Du hattest dir durch das neue Reglement, die neuen Autos, den Einstieg von BMW frischen Wind erwartet. Wie fällt dein Fazit nach den ersten Rennen aus?
Timo Scheider: Vor allem durch den Einstieg von BMW ist frischer Wind eingekehrt, aber auch der Audi A5 ist für uns eine neue Herausforderung und mit dem neuen Reglement gibt es für alle Fahrer auch eine neue Basis.

Du hast bereits 2000 die "neue DTM" miterlebt. Wenn man dann als Fahrer wieder eine neue Ära miterlebt, ist man dann stolz, dass man so lange schon dabei ist?
Timo Scheider: Es ist schon etwas Besonderes, dass man so lange in diesem System dabei sein kann und darf - vor allem, wenn man dann eine zweite neue Ära miterlebt. In den vielen Jahren gab es sicherlich Momente, wo ich mich gefragt habe, was ich hier eigentlich mache, aber es gab auch viele schöne Momente. Alles in allem bin ich froh, ein Teil der DTM-Familie zu sein und noch den einen oder anderen Erfolg einfahren zu können.

Die Autos sind neu, das Reglement ist neu - inwieweit hat dir deine langjährige Erfahrung in der DTM geholfen, dich schneller auf alles einzustellen?
Timo Scheider: Das Niveau in der DTM ist mittlerweile so gigantisch hoch, dass man echt schauen muss, dass man einigermaßen bei der Musik ist. In den ersten Rennen ist es mir sehr schwer gefallen, alles zu 100 Prozent abzurufen. Ich glaube, dass wir zu Beginn des Jahres etwas das Nachsehen hatten. Aber wir werden nicht aufgeben und weiterhin alles probieren. In Spielberg lief mein Auto schon deutlich besser.

Der schlechteste Saisonstart aller Zeiten - könnte so der Titel eines Buches über die Saison 2012 heißen, wenn Timo Scheider unter die Autoren gehen würde?
Timo Scheider: Ich denke, der Titel würde eher lauten: "Ich dachte, ich hätte schon alle Erfahrungen gesammelt. Aber dem war nicht so."

Dein Auto schien die Konkurrenz in den letzten Rennen magisch anzuziehen, aber ist Pech allein der Grund, warum es derzeit nicht so rund läuft?
Timo Scheider: Wir haben natürlich einige Kollisionen gehabt, mit Ralf Schumacher und Roberto Merhi in Hockenheim. Das könnte daran liegen, dass ein Großteil des Autos gelb ist, genauso wie die Wespen und Bienen. Die holen sich auch ihren Honig und vielleicht gilt das auch für meine Konkurrenten, die meinen sie müssten Kontakt mit meinem Auto suchen. (lacht) Es gibt nicht immer nur einen Grund, warum es nicht läuft. Ich habe dieses Jahr alles schon einmal gehabt. In Brands Hatch hatte ich beispielsweise im Qualifying wie auch im Rennen Probleme mit dem Auto. Es fühlt sich natürlich nicht prickelnd an, wenn es mal nicht rund läuft.

Du hast in deiner langjährigen DTM-Karriere schon schwierige Zeiten erlebt. Die Zeit bei Opel war nicht einfach, es dauerte sieben Jahre bis zu deinem ersten Podestplatz. Wie geht man mit solchen Phasen um, wie bleibt man motiviert?
Timo Scheider: Im Rennfahrerleben geht es immer darum, schnell zu sein und Erfolg zu haben. Es geht auch darum, Freude daran zu haben, was man macht. Klar, Motorsport macht nur dann Spaß, wenn man erfolgreich ist, Dinge bewegen kann und sich dabei wohlfühlt. Wenn man sich nicht wohlfühlt, dann ist das Gen eines Rennfahrers sicher das, dass man arbeiten muss, um dort wieder hinzukommen. Ich bin froh, dass ich schon schwierige Zeiten erlebt habe und mich aus diesen Löchern herausarbeiten konnte. Das macht es am Ende nur noch schöner, wenn man wieder dort ist, wo man hinwollte.

Stimmt es, dass du damals den Spitznamen Podiumsverweigerer hattest?
Timo Scheider: Ja. Das ist in der Zeit entstanden, als ich für Opel fuhr. Als ich dann das erste Jahr in einem Neuwagen saß, hat jeder natürlich gehofft, dass die ersten Podestplätze kommen. Die kamen allerdings relativ spät, aber danach kam der Paukenschlag umso extremer. 2008 und 2009 mit neun Podiumsplätzen in zehn Rennen. Das ist einer der wenigen Rekorde, die man aufstellen konnte. Mit diesen Erfolgen habe ich meinen Spitznamen Podiumsverweigerer schnell und hart abgelegt. Auch den Titel zu verteidigen, gelang in der DTM bis auf Bernd Schneider vor mir niemandem.

Scheider: Kein Podiumsverweigerer mehr, Foto: DTM
Scheider: Kein Podiumsverweigerer mehr, Foto: DTM

Der Druck und die Erwartungshaltungen im Umfeld waren nach dem ersten Titel natürlich groß. Für mich ist mit dem ersten Titel der größte Stein von den Schultern gefallen. Klar will man im nächsten Jahr ähnlich gut performen wie im Jahr zuvor, aber Motorsport ist kein Wunschkonzert. Es gibt Jahre, die sind mal gut und Jahre, die sind mal schlecht. Dass ich den Titel 2009 verteidigen konnte, ist und bleibt immer etwas Besonderes. Darauf bin ich sehr stolz.

Die Leistungsdichte in der DTM ist so eng wie schon lange nicht mehr. Wie schwierig ist es für einen Fahrer, ins Q4 zu gelangen?
Timo Scheider: Für mich persönlich extrem schwierig, weil das Thema Qualifying eines der größten Probleme ist, die ich habe. Im ersten Moment ist die Aufgabe Qualifying für mich unangenehm, weil es für mich die meiste Arbeit bedeutet. Aber es kann von jetzt auf gleich wieder alles anders sein. Wenn ich 2008 und 2009 nehme, dann hätte ich rückwärts im Auto sitzen können und hätte trotzdem eine gute Performance gezeigt. Aktuell ist jeder Schritt hart erarbeitet und gelingt auch nicht immer. Das gilt es umzustellen und zu verbessern.

Erwartest Du, dass es weiterhin so eng zugeht oder denkst du, dass sich schon bald einige Fahrer herauskristallisieren werden, die den Titel untereinander ausmachen?
Timo Scheider: In der DTM ist die Konkurrenz sehr stark und überhaupt in der DTM zu bestehen, ist sehr schwierig. Die Rundenzeiten sind aktuell sehr eng und ich denke, dass wird über die Saison hinweg auch so bleiben. Jeder Hersteller wird mit seinen Autos weiter Erfahrungen sammeln. Ich hoffe, dass wir bei Audi uns weiter in die richtige Richtung entwickeln, um noch mehr mit guten Ergebnissen dazustehen. In diesem Jahr lief es für den einen oder anderen Audi-Piloten bereits ganz gut, aber es ist im Moment keine geschlossene Mannschaftsleistung. Das ist momentan die große Aufgabe für uns.

In Spielberg sahen wir eines der spannendsten Rennen der letzten Jahre. Wie kann man aus Fahrersicht die Spannung zukünftig auf sämtlichen Rennstrecken noch weiter steigern?
Timo Scheider: Aus Sicht der Fahrer, der Hersteller, der ITR und der gesamten Organisation war es immer der Wunsch, die Rennen so spannend wie möglich zu gestalten. Die Autos sind so effizient und so sensibel, was die Aerodynamik angeht, dass man auf den meisten Strecken nicht so viele Überholmanöver sieht wie man sich das wünschen würde. Eine mögliche Variante wäre, dass man einen weichen und zwei harte Reifensätze im Rennen fahren muss. Eine andere Variante könnte ein Push-to-Pass-Button sein, der für einen kurzen Moment mehr Leistung abrufen lässt. So etwas hat man bereits in der Formel 1 gemacht. Da hat man sogar noch den verstellbaren Heckflügel zusätzlich eingeführt. Auf diesem Level, auf dem sich die DTM bewegt, muss man sich Gedanken machen, wie man die Rennen so spannend gestaltet, dass die Fans auch Überholmanöver sehen. Autos, die wie eine Perlenkette aufgereiht, hintereinander fahren, will kein Mensch sehen.

Apropos Fans. Die Fans sehen dich auf der Strecke oder bei den Autogrammstunden, aber an einem Rennwochenende steht für dich viel mehr an. Kannst du einen kurzen Einblick geben, wie so ein Rennwochenende für dich abläuft?
Timo Scheider: Am Anfang eines Rennwochenendes erhalte ich einen Race Guide. In diesem Buch stehen hunderttausend Informationen drin, inklusive einem Timo Scheider-Zeitplan. Die Termine, angefangen beim ersten Meeting am Donnerstag, liegen sehr eng beieinander. Sie sind bei Rennen im Ausland nicht so extrem, weil es nicht so viele PR-Termine abseits der Strecke gibt. Aber bei einem Heimrennen oder auch beim Rennen in Spielberg sind die Termine natürlich zahlreicher. Das ist leider auch das, was der Fan nicht mitbekommt. Ich sage immer, dass ein Rennwochenende für mich Arbeit ist. Ich werde von A nach B geschickt, muss meinen Job am und im Auto mit meinen Ingenieuren machen und auch noch den "Rest" abarbeiten.

Immer beschäftigt: Timo Scheider, Foto: Audi
Immer beschäftigt: Timo Scheider, Foto: Audi

Manchmal würde ich mir erhoffen, dass der Fan einen noch besseren Einblick in das, was wir tun müssen, hätte. Oftmals sitzt man bei einer Autogrammstunde und da stehen dutzende Fans an. Aber irgendwann muss man einfach Stopp sagen und gehen. Klar sind da einige Fans enttäuscht, aber es ist wie wenn man morgens ins Büro geht. Da muss man auch seinen Zeitplan einhalten, nicht anders geht es mir. Vor allem wenn es um offizielle Termine geht, die auch mit Geldstrafen belegt sind. Demzufolge ist es auch unfair gegenüber dem Fan, wenn man sich umdrehen und gehen muss, aber so ist der Job. Das ist part of the game.

Abseits der DTM ist deine große Leidenschaft Motorradfahren. Was macht für dich dein Reiz aus?
Timo Scheider: Ich fahre im Winter sehr viel Supermoto. Das ist ein gutes Fitness-Training für den Gleichgewichtssinn, Kraft und Ausdauer. Das Motorradfahren bedeutet für mich eine Menge Spaß. Natürlich fahre ich nur im Winter, weil während der Saison das Risiko einer Verletzung einfach zu groß ist. Motorradfahren ist eine andere Art von Herausforderung. Wenn man Rennfahrer ist, dann reizt einen alles, was einen Motor hat und mit dem man Geschwindigkeit aufbauen kann.

Du engagierst dich abseits der Strecke für sehr viele Charity-Projekte, unter anderem bist du Botschafter der Stiftung Wings for Life, du förderst den Nachwuchs mit deinem "Nintendo Team Schneider". Wie wichtig ist dir dein soziales Engagement, speziell für den Nachwuchs?
Timo Scheider: Mein großer Traum von der Formel 1 hat sich vielleicht nicht erfüllt, aber wenn ich darauf zurückblicke, was ich in meiner Karriere erreicht habe, dann bin ich sehr stolz. Es gab einen Punkt, an dem ich mit Partnern und Sponsoren den Gedanken hatte, ob wir etwas zurückgeben können - speziell dem Nachwuchs. Da entstand auch die Idee mit dem Kartteam. Das gibt mir die Möglichkeit, jungen Talenten etwas auf ihrem Weg mitzugeben. Angefangen bei der Technik über die Linienwahl auf der Strecke bis hin zu PR- und Medienterminen. Mit einem professionellen Umfeld bereits zu Beginn zu arbeiten, ist für die spätere Karriere entscheidend. Das ist für mich eine schöne Geschichte, weil ich etwas zurückgeben und meine Erfahrung teilen kann.

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