Wer hätte das vor der Saison gedacht: Alpine zählt plötzlich zu den echten Sieganwärtern in der WEC. Beim dritten Saisonrennen in Spa lieferten sich die Franzosen einen Kampf nahezu auf Augenhöhe mit Ferrari, das zum dritten Mal nacheinander gewann. Für den ersten Sieg in der Langstrecken-WM reichte es noch nicht ganz, aber der #36 Alpine A424 um Mick Schumacher, Jules Gounon und Fred Makowiecki wurde mit dem zweiten Podestplatz in Folge nach Imola belohnt (Rennergebnis & WM-Tabelle).
Schumacher und Co. trennten beim Zieleinlauf nach 6 Stunden nur gute 5 Sekunden zum siegreichen #51 Ferrari (Pier Guidi, Giovinazzi, Calado), während der Zweitplatzierte #50 Ferrari (Fuoco, Molina, Nielsen) mit 0,919 Sekunden absolut in Schlagdistanz lag. "Die Alpine waren mit Blick auf die Pace vielleicht das schnellste Auto, sie hätten gewinnen können", zog auch Ferraris Chef-Renningenieur Giuliano Salvi seinen Hut. Im Mittel der schnellsten Rundenzeiten belegte Schumacher den zweiten Rang hinter Ferrari-Ass Alessandro Pier Guidi.
Hätte der Schumacher-Alpine das Rennen gewinnen können?
Hätte es für Alpine ohne den späten Plattfuß, der eine kurzfristige Änderung der Strategie erforderte, wirklich zum Sieg auf dem belgischen Traditionskurs reichen können? "Es wäre sehr eng geworden", meinte Alpine-Neuzugang Makowiecki, der den #36 A424 nach dem Start von Platz sechs zügig bis auf die zweite Position nach vorne bugsiert hatte. "Wenn wir ein bisschen mehr gepusht haben, hat Ferrari gezeigt, dass sie auch nachlegen können. Bei der Konstanz waren wir besser, aber mit Blick auf die reine Pace war Ferrari sehr stark."
Die #36 Crew konnte sich lange Zeit berechtigte Hoffnungen auf den ersten Sieg im zweiten WEC-Jahr von Alpine ausrechnen. Nach dem Wechsel von Makowiecki auf Jules Gounon zur Rennmitte gelang es dem Franzosen in der 65. Runde sogar, Ferrari-Pilot Miguel Molina die Führung mittels Undercut nach einem Safety Car. abzuluchsen. Der #36 Alpine lag bei 29 der insgesamt 150 Runden in Führung.
Achterbahnfahrt der Gefühle nach Plattfuß
Es entbrannte ein Mehrkampf um die Führung, doch dann erlitt Schlussfahrer Schumacher ein Unglück: Nach mehreren spektakulären Duellen mit Ferrari und BMW, zog sich der 26-Jährige einen schleichenden Plattfuß hinten rechts zu. 1:20 Stunden vor dem Rennende blieb Schumacher nichts anderes übrig, als den letzten großen Boxenstopp inklusive Reifenwechsel 20 Minuten früher als geplant einzulegen.
"Wir haben bis zum Schluss um den Sieg gekämpft, aber ein schleichender Plattfuß hat unsere Chancen beeinträchtigt", sagte Schumacher, der mit Rennfahrer Dirk Müller einen neuen Berater in seinem Team begrüßt. "Am Ende mussten wir uns mit dem Podium begnügen, aber damit können wir sehr zufrieden sein. Der Trend zeigt eindeutig nach vorne und oben - das Team wird jedes Wochenende besser."
Das Reifen-Malheur warf Schumacher zunächst aus den Top-3 zurück bis auf Platz 14. Der frühere Formel-1-Pilot fuhr in der Schlussstunde außerhalb der Boxenstopp-Sequenz und führte deshalb wieder zwischenzeitlich. Kaum jemand hatte nach dem Reifenschaden noch an ein gutes Ergebnis geglaubt, aber: Zahlreiche anderen Autos mussten am Ende noch einen weiteren Tank-Stopp einlegen, um die Distanz zu schaffen.
Schumacher rückte dadurch einen Platz nach dem anderen auf und befand sich nach seinem letzten, extrem kurzen Tank-Stopp 30 Minuten vor dem Zieleinlauf schließlich an dritter Stelle hinter den beiden Ferrari. Sieger Pier Guidi war nach seinem letzten Tank-Stopp 12 Minuten vor dem Ende uneinholbar, aber für dessen Ferrari-Markenkollegen Nicklas Nielsen hätte es beinahe gereicht. Schumacher hatte den #50 Ferrari in den letzten Runden stets im Visier, es fehlten nur 0,919 Sekunden.
27-Runden-Wunder Nielsen: Das reicht für Schumacher
Diesmal hatte Ferraris Strategie-Abteilung aber alles perfekt kalkuliert. Nielsen, seit Le Mans 2024 als Reifenflüsterer und Spritspar-König berühmt, überquerte den Zielstrich mit 0 Prozent verbleibender virtueller Renn-Energie (Mischung aus Sprit und Hybridantrieb). Bemerkenswert: Der Ferrari-Pilot schaffte in seinem letzten Stint 27 Runden am Stück, während eigentlich 25 Umläufe mit einem Tank die Norm waren! So konnte er einen Boxenstopp weniger als die Konkurrenz (6 statt 7) einlegen. "Wir hätten sowas nicht geschafft", zeigte sich der Teamchef eines anderen Herstellers gegenüber Motorsport-Magazin.com verblüfft.
"Die beiden Full-Course-Yellow-Phasen am Ende haben dabei geholfen, den Alpine hinter uns zu halten", erklärte Ferrari-Stratege Salvi am späten Samstagabend. "Vor der Full Course Yellow konnten wir nicht mithalten, weil wir unser Energie-Ziel mit der #50 erfüllen mussten. Wir hätten nichts anderes machen können. Die FCY-Phasen haben uns einen kleinen Puffer verschafft, um die Energie zu nutzen, damit wir uns für die Geraden schützen konnten."
Einzelkämpfer Schumacher gegen Ferrari-Duo
Geholfen habe laut Salvi auch, dass Ferrari mit zwei Autos an der Spitze das Rennen managen konnte, während der Schumacher-Alpine auf sich alleine gestellt war. Das Schwester-Auto (Habsburg, Milesi, Chatin) war ebenfalls schnell unterwegs, wegen einer Durchfahrtstrafe nach einem FCY-Vergehen aber früh zurückgefallen. Salvi: "Mit zwei Alpine hätte die Geschichte anders ausgesehen. Alpine hätte gewinnen können, es war ein guter Kampf."
Der #35 Alpine um den Österreicher Ferdinand Habsburg landete letztendlich auf dem achten Platz - damit eine doppelte Punkteausbeute für die Franzosen, die in Spa-Francorchamps schon mit den Chassis fuhren, die auch beim nächsten Rennen in Le Mans (14.-15. Juni) zum Einsatz kommen sollen. "Wir hatten ein starkes Rennen, aber es war nicht perfekt - und erneut hat sich gezeigt, dass der kleinste Fehler alles gefährden kann", räumte Schumachers Ex-Teamkollege, der heutige Teammanager Nicolas Lapierre, ein.
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