Mick Schumacher sucht eine neue Herausforderung im Motorsport und gibt 2024 sein Langstrecken-Debüt in der WEC mit dem französischen Hersteller Alpine. Der langjährige Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug arbeitete mit Micks Vater, dem siebenmaligen Formel-1-Weltmeister Michael Schumacher, bereits zu dessen Sportwagenzeiten Anfang der 90er-Jahre und später auch in der F1 zusammen.

Von Beginn an verfolgt Haug, der am 24. November seinen 71. Geburtstag gefeiert hat, auch den Werdegang von Michaels Sohn Mick im Rennsport. Im Exklusiv-Interview mit Motorsport-Magazin.com bewertet Haug Schumachers Wechsel in die Langstrecken-WM, findet sehr deutliche Worte zur Entwicklung von Motorsport-Deutschland in der Formel 1 und hält die WEC-Ablehnung von Mercedes-AMG für skandalös.

Wie bewerten Sie Mick Schumachers Entscheidung, 2024 in der WEC und bei den 24 Stunden von Le Mans für Alpine anzutreten?
Norbert Haug: Ich halte diese Entscheidung für sehr gut. Auch gewinne ich durchaus den Eindruck, dass Alpine im Motorsport einen konsequenten Plan verfolgt, von der zielgerichteten Nachwuchsförderung über das Formel 1-Engagement bis zur WEC und den 24 h von Le Mans. Nach meiner Einschätzung eine ziemlich perfekte Umgebung für Mick also: Alpine will was beweisen und Mick Schumacher tritt an, um was zu beweisen.

Hätten Sie Schumacher lieber im Prototypen-Cockpit eines deutschen Herstellers wie BMW oder Porsche gesehen?
Norbert Haug: Überhaupt nicht. Am liebsten würde ich Mick in einem siegfähigen Fahrzeug sehen und ein siegreicher Alpine würde dank des Überraschungseffektes zweifellos mehr öffentliche Aufmerksamkeit generieren als alteingesessene Motorsportmarken. Damit rückte dann auch der und die Fahrer entsprechend in den Fokus.

Sie kennen Mick Schumacher seit vielen Jahren und haben seinen Werdegang begleitet: Glauben Sie, dass er sich trotz mangelnder Erfahrung auf der Langstrecke auch im Prototypen bewähren kann?
Norbert Haug: Absolut. Er wird das möglich machen, was sein Fahrzeug und seine Teampartner erlauben. Das war bei Mick in der Formel 3 so und genauso danach in der Formel 2. Anders wird keiner in diesen hartumkämpften Nachwuchsserien der Beste und Meister gegen die stärksten Konkurrenten des jeweiligen Jahres.

2015: Norbert Haug und Mick Schumacher, damals noch in der ADAC Formel 4, Foto: ADAC Formel 4
2015: Norbert Haug und Mick Schumacher, damals noch in der ADAC Formel 4, Foto: ADAC Formel 4

Micks Vater, Michael Schumacher, fuhr 1990 und 1991 ebenfalls im Langstrecken-Sport sowie 1991 einmalig in Le Mans. Wie haben Sie Michael damals bei Mercedes im Sportwagen erlebt?
Norbert Haug: Als fahrerische Messlatte für alle Konkurrenten im Feld - nicht mehr und nicht weniger.

Waren Michael Schumachers damalige Sportwagen-Leistungen sein Empfehlungsschreiben für die Formel 1? Könnte das jetzt auch für Mick eine gute Chance sein, sich wieder für ein F1-Stammcockpit zu empfehlen?
Norbert Haug: Bei Michael war das zweifelsohne der Fall und bei Mick kann das genauso der Fall sein, wenn sein Team und sein Fahrzeug die Basis bieten, vorne mitzufahren. Oder gar - die diesjährigen 24 Stunden von Le Mans lassen grüßen - einen Überraschungscoup landen können wie das Ferrari nach 50 Jahren Abstinenz im Sportprototypen-Bereich in Le Mans 2023 gelungen ist.

Norbert Haug und Michael Schumacher mit einem Bild des Gruppe-C-Mercedes, Foto: Sutton
Norbert Haug und Michael Schumacher mit einem Bild des Gruppe-C-Mercedes, Foto: Sutton

Mick Schumachers WEC-Einstieg hat international Schlagzeilen produziert. Wie wichtig ist es für eine Rennserie wie die WEC bzw. die 24 Stunden von Le Mans, weltweit bekannte Fahrer wie Schumacher im Starterfeld zu begrüßen?
Norbert Haug: Das ist natürlich extrem wichtig, besonders für diese Rennserie im Aufwind. Und natürlich werden auch extrem hohe Erwartungen an den Sohn eines siebenmaligen Formel 1-Weltmeisters geknüpft, was genauso Fluch wie Segen sein kann. Fluch, wenn das Fahrzeug keine nennenswerten Erfolge erlaubt oder der Fahrer Fehler macht, wie in der Formel 1 zwei Jahre lang erlebt. Segen, wenn der Betrachter zu dem Urteil "...ganz der Vater" kommt, weil der Weltmeister-Sohn vorne im Feld mitmischt.

Jahrzehntelange Weggefährten: Norbert Haug und Michael Schumacher, Foto: Sutton
Jahrzehntelange Weggefährten: Norbert Haug und Michael Schumacher, Foto: Sutton

Die 24 Stunden von Le Mans gelten als das wichtigste Autorennen der Welt. An den weiteren Saisonrennen der WEC herrschte in Deutschland bislang jedoch ein sehr überschaubares Interesse. Erwarten Sie durch den Einstieg von Mick Schumacher eine größere Begeisterung für die Langstrecken-WM?
Norbert Haug: Das wird ganz sicher der Fall sein. Schon weil das Autoland Deutschland sich in wundersamer Art und Weise in der Formel 1 von der Weltmacht in rasanter Geschwindigkeit zur weitgehenden Bedeutungslosigkeit entwickelt hat. Der einzige Fahrer im Feld, ein durchaus sehr fähiger Nico Hülkenberg, hat zwar Chancen auf einen achten Startplatz, dieser wird aber während der Renndauer regelmäßig, dank den Fähigkeiten seines Fahrzeugs, in einen 18. Rang im Ziel verwandelt. Ein schmerzhafter Kontrast zu den Jahren 1994 bis 2016, in denen drei deutsche Fahrer, Michael Schumacher, Sebastian Vettel und Nico Rosberg mit sieben, vier und einem in Summe stolze zwölf Formel 1-Weltmeistertitel gewonnen haben. Und damit in diese Zeitspanne mehr, als alle anderen Nationen zusammengerechnet.

Ihr langjähriger Arbeitgeber Mercedes hat sich bislang gegen den Bau eines Hypercars entschieden und für 2024 trotz Bewerbung keinen Startplatz mit seinen GT3-Fahrzeugen in der neuen WEC-Klasse erhalten. Hat Mercedes den Le-Mans-Hype verschlafen?
Norbert Haug: Ich finde es skandalös, sollten die Le Mans-Organisatoren die Bewerbung von GT3-Mercedes abgelehnt haben, wobei ich nicht weiß, ob man sich um Startplätze beworben hat. Mercedes ist die erfolgreichste Marke der Formel 1-Geschichte und die bekannteste und am längsten aktive in der Motorsportgeschichte überhaupt. Bekanntlich war der allererste Mercedes, der bereits am 22. Dezember 1900 ausgeliefert wurde, ein Rennwagen. Im Übrigen: Die Frage, wer - im Gegensatz zu Mercedes - den Formel 1-Hype verschlafen hat, ist aus meiner Sicht weit stichhaltiger als die von Ihnen gestellte.

Du möchtest mehr über Norbert Haugs höchst erfolgreiche Karriere im Motorsport von der DTM bis in die Formel 1 erfahren? Schaue dir jetzt unser großes Video-Interview mit dem langjährigen Motorsportchef der Marke mit dem Stern an:

Norbert Haug im Interview: Über Schumacher, Formel 1 & Zukunft (01:10:02)