters" endlich gestellt. Der DMSB bekennt sich dazu und auch der ADAC gibt seinen Widerstand auf. Die Sportbehörde kündigt die Ausschreibung des Wettbewerbs an und diskutiert in enger Abstimmung mit der ITR ein fast 40 Seiten starkes Reglement. In dessen Vordergrund stehen Kostenreduktion und größtmögliche Chancengleichheit. Die Coupés sollen mit 4-Liter V8-Motor, Einheitsgetriebe und Heckantrieb ausgerüstet werden. Die Leistung beträgt knapp 500 PS. Aus Kostengründen soll nur ein Motorwechsel pro Saison erlaubt sein.

Die Führungsmannschaft der Dachorganisation ITR e.V. steht, die meisten Vorstands-Positionen werden mit denselben Leuten besetzt, die schon vor 1996 im Amt waren. Präsident ist erneut Hans-Werner Aufrecht, Vermarktung und Sponsoring wie gehabt Walter Mertes, Justitiar und Finanzen sind wieder bei Dr. Thomas Betzler angesiedelt. Hersteller-Vertreter im ITR-Beirat sind Norbert Haug für Mercedes und Volker Strycek für Opel. Neu im Vorstand ist Michael Bernard - er wird direkt zum Vize-Präsidenten ernannt. Wenigstens ein kleiner Ausgleich für seinen großen persönlichen und auch finanziellen Einsatz in der Planungsphase.

Nun interessiert sich auch Abt-Sportsline für die neue DTM. Der Rennstall des Kemptener Autoveredlers ist seit Jahren für Audi in der STW-Serie unterwegs und 1999 auch letzter Titelgewinner. Michael Bernard erinnert sich an den ersten Anruf von Hans-Jürgen Abt noch sehr genau: "Ihr plant doch eine neue Tourenwagen-Rennserie, können wir da irgendwie mitmachen und kannst du mir mal einen Termin bei Haug besorgen?"

Ab diesem Telefonat ist auch Abt mit im Boot, allerdings noch ohne passendes Auto. Eine Spezialversion des Audi TT wird behutsam ins Gespräch gebracht. Das ist aber zunächst alles noch geheime Kommandosache, denn was Abt da vorschwebt, dafür muss er erst noch Befürworter bei Audi in Ingolstadt finden. Dort ist Sportchef Dr. Ullrich hinsichtlich des Heckantriebs bekanntlich ja ganz anderer Meinung. Und ohne Genehmigung des Herstellers kein DTM-Start - daran führt kein Weg vorbei.

November 1999

Die Fernsehübertragungen der neuen DTM sind zwischenzeitlich unter Dach und Fach. ARD und ZDF, so wird verabredet, sollen im Wechsel die Live-Übertragung übernehmen. Die ARD offeriert noch Beiträge in der Sportschau und das ZDF Kurzberichte im Sportstudio. Überdies schalten sich je nach regionaler Bedeutung auch noch die dritten Programme der ARD zu. Das DSF erhält den Zuschlag bei den Zweitrechten für abendliche Zusammenfassungen plus Rahmenrennen. WIGE TV ist wie in der alten DTM wieder für Produktion und Übertragungstechnik zuständig. Auch der Terminkalender nimmt Formen an. Geplant sind neun Doppelläufe mit jeweils gleicher Distanz von je 100 km und zwischengeschalteter Reparaturpause von 15 Minuten.

Dezember 1999

Eine Pressemitteilung des DMSB drei Tage vor Weihnachten sorgt für die letzte Gewissheit, dass die Schlacht endgültig gewonnen ist und jetzt kaum noch was schiefgehen kann. Unter der Headline "DMSB plant Neuordnung des deutschen Tourenwagensports" hat die Aussendung folgenden Wortlaut: "Nach der Entscheidung des ADAC, die Ausrichtung der Deutschen Supertourenwagen Meisterschaft (STW) im Jahr 2000 nicht mehr fortzusetzen, wird der DMSB die STW für das kommende Jahr nicht mehr ausschreiben. Die bisherigen STW-Rahmen-Rennserien Int. Deutsche Formel 3 Meisterschaft, ADAC Formel BMW Meisterschaft/Junior Cup, ADAC VW Lupo und -New Beetle Cup sollen im Rahmen der DTM 2000 ausgetragen werden."

Ein schöneres Weihnachtsgeschenk hätten wir uns nicht wünschen können.

Eine offizielle Pressemitteilung der deutschen Motorsport-Hoheit DMSB bestätigt kurz vor Weihnachten 1999 das Ende der STW-Serie und zugleich die Ausschreibung einer neuen DTM für das Jahr 2000, Foto: Hallo Fahrerlager Classic
Eine offizielle Pressemitteilung der deutschen Motorsport-Hoheit DMSB bestätigt kurz vor Weihnachten 1999 das Ende der STW-Serie und zugleich die Ausschreibung einer neuen DTM für das Jahr 2000, Foto: Hallo Fahrerlager Classic

Januar 2000

Zakspeed hat nach der Cougar-Absage nicht aufgegeben und sofort mit Hochdruck mit der Arbeit an einem Volvo Projekt auf Basis des C 70 begonnen. Eine Konzeptstudie ist schon fertig, jetzt geht es an die Feinarbeit. Das Auto sieht gigantisch gut aus, ein echter Hammer. Teamchef Peter Zakowski kann sich vorstellen, drei bis vier Exemplare zu bauen und einzusetzen. Für die Teilnahme an der DTM verlangt die ITR bekanntlich die Zustimmung des Herstellers, also der PAG-Group innerhalb des Ford-Konzerns. Die Signale von PAG-Vorstand Reitzle sind aber nach wie vor nicht sehr verheißungsvoll.

Auch Abt-Sportsline plagt hinsichtlich des geplanten DTM-Einstiegs ein Problem. Das Kemptener Team um Hans-Jürgen Abt würde gern mit drei Audi TT-R antreten. Zwar hat das Mutterhaus in Ingolstadt seinen Widerstand aufgegeben und zögerlich Unterstützung zugesagt, aber das Auto passt von den Abmessungen her nicht so recht ins Reglement. So fehlen 26 cm an der geforderten Mindestlänge von 4.30 Meter. Auch mit dem Radstand und den Innenmaßen hapert es. Trotzdem will Abt bei ITR und DMSB einen Antrag auf Ausnahmeregelung einreichen.

Februar 2000

Der DTM-Kalender wird vom DMSB bestätigt. Gefahren wird je zweimal in Hockenheim, Oschersleben und am Nürburgring. Dazu kommen Norisring, Sachsenring und Lausitzring. Alle neun Rennen gehen wie geplant über zweimal 100 km mit Reparaturpause, also das alte Format aus der früheren DTM.

Abt im Glück - DMSB und ITR geben dem Ausnahmegesuch statt und erlauben den Einsatz des Audi TT-R mit geringen Auflagen. Im Großen und Ganzen kann das Auto sogar bleiben, wie es ist. Die Sondergenehmigung gilt für zwei Jahre, wenn die "Äbte" danach weitermachen wollen, müssen sie ein absolut reglementkonformes Auto präsentieren. Drei TT-R sollen zum DTM-Debüt in Hockenheim startklar sein.

Audi-Sportchef Dr. Ullrich gibt dazu folgendes Statement ab: "Wir stellen keine Mitarbeiter für das Abt-DTM-Projekt ab, die Unterstützung unsererseits findet lediglich im Rahmen des Kundensports statt. Wir müssen uns voll und ganz auf ALMS und Le Mans konzentrieren, so dass Abt für die Umsetzung des Projekt alleine verantwortlich ist." Und weiter: "Abt hat bewiesen, dass sie die Kompetenz dazu haben. Ein anderes Team hätte unsere Freigabe nicht erhalten. Am Jahresende werden wir sehen, ob ein werksseitiges DTM-Projekt Sinn macht."

Die Fahrerfrage hat Hans-Jürgen Abt indes schon geklärt - aus der STW übernimmt er seinen Bruder Christian und den Dänen Kris Nissen. Und als Zugpferd kommt der französische Tourenwagen-Champion Laurent Aiello. Erste Tests sind für Ende April fest eingeplant.

Mehr Glück mit der Zulassung hat Abt Sportsline mit seinem Audi TT-R. Weil der Hersteller nichts dagegen hat, zeigt sich die ITR in diesem Fall kooperativ. Der Kemptener Rennstall tritt zunächst als privat geführtes Team in der DTM an, Foto: Hallo Fahrerlager Classic
Mehr Glück mit der Zulassung hat Abt Sportsline mit seinem Audi TT-R. Weil der Hersteller nichts dagegen hat, zeigt sich die ITR in diesem Fall kooperativ. Der Kemptener Rennstall tritt zunächst als privat geführtes Team in der DTM an, Foto: Hallo Fahrerlager Classic

Die Journalistin Eva-Maria Burkhardt wird von der ITR mit der Leitung der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beauftragt. Die ehemalige Sportchefin des Marktführers "auto motor und sport" kommt von BMW, wo sie in den letzten beiden Jahren die Motorsport-Pressearbeit des Konzerns verantwortet hat.

Das Volvo-Projekt von Zakspeed wackelt bedenklich. Wie erwartet, hat die PAG-Group unter Dr. Reitzle ihre Zustimmung versagt und Zakspeed sogar schriftlich verboten, eine Volvo-Teilnahme in der DTM medial zu kommunizieren. Ungeachtet dessen präsentiert Peter Zakowski im Rahmen einer ITR-Sitzung seine Pläne. Bis auf das Getriebe ist der Volvo fertig, Jörg van Ommen und Gianni Morbidelli stehen als Testfahrer und später auch als reguläre Piloten bereit. Aber neben der fehlenden Hersteller-Genehmigung gibt es seitens der ITR auch noch Bedenken wegen des verbauten Motors. Das Judd-Triebwerk passt nicht in allen Punkten zum Reglement. Entscheidung vertagt.

Obwohl die Zulassung des Zakspeed-Volvo nach dem PAG-Veto von der ITR abgelehnt wird, entsendet das Team ein Auto zu den offiziellen Testfahrten nach Oschersleben, Foto: Hallo Fahrerlager Classic
Obwohl die Zulassung des Zakspeed-Volvo nach dem PAG-Veto von der ITR abgelehnt wird, entsendet das Team ein Auto zu den offiziellen Testfahrten nach Oschersleben, Foto: Hallo Fahrerlager Classic

Über Rainer Braun

Rainer Braun gehört seit vielen Jahrzehnten zum Kreis der qualifiziertesten Motorsport-Fachleute in Deutschland. Der 79-Jährige blickt selbst auf eine Karriere als Rennfahrer zurück, war in den 90er-Jahren die Stimme der DTM und begleitete den Motorsport bei über 1.000 Rennen als Streckensprecher, Autor und Fernseh-Kommentator. Brauns Buchserie mit dem Titel "Hallo Fahrerlager" zählt schon heute zu den Klassikern der deutschen Motorsport-Literatur.