Die DTM blickt auf eine über 30-jährige und äußerst bewegte Geschichte zurück. Unvergessen bleibt die Rückkehr der Tourenwagenserie zum Jahr 2000. Mittendrin: Reporter-Legende Rainer Braun. Die spannenden Hintergründe dieses enormen Kraftaktes beschreibt der heute 79-Jährige in seinem 2015 erschienenen Buch "Hallo Fahrerlager Classic". Motorsport-Magazin.com veröffentlicht täglich einen Auszug aus dem Kapitel 'In geheimer Mission'. In sechs Teilen nimmt Rainer Braun die Leser mit auf eine packende Reise vom Ende der STW-Serie bis hin zur Wiederauferstehung von Deutschlands wichtigster Rennserie.
März 2000
Die ITR besiegelt auch für das zweite Zakspeed-Projekt rund um den Volvo C70 das endgültige Aus. Begründung: Gegen den ausdrücklichen Willen der PAG-Group kann die Zulassung nicht erfolgen, dazu gibt es noch das Problem mit dem Motor. Zwar passt auch der Audi TT-R nicht so ganz ins Reglement, aber hier ist das grüne Licht von Audi samt zeitlich begrenzter Zulassung sehr hilfreich.
Peter Zakowski ist enttäuscht, will aber immer noch nicht aufgeben: "Noch haben wir bis zum Nennungsschluss Anfang April Zeit, die ITR umzustimmen und das Hersteller-Okay doch noch zu bekommen. Wir entwickeln und testen weiter." Alle, die den pechschwarzen Zakspeed-Volvo C70 im DTM-Trimm gesehen haben, schwärmen von einem bildschönen Auto. Tenor in den Fachblättern: "Es wäre ein Jammer, wenn die Fans auf dieses Auto verzichten müssten."
Die ersten offiziellen Testfahrten mit den neuen DTM-Autos von Opel und Mercedes finden in Jarama/Spanien und eine Woche später in Hockenheim statt. Abt-Sportsline fehlt, weil noch Tag und Nacht an den Autos gearbeitet wird. Im Verlauf der Testtage benennt die ITR mit Roland Bruynseraede auch den neuen (und alten) Renndirektor. Der Belgier, viele Jahre Formel 1-Rennleiter, hat sowohl das letzte DTM/ITC-Jahr 1996 als auch die STW-Serie 1998 mit harter Hand begleitet.
April 2000
Trotz scharfen Gegenwinds seitens PAG, Volvo Europa und ITR lässt Zakspeed den C70 auf der Versuchsstrecke im norddeutschen Papenburg einen Funktionstest absolvieren. Testpilot Jörg van Ommen ist begeistert: "Selten habe ich so ein gelungenes Rollout gehabt. Das ging alles sehr geschmeidig - reinsetzen, Motor starten, losfahren. Keinerlei Defekte, nur der Innenspiegel hat gewackelt." Inzwischen greift Zakspeed wegen der fehlenden Starterlaubnis zum letzten Mittel und mobilisiert die Fans - sie sollen im Internet für den Start votieren.
In Oschersleben ist eine viertägige ITR-Testsession angesetzt. Schlechtes Wetter und eine zumeist nasse Piste sorgen für einige Ausrutscher und emsigen Reparaturbetrieb. Auch Zakspeed nimmt am Testbetrieb teil, muss aber wegen eines Kupplungsschadens vorzeitig einpacken. Immerhin ist der schwarze Volvo schon mit den Logos der offenbar an Land gezogenen Sponsoren D&W, Vobis und Zippo beklebt. Doch alle Mühen sind vergebens - es bleibt endgültig und unwiderruflich dabei - der Zakspeed-Volvo darf nicht starten.
Mai 2000
Der Abt-Audi TT-R absolviert mit Abt-Cheftechniker Albert Deuring am Lenkrad nach nur dreimonatiger Entwicklungszeit das erste Rollout. Noch am selben Abend wird das einzige bisher fertiggestellte Auto verladen und nach Berlin zur DTM-Präsentation gebracht. Damit sind jetzt alle drei Marken startklar. "Bis zum ersten Rennen Ende Mai sind auch die beiden anderen TT-R fertig", vermeldet Teamchef Hans-Jürgen Abt.
Berlin, Donnerstag, 11. Mai, Kaiserwetter. Die Präsentation der wiedergeborenen DTM steht an. Fast 200 Journalisten aus ganz Europa haben sich im Atrium der Deutschen Bahn eingefunden, um dem historischen Moment beizuwohnen. Die Hauptstadt wird nicht zuletzt wegen der langjährigen DTM-Verbindung zur Avus als Veranstaltungsort ausgewählt. Die "Berliner Morgenpost" titelt euphorisch "Tage des Donners, Teil 2". Aufbruchsstimmung und Vorfreude sind überall zu spüren.
Weil der für die Moderation der Pressekonferenz eingeplante ITR-Wunschkandidat Kalli Hufstadt verhindert ist, schickt man mich als Ersatzmann ans Mikrofon. Mit Freude und zugleich auch ein bisschen Wehmut nehme ich das Jobangebot an. Freude, weil mit dieser offiziellen Präsentation vor versammelter Fach- und Tagespresse unser Projekt auf eigene Füße gestellt wird und ich diesen "historischen Moment" begleiten kann. Wehmut, weil diese Präsentation in Berlin wahrscheinlich auch meine Abschiedsvorstellung in Sachen neuer DTM sein wird. Denn die bisher intensiven und lebhaften Gesprächsfäden mit Norbert Haug & Co. sind leider schlagartig abgerissen. Über die Gründe wurde ich nie informiert.
ITR-Präsident Hans-Werner Aufrecht begrüßt die Gäste und gibt sein Grundsatz-Statement zur neuen DTM ab. Einer seiner Kernsätze lautet: "Man kann nicht mit dem Finger schnipsen und alles ist wie früher." Es schließen sich Grußworte der beiden Sportchefs Norbert Haug und Volker Strycek sowie DMSB-Präsident Winfried Urbinger an. Danach kommen die Piloten Bernd Schneider für Mercedes, Joachim Winkelhock für Opel und Christian Abt für Audi-Abt-Sportsline zu Wort. Nach einer knappen Stunde werden alle ins Freigelände am Gendarmenmarkt zur großen Publikums-Präsentation von Autos und Fahrern gebeten.
Auf der Freifläche ist ein Mini-Parcours und eine Bühne aufgebaut. Je vier Mercedes CLK und Opel Astra sowie ein Audi TTR drehen Platzrunden und stellen sich zum Foto-Shooting auf. Boxenstopps mit Radwechsel werden simuliert. Viele Interviews mit Teamchefs, Fahrern und Sportfunktionären folgen. Ehrengast ist Hans Herrmann (72), dem Berliner Publikum durch seinen legendären Avus-Sturz 1959 im BRM Formel 1 noch in bester Erinnerung. Gegen 14 Uhr ist Abgesang und die ITR bittet zu einem gemeinsames Essen mit Journalisten, Fotografen, Fahrern und Teamchefs ins Restaurant "Französischer Hof" gegenüber dem Veranstaltungsgelände.
Der DMSB legt das Technische und Sportliche Reglement in gedruckter Form als Guide für Teams und Presse vor. Die offiziellen Partnerfirmen und Sponsoren der neuen DTM werden benannt. D2 Mannesmann ist wie in der alten DTM wieder dabei, dazu Arcor, Hasseröder, Kärcher und als Reifen-Alleinausrüster Dunlop.
Die neue DTM heißt jetzt offiziell "Deutsche Tourenwagen Masters", Premiere ist am letzten Mai-Wochenende in Hockenheim. Alle sind froh und glücklich, endlich wieder fette Renn-Tourenwagen mit Power genießen zu können. 19 Autos stehen am Start, je acht Mercedes CLK und Opel Astra, dazu noch die drei knallgelben Audi TT-R von Abt Sportsline in Kempten. Zakspeed und Volvo sind nicht dabei, das schwarze Coupé wandert ins Zakspeed Museum. Die Sieger der beiden ersten Läufe der neuen DTM heißen genauso wie die des letzten Rennens vier Jahre zuvor in Suzuka: Bernd Schneider und Mercedes.
Soweit die Chronologie zur Entstehung der neuen DTM. Bleibt noch festzuhalten, dass es von der ehemaligen "Viererbande" nur Michael Bernard geschafft hat, sich dauerhaft bis heute einen Platz in der DTM-Organisations-Struktur zu sichern. Er kümmert sich ums Reglement. Meine Hoffnung, wenigstens für die aufs ZDF entfallenden Rennen als Kommentator zurückkehren zu können, lösen sich in Luft auf. Leider erinnert sich Sportchef Wolf-Dieter Poschmann nicht mehr an seine schriftliche Zusage von 1995, "den Kontakt mit Ihnen im Falle einer Rückkehr der Rennserie zum ZDF gerne wieder aufzunehmen".
Stattdessen teilt er mir jetzt mit: "Bitte haben Sie Verständnis, dass wir für so ein wichtiges Sportereignis wie die DTM keinen externen Kommentator engagieren können, weil das in unserer Redaktion auf Missfallen stoßen würde." Bernd Krämer wird zwar übergangsweise für die ersten Jahre noch als externer TV-Regisseur verpflichtet, aber dann mit einem lapidaren Kündigungsschreiben seitens der ITR auch fallengelassen. Und Christian Danner wartet noch immer auf das seinerzeit versprochene Cockpit...
Trotzdem hat es sich gelohnt, für die Wiederauferstehung dieser faszinierenden Tourenwagen-Rennserie zu kämpfen. Am Saisonende 2015 wird die neue DTM ihre Vorgänger-Version (1984 - 1996) von der Lebensdauer her bereits um drei Jahre überflügelt haben. Das ist sicher auch ein Erfolg der organisatorischen und sportlichen Führung von ITR und DMSB. Und die Fans haben ihre geliebte und populäre DTM wieder - allein das rechtfertigt alle Mühen und Anstrengungen im Vorfeld.
Über Rainer Braun
Rainer Braun gehört seit vielen Jahrzehnten zum Kreis der qualifiziertesten Motorsport-Fachleute in Deutschland. Der 79-Jährige blickt selbst auf eine Karriere als Rennfahrer zurück, war in den 90er-Jahren die Stimme der DTM und begleitete den Motorsport bei über 1.000 Rennen als Streckensprecher, Autor und Fernseh-Kommentator. Brauns Buchserie mit dem Titel "Hallo Fahrerlager" zählt schon heute zu den Klassikern der deutschen Motorsport-Literatur.
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