Die DTM blickt auf eine über 30-jährige und äußerst bewegte Geschichte zurück. Unvergessen bleibt die Rückkehr der Tourenwagenserie zum Jahr 2000. Mittendrin: Reporter-Legende Rainer Braun. Die spannenden Hintergründe dieses enormen Kraftaktes beschreibt der heute 79-Jährige in seinem 2015 erschienenen Buch "Hallo Fahrerlager Classic". Motorsport-Magazin.com veröffentlicht täglich einen Auszug aus dem Kapitel 'In geheimer Mission'. In sechs Teilen nimmt Rainer Braun die Leser mit auf eine packende Reise vom Ende der STW-Serie bis hin zur Wiederauferstehung von Deutschlands wichtigster Rennserie.
Als die DTM in ihrer ersten Fassung nach 13 Jahren Ende 1996 als ITC an den astronomisch hohen Kosten zu Grunde ging, trat die bereits existente, weniger attraktive STW-Serie an deren Stelle. Aber die 2 Liter-Autos waren zu leise, zu brav und kamen bei den Fans nicht an. Deshalb begannen vier Idealisten, sich zunächst im Untergrund mit dem "Projekt T 2000" intensiv zu beschäftigen. Ziel war die Wiedergeburt der DTM. Was das Quartett dabei so alles an Wohlwollen und Widerständen erlebt hat und wie es gelang, zwei Hersteller und den DMSB tatsächlich für eine neue DTM zu begeistern, schildert diese Chronologie.
Nach Gedankenspielen über den Winter nimmt die Geschichte im März 1998 so richtig Fahrt auf. Zu dieser Zeit überträgt RTL die Rennen der ADAC Super Touren Wagen-Meisterschaft (STW) wie schon 1997 wieder live und in voller Länge.
Chefredakteur Hans Mahr und RTL-Sportchef Michael Lion sind zwar mit den Vorjahres-Quoten (Marktanteil unter zehn Prozent) nicht so glücklich, schicken aber trotzdem wieder eine bestens eingespielte und harmonierende Crew an die Front: Petra van Oyen als das Gesicht der Sendung, Bernd Krämer als DTM-erfahrener Regisseur, Christian Danner und Hans Stuck wechselweise als Experten und mich als Kommentator. Mit Audi, BMW, Honda, Nissan, Opel und Peugeot beteiligen sich erneut sechs Werke. Und der Aufmarsch an berühmten Fahrernamen kann sich auch sehen lassen. Eigentlich eine gute Basis - und doch macht sich immer mehr Unzufriedenheit breit.
"Die Autos sind nicht spektakulär genug, da kommt nix rüber", lautet der Tenor der DTM-verwöhnten Fans auf den Tribünen und auch beim TV-Publikum. Christian Danner, der das Fahrvergnügen der alten DTM mit einem 500 PS-Alfa 155 kenngelernt hat und in der STW gelegentlich selbst am Start, empfindet für frontgetriebene Autos sowieso nur tiefe Verachtung. Und Kollege Krämer in der TV-Regie beklagt weitere Defizite: "Da brummt, kracht, driftet und bewegt sich zu wenig, außerdem kommen die Autos viel zu brav über den Bildschirm." Weil es aber keine Alternative gibt, lebt man eben damit und guckt sich die Darbietung schön. Zumal Kritik bei den Sport-Verantwortlichen des STW-Ausrichters ADAC gar nicht gut ankommt.
Trotzdem verfestigt sich der Wunsch nach "attraktiveren, schnelleren und bulligeren Autos" immer mehr. Zunächst diskutieren die vier eingefleischten DTM-Verfechter nur diskret in Hinterzimmern. Das Revoluzzer-Quartett besteht aus Michael "mib" Bernard (43), kreativer Reglements-Experte im Opel-STW-Team; Bernd Krämer (47), TV Regisseur mit Leib und Seele; Christian Danner (40), Ex-Formel 1-Pilot und gut informierter RTL-Experte; und der Autor dieser Geschichte, RTL-Kommentator, Journalist und leidenschaftlicher DTM-Reporter vom ersten Tag an.
Für uns ist klar: Wir wollen wieder attraktive Tourenwagen im DTM-Stil, robuste Motoren mit viel Hubraum, reichlich Leistung und Heckantrieb. Vor allem aber keine Kostenexplosion, an der die alte DTM letztlich zerbrochen ist.
Die ersten Ideen um die Wiedergeburt der DTM geistern schon im Herbst 1997 durch unsere Köpfe. Die vier genannten Herren sind sich einig, dass "eine Art neue DTM" her muss. Allen ist klar, dass das ein langes und hartes Stück Arbeit werden wird. Hier das Protokoll der wichtigsten Stationen und Ereignisse im Kampf um eine neue DTM ab 1998.
April 1998
Wir haben ein Kurz-Konzept erarbeitet, das ich im Auftrag der übrigen Mitstreiter zunächst RTL-Sportchef Michael Lion bei einem vertraulichen Termin vorstellen soll. Am 28. April, im Anschluss an die STW-Nachbesprechung Oschersleben vom Wochenende in der Kölner Redaktion, hängt Michael Lion für mich noch ein 15 Minuten-Gespräch an. Aufmerksam studiert er das vorgelegte Konzept mit dem Titel "Projekt T 2000", macht sich Notizen, stellt Fragen.
Vorsichtig deute ich an, dass wir versuchen wollen, die DTM neu zu beleben. RTL soll die Chance erhalten, Geburtshelfer, Pate und Exklusiv-TV-Partner zu werden. Wir verabreden, im Gespräch zu bleiben. Zusätzlich versucht Christian Danner, inzwischen auch Formel 1-Experte für den Sender, dem RTL-Sportchef auf einer zweiten Schiene unser Konzept schmackhaft zu machen.
Mai 1998
Im "Bierhaus West" in Stuttgart kommt es am Abend des 5. Mai zu einem von uns erbetenen Treffen zwischen Mercedes-Sportchef Norbert Haug und unserer Arbeitsgruppe. Es wird eine lange Nacht in aufgelockerter Atmosphäre. Haug gibt sich zwar skeptisch, aber dennoch interessiert und spendiert zwischendurch dicke Zigarren zu Bier und Schnäpsen. "Wenn Ihr noch ein paar andere Hersteller findet, die mitmachen, dann können wir weiter darüber reden", lässt DTM-Fan Haug zu vorgerückter Stunde vernehmen.
Und für Christian Danner hat er in Bierlaune auch gleich noch ein Angebot parat: "Wenn Ihr das wirklich hinkriegt, was ihr euch da vorgenommen habt, garantiere ich dir auch ein Cockpit." Weit nach Mitternacht gehen wir auseinander mit dem Gefühl, einen guten Grundstein gelegt und einen wichtigen Fürsprecher gewonnen zu haben.
Beim STW-Lauf am Sachsenring findet sich im Presse-Bereich der Opel-Hospitality spontan ein konspirativer "DTM-Stammtisch" mit drei der vier Aktivisten zusammen. Nur Christian Danner fehlt, weil er beim GP Monaco für RTL im Einsatz ist. Ein ITR Wimpel, an der Spitze verziert mit Manuel Reuters DTM-Calibra von 1996, steht plötzlich auf dem Tisch. Mit den Worten "man weiß ja nie, was daraus mal wird" eilt Fotograf Ferdi Kräling herbei, um die denkwürdige Runde im Bild festzuhalten. Bevor er abdrückt, fliehen die Herren Uwe Baldes (Opel Sportpressemann), Matthias Feltz (STW-Justitiar) und noch ein paar andere ängstliche Sympathisanten "aus politischen Gründen" aus dem Schussbereich des Fotografen.
Seitens des ADAC bläst uns strammer Gegenwind ins Gesicht. Sportpräsident Hermann Tomczyk, inzwischen über seine Quellen zumindest in groben Zügen über unsere Pläne informiert, zieht zur Verteidigung seiner STW-Serie alle verfügbaren Register. Über ein Editorial im offiziellen DMSB-Magazin vom Mai 1998 lässt er wissen: "Was wollen eigentlich all jene, die so lautstark nach einer neuen DTM rufen? Wer sich berufen fühlt, die STW-Meisterschaft mit uns auf das neue Jahrtausend vorzubereiten, ist in unserer Mannschaft herzlich willkommen. Aber Querulanten und Panikmacher sind im STW-Team fehl am Platz."
Rums, das sitzt und jeder weiß, wer und was gemeint ist. Dazu signalisieren uns Blicke und Worte des mächtigen ADAC-Sportmanagers, dass wir in Zukunft nichts zu lachen haben. Speziell für Opel-Mann Bernard und auch für mich ist das keine angenehme Situation, da wir beide mit unseren Jobs noch voll im STW-Betrieb integriert sind. Da befällt einem schon ein gewisses Unwohlsein...
Über Rainer Braun
Rainer Braun gehört seit vielen Jahrzehnten zum Kreis der qualifiziertesten Motorsport-Fachleute in Deutschland. Der 79-Jährige blickt selbst auf eine Karriere als Rennfahrer zurück, war in den 90er-Jahren die Stimme der DTM und begleitete den Motorsport bei über 1.000 Rennen als Streckensprecher, Autor und Fernseh-Kommentator. Brauns Buchserie mit dem Titel "Hallo Fahrerlager" zählt schon heute zu den Klassikern der deutschen Motorsport-Literatur.
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