Sebastien Ogier hatte 2015 bei allen Rallyes auf Schotter oder Schnee mit einem Nachteil zu kämpfen. Er musste an den beiden ersten Tagen als erster Pilot auf die Strecke und sie vom losen Schotter oder Schnee befreien. Ein Handicap für den dreifachen Weltmeister. Obwohl sich der Volkswagen-Pilot dennoch 95 von 233 möglichen Wertungsprüfungs-Bestzeiten sicherte (40,3 Prozent), wurde er nicht müde, die aus seiner Sicht unfairen Regeln anzuprangern. Das führte bei einigen Fans oder anderen Fahrern zu verdrehten Augen und teilweise auch Unverständnis. Motorsport-Magazin.com wollte es genau wissen und hörte sich unter den Fahrern um. Was sagt Ogier selbst und was denken seine Konkurrenten?

Sebastien Ogier: "Sicherlich wäre es nicht notwendig gewesen, sich über die Regeln zu beschweren, wenn man sich jetzt das Bild in der Weltmeisterschaft ansieht. Das Problem ist, dass ich am meisten davon betroffen bin. Also rede ich entsprechend automatisch am meisten darüber. Wenn mich am Ende der Prüfung ein Reporter zu meiner Performance fragt? Wie kann ich dann darüber sprechen, ohne diese Tatsache und die Streckenbedingungen zu erwähnen, die einen so großen Einfluss auf meine Leistung haben? Das ist auch einer der Gründe, warum ich von Anfang an gegen die Regel war, denn sie bringt nur negativen Gesprächsstoff und negative Presse für unseren Sport - das ist schade. Für mich bedeutet Sport faire Regeln für alle und dafür kämpfe ich. Die WRC ist eine Weltmeisterschaft und es ist kein guter Ansatz, sie künstlich besser machen zu wollen. Ich habe aber mittlerweile einen Punkt erreicht, an dem ich hingenommen habe, dass ich nicht die Regeln mache und sie auch nicht ändern kann. Daher akzeptiere ich sie und gebe mein Bestes. Vielleicht habe ich diese Saison umso härter gekämpft und noch mehr gegeben, um dieses Handicap zu kompensieren. Das war bisher meine beste Saison und vielleicht gaben mir diese Regeln unbewusst eine Extramotivation, um noch besser zu werden."

Oftmals hat Sebastien Ogier mit seiner Startposition zu kämpfen, Foto: Sutton
Oftmals hat Sebastien Ogier mit seiner Startposition zu kämpfen, Foto: Sutton

Thierry Neuville, Hyundai: "Es ist schwierig, denn es ist frustrierend, in dieser Position zu sein. Man weiß, dass man alles gegeben hat und dennoch ist die Zeit nicht da. Und das Publikum versteht das nicht, denn es ist schwierig zu erklären, wie sich die Streckenverhältnisse von einen Fahrzeug zum anderen verändern können. Nur wenn man das selbst erlebt hat, kann man das verstehen. Aber mittlerweile weiß jeder, dass Sebastien diesen Nachteil hat, ob es jeder versteht, ist die andere Frage. Es ist manchmal ein Vorteil vorne zu sein, oftmals aber natürlich auch ein Nachteil.

Am ersten Tag hat er es oft relativ schwer und verliert selbst am zweiten Tag manchmal noch Zeit. Durch die Überlegenheit von Volkswagen gleicht sich das aber wieder etwas aus. Für mich macht es insgesamt die Rallye interessanter, da andere etwas näher heranrücken. Sebastien kann aber trotzdem noch gewinnen, also gibt es keinen Grund, sich zu beklagen. Er hat sich mittlerweile auch beruhigt und die Kommentare nach den WP's sind deutlich positiver geworden. Insgesamt muss ich aber sagen, dass ich immer noch davon überzeugt bin, dass das Qualifying eine deutlich bessere Regelung war. Das gab dem Donnerstag bereits einen gewissen Charme und war spannender für die Zuschauer, weil richtig gekämpft wurde. Dann konnte jeder seine Startposition selbst aussuchen und es gab auch niemanden, der meckerte."

Auf Asphalt profitiert Sebastien Ogier von seiner Startposition, Foto: Sutton
Auf Asphalt profitiert Sebastien Ogier von seiner Startposition, Foto: Sutton

Andreas Mikkelsen, Volkswagen: "Ich kann seine Frustration verstehen. Wenn du die perfekte Prüfung gefahren bist und wirklich das Gefühl hast, du müsstest der Sieger sein und dann ein anderer - der möglicherweise eigentlich langsamer war - die Bestzeit holt, dann verstehe ich, dass es frustrierend ist. Aber das sind die Regeln. Sein Ziel ist vermutlich, so viel darüber zu reden, bis die entsprechenden Leute es satt haben und die Regeln wieder ändern [lacht]. Aber im Ernst: Ich sehe es wie Sebastien. Wenn du in einer Fußballliga der schlechtesten Mannschaft zwei Extraspieler gibst, ist das nicht wirklich fair. Wenn man unterschiedliche Rallye-Sieger möchte und damit erreicht, dass letztlich nicht mehr der beste Fahrer gewinnt, dann ist das auch kein Sport mehr."

Jari-Matti Latvala, Volkswagen: "Ich kann ihn verstehen, denn es ist nicht schön, das erste Auto auf der Strecke zu sein. Aber letztlich gewinnt er immer noch so viele Rallyes und diese Streckenposition muss nicht immer ein Nachteil sein. Es gab auch Rallyes in diesem Jahr, bei denen es ein Vorteil war. Beispielsweise in Mexiko, als es sehr kalt war. Auch in Schweden war es nicht schlecht, genauso wenig wie auf Asphalt. Es gibt nur ein paar Rallyes, bei denen man ganz vorne mehr zu kämpfen hat. Ich würde letztlich sagen, es ist besser, die Regeln zu akzeptieren und sich ihnen anzupassen, denn man kann sie nicht ändern. Zumal trotz der neuen Regeln immer noch der beste Fahrer die WM gewinnt. Natürlich bringt es einen kleinen Nachteil, aber insgesamt finde ich, dass diese Regel gut funktioniert hat."

Sebastien Ogier im Interview mit Motorsport-Magazin.com, Foto: Daniel Roeseler
Sebastien Ogier im Interview mit Motorsport-Magazin.com, Foto: Daniel Roeseler

Mads Östberg, Citroen [bis Saisonende]: "Ich denke, für uns Fahrer ist das Problem, dass wir nie Zeit zum Nachdenken haben, bevor wir eine Frage von einem Journalisten gestellt bekommen. Und ich glaube, das ist wirklich einzigartig in unserer Sportart. Wir beenden die Prüfung und haben noch nicht mal die Möglichkeit, unseren Helm abzunehmen. Deshalb kommt es sehr oft vor, dass ein Journalist eine Frage stellt und du genau das antwortest, was dir gerade durch den Kopf geht. Und in einer solchen Situationen ist es für Sebastian - aber auch für mich - sehr schwierig, denn du wirst auf den Prüfungen so frustriert.

Du fährst absolut an deinem Limit und es ist immer noch nicht gut genug. Und die langsameren Fahrer haben den Vorteil und sind schneller als du. Das kann sehr ärgerlich sein. Ich möchte mich nicht auch beschweren, aber es ist wie es ist. Es hat vielleicht nicht so funktioniert, wie wir das wollten, aber immerhin bis zu einem bestimmten Grad. Wir haben gesehen, dass es sehr eng in der Weltmeisterschaft zuging - abgesehen von Sebastien. Ich weiß nicht, was wir bezüglich ihm noch machen sollen, aber die Regel funktioniert. Wir sehen auch andere Sieger und das ist gut."

Sebastien Ogier hat 2015 8 von 13 Rallyes gewonnen, Foto: Sutton
Sebastien Ogier hat 2015 8 von 13 Rallyes gewonnen, Foto: Sutton

Jost Capito, Volkswagen Motorsport-Direktor: "Aus seiner Sicht sind diese Aussagen absolut richtig und wir haben absolut nichts dagegen. Wir sagen ihm daher auch nicht, dass er den Mund halten soll. Das ist seine Meinung und die Fahrer dürfen die bei uns auch sagen. Die Regelung hat die einzelnen Rallyes teilweise schon spannender gemacht, als sie vielleicht sonst gewesen wären. Das macht es für Sebastien und die anderen, die vorne starten, am ersten und teilweise auch zweiten Tag schwieriger. Aber jeder hat seine eigene Sichtweise. Die Rallyes sind dadurch spannender, aber für die betroffenen Fahrer ist es natürlich weniger spaßig."

Ott Tänak, M-Sport [bis Saisonende]: "Ich kann es auf gewisse Weise natürlich verstehen, aber auf der anderen Seite ist er schnell und sollte sich nicht darüber beschweren. Denn grundsätzlich bekommt er die Bedingungen ziemlich gut in den Griff. Insgesamt finde ich die Startreihenfolgen-Regelung aber etwas komisch, da es immer schwierig zu sagen ist, wie schnell ein Pilot wirklich fährt. Bei manchen Rallyes haben die Fahrer vorne zu kämpfen, bei anderen - beispielsweise auf Asphalt - die weiter hinten. Die Bedingungen ändern sich so schnell. Aus diesem Grund sehe ich die Regeln mit gemischten Gefühlen. Ich fände es besser, wenn nur am ersten Tag nach WM-Reihenfolge gefahren werden und danach die Platzierung der Rallye entscheiden würde. Aber wir machen nicht die Regeln, sondern müssen aus ihnen einfach nur das Beste herausholen."

Sebastien Ogier in Monte Carlo, Foto: Volkswagen Motorsport
Sebastien Ogier in Monte Carlo, Foto: Volkswagen Motorsport

Luis Moya, ehemaliger Beifahrer von Carlos Sainz: "Ich kann seine Frustration nachvollziehen, denn sie ist ganz logisch. Er ist ein Wettkämpfer, aber über die Saison haben sich seine Aussagen verändert. Zu Beginn gab es Beschwerden, aber sie wurden immer weniger. Er versucht einfach die Menschen daran zu erinnern, wie schwierig es ist, als erster Fahrer auf die Strecke zu gehen. Ich habe vergangenes Jahr mit ihm gesprochen. Ich sagte ihm, egal was passiert und egal, in welche Richtung die Regeln verändert werden, der schnellste Fahrer wird am Ende die Weltmeisterschaft gewinnen. Vielleicht wirst du nicht 10 von 13 Rallyes gewinnen, sondern nur 5 oder 6. Aber wenn du der beste Fahrer bist, wirst du am Ende auch Weltmeister."