Manuel, traust du Timo Scheider zu, absichtlich einen Unfall provoziert zu haben?
Manuel Reuter: Ich kenne Timo schon lange und traue ihm das im Grunde nicht zu. Die Kurve war im Rennen unter diesen Bedingungen extrem schwierig. Die Berührung mit Robert Wickens war minimal, hat aber am Ende gereicht, um eine Kettenreaktion auszulösen.

Die Rennleitung selbst sprach in ihrer Urteilsbegründung von Absicht.
Manuel Reuter: Wenn das wirklich der Fall war, dann muss er bestraft werden. Wenn die Anweisung am Funk kam, und Timo den Wickens in der Folge daraus abgeschossen hat, muss es eine Strafe geben. Dann ist es eine klare Angelegenheit.

Scheider sagt, dass er den Funkspruch im Cockpit nicht gehört hat. Erst nach Rennende habe er davon erfahren. Wie schätzt du das ein?
Manuel Reuter: Es kann sein, es kann aber auch nicht sein. Beurteilen müssen das nicht wir, sondern das Sportgericht des DMSB aufgrund der vorliegenden Faktenlage. Aber: Wenn die Öffentlichkeit in den vergangenen Jahren alles mitbekommen hätte, was so am Teamfunk während eines Rennens gesagt wird, hätte es schon einige Skandale gegeben... Entscheidend in dieser Sache ist, dass es eine Ansage am Funk gab, die dazu auch noch vom Audi-Motorsportchef kam. Das muss nun geklärt werden.

Wie bewertest du den "Schieb ihn raus"-Funkspruch?
Manuel Reuter: Der Wolfgang Ullrich ist während eines Rennens sowieso sehr emotional. Wenn man sich die eine oder andere Szene aus den vergangenen Jahren anschaut: Der hatte schon öfter Tränen in den Augen. Während eines solchen Rennens stehst du als Fahrer, Renningenieur oder Teamchef unter einem wahnsinnigen Stress. Motorsport hat sehr viel mit Emotion zu tun, da geht es rauf und runter. Ich glaube, das kennt jeder vom Fußball: Da fallen nach einem Foul auch gern mal böse Worte im ersten Augenblick. Diesen Aspekt darf man nicht außer Acht lassen. Wenn man sich die reine Faktenlage anschaut, ist es für Audi sehr dumm gelaufen.

Viele Beobachter und Experten waren verwundert, dass ausgerechnet von Ullrich eine solche Aussage kam.
Manuel Reuter: Es spielen hier sehr viele Faktoren eine Rolle, und die sollte man abwägen. Wenn man sich nur die sichtbaren Fakten anschaut - also den Funkspruch und die folgende Kollision - sagt man natürlich, dass so etwas nicht sein darf und bestraft werden muss. Man sollte die Angelegenheit aber in einem größeren Zusammenhang sehen: die Emotionen, die Rahmenbedingungen und so weiter. Manchmal sagt man Dinge in der ersten Regung, die man gar nicht so meint. Die Frage ist, wie weit man gehen kann und inwieweit man solche Anweisungen oder Statements von sich geben darf.

Ein weiterer Kritikpunkt waren Ullrichs widersprüchliche Angaben nach Rennende. Zunächst übernahm er die Verantwortung für den Funkspruch, später redete er sich raus. Erst in der Audi-Pressemitteilung spät abends bekannte er sich klar zur Situation.
Manuel Reuter: Im Nachhinein muss man klar sagen, da hätten Audi und Dr. Ullrich mit offenen Karten spielen sollen. Er hätte von Anfang an auch in Richtung Mercedes sagen müssen: 'Ja, der Funkspruch kam von mir'. So wie die Sache abgelaufen ist, wirkt die ganze Angelegenheit sehr unrund und unehrlich.

Viele waren verwundert, warum Ullrich gerade in dieser nicht allzu entscheidenden Rennsituation so ungehalten reagierte. Wie siehst du das?
Manuel Reuter: Letztendlich bestand kein wirklicher Grund dazu, es ging ja nicht um die Meisterschaft. Ekström hat das Rennen gewonnen, Mortara wurde Dritter und alle bei Audi wären happy gewesen. Warum das für Ullrich so wichtig war, werden wir wohl erst am Jahresende sehen, wenn feststeht, welcher Fahrer mit wie vielen Punkten Vorsprung Meister geworden ist. Es war schon sehr gut gemacht von den beiden Mercedes-Jungs, wie sie Timo in Kurve 2 haben aussteigen lassen. Es war ein gutes Manöver, aber keines, bei dem man sagen könnte, dass es unglaublich unfair gewesen sei.

Schadet der Funk-Skandal dem Ansehen der DTM?
Manuel Reuter: Schadet es dem Sport wirklich? Das frage ich mich. Es gibt sicherlich welche, die die DTM jetzt ablehnen und sich in ihrem Bild bestätigt sehen. Es gibt aber auch andere, die sagen, dass jetzt endlich mal was los ist in der DTM. Sowohl in die eine als auch in die andere Richtung polarisiert das Thema. Unterm Strich sage ich: Es soll mit harten Bandagen gefahren werden. Aber Dinge, wie einen Fahrer rauszuschieben, bei dem es um die Meisterschaft geht, sind natürlich nicht gut. Das lehne ich ab.

Kannst du den großen Ärger seitens Mercedes angesichts dieses Vorfalls nachvollziehen?
Manuel Reuter: Ja, den kann ich sehr gut nachvollziehen. Mercedes und Pascal kämpfen um die Meisterschaft und das Rennen am Sonntag war für ihn sowieso schon nicht gut gelaufen. Mit Platz sechs hätte er leichte Schadensbegrenzung betreiben dürfen. So fuhr er mit einer Nullnummer nach Hause. Da sitzt der Frust schon tief, das kann ich nachempfinden. Das kenne ich ja aus meiner aktiven Zeit. Du stehst unter Strom und sagst aus der Emotion heraus Dinge, die du mit einem Abstand von ein, zwei Tagen so nicht mehr sagen würdest.

Die Daten wurden nun an das Sportgericht weitergeleitet. Was glaubst du, wie es in dieser Sache weitergeht?
Manuel Reuter: Ich glaube, da ist alles möglich. Letztendlich ist die Frage, wie die wirkliche Faktenlage aussieht und die Beweislage ist. Also, ob das alles wirklich zu 100 Prozent wasserdicht ist, was wir da im Fernsehen gesehen haben.

Sprichst du das Thema auch im Rahmen der Fahrer-Gewerkschaft an?
Manuel Reuter: Darüber haben wir uns jetzt im Detail noch keine Gedanken gemacht. Unabhängig davon, ob es eine Ansage war oder nicht, gibt es immer Vorfälle, bei denen die Fahrer unterschiedlicher Auffassung sind. Es sind auch nicht alle Fahrer gut Freund miteinander. Da gibt es Spannungen und man muss letztendlich drüber sprechen. Wenn der eine Fahrer aber sagt, es sei keine Absicht gewesen, kannst du relativ schwierig dagegen argumentieren.