Bei seiner mit Spannung erwarteten Rennpremiere in der höchsten NASCAR-Liga erlebte Mike Rockenfeller, der ehemaligen DTM-Champion und Le-Mans-Gewinner, am vergangenen Wochenende in Watkins Glen (US-Bundesstaat New York) Höhen und Tiefen. Im exklusiven Interview mit Motorsport-Magazin.com spricht der langjährige, frühere Audi-Werksfahrer über die Eindrücke, die er dabei gewonnen hat und wie es für ihn in der populärsten Tourenwagenserie der Welt weitergeht...

Du bist kurzfristig wie die Jungfrau zum Kind zu deinem NASCAR-Debüt gekommen. Was waren die ersten Gedanken, die dich dabei umtrieben haben?
Mike Rockenfeller: Zuerst war ich natürlich sehr dankbar und glücklich über dieses Angebot, denn damit ist ein wirklich großer Traum, den ich schon als junger Rennfahrer hatte, in Erfüllung gegangen. Zu Beginn meiner Rennkarriere als Profi hatte ich stets einen Blick auf die NASCAR und habe sie intensiv verfolgt.

Wann hast du erstmals ein NASCAR-Rennen live vor Ort gesehen?
Mike Rockenfeller: Das war 2004, das berühmte 500 Meilen-Rennen in Daytona (jährlicher Saisonauftakt und absolutes Highlight der insgesamt 36 NASCAR-Rennen, in den Meisterschaftspunkte vergeben werden, d. Red.).

Du hast schon seit längerer Zeit direkten Kontakt zu NASCAR-Rekordchampion Jimmie Johnson (sieben Titelgewinne in der höchsten NASCAR-Liga, d. Red.)...
Mike Rockenfeller: Ja, Jimmie ist einer der großen Stars in dieser Meisterschaft. Seit er bei den IMSA-Langstreckenrennen bei Action Express Racing (AXR) mein Teamkollege geworden ist, wuchsen mein Respekt und die Achtung für NASCAR noch mehr. Das fahrerische Niveau ist sehr hoch, die Leistungsdichte extrem. Die erfolgreichsten und schnellsten Fahrer aus Nord- und auch aus Südamerika treten gegeneinander an und kämpfen dabei Rad an Rad und Spiegel gegen Spiegel um jede Tausendstelsekunde und jeden Zentimeter Rennstrecke.

Der Kurs in Watkins Glen ist zum Glück eine Rundstrecke, wie wir sie sonst überall auf der Welt haben - und kein Oval. Wie hast du dich auf dein NASCAR-"Abenteuer" vorbereitet?
Mike Rockenfeller: Die Vorbereitung war aus meiner Sicht begrenzt. Die meiste Zeit saß ich im Simulator, bei einem Test bin ich nur zwölf Runden gefahren. Dabei haben wir auch die wichtigen Boxenstopps trainiert. Am Rennwochenende gab es ein 20-minütiges Freies Training mit sofort anschließendem Qualifying, das 15 Minuten dauerte. Das war's.

Rockenfeller in Watkins Glen, Foto: LAT Images
Rockenfeller in Watkins Glen, Foto: LAT Images

Das ist aber alles andere als eine perfekte Vorbereitung gewesen, oder?
Mike Rockenfeller: Ja sicher, aber das lag auch daran, dass mein Start erst kurzfristig im August zustande gekommen ist. Mir war also sofort bewusst, was auf mich zukommt. Ich hatte großen Respekt vor dieser Herausforderung und wusste, dass ich in kurzer Zeit viel lernen muss.

Du bist von Position 33 gestartet. Hattest du dir insgesamt eine bessere Ausgangsposition erhofft?
Mike Rockenfeller: Der Anspruch eines jeden Rennfahrers ist, in einer Startaufstellung so weit wie möglich vorne zu stehen. Natürlich hatte ich mehr erwartet, aber es gab im Training und auch im Qualifying Probleme mit der Balance meines Chevrolet Camaro.

Hat dein Team Spire Motorsports die Probleme in den Griff bekommen?
Mike Rockenfeller: Wir haben alle Sessions, die wirklich sehr kurz sind, vor allem dafür genutzt, dass ich mehr Erfahrung sammle und mit dem Auto vertrauter werde. Das Team hat nach dem Qualifying am Auto gearbeitet, um das Untersteuern zu beseitigen. Aber sehr viel darf man nicht verändern zum Rennen. Leider war es nicht ausreichend; das Untersteuern ist geblieben!

Wie haben sich die Balance-Probleme deines Chevy im Rennen ausgewirkt?
Mike Rockenfeller: Das Auto war kaum besser als im Qualifying. Deshalb bin ich mit weniger Schwung aus den Ecken gekommen, konnte erst später Vollgas geben.

Und dann hat es zu Beginn des Rennens auch noch geregnet...
Mike Rockenfeller: In der Anfangsphase des Rennens (über 90 Runden = 354,86 Kilometer, d. Red.) war die Strecke nass; wir sind alle auf Regenreifen gestartet. Da ging es noch einigermaßen gut. Ich konnte überholen und dabei auch Kimi Räikkönen (Ex-F1-Weltmeister, d. Red.) passieren und mich bis etwa auf Platz 20 verbessern.

Schon im ersten der drei Renn-Segmente wurden Slicks montiert. Welchen Einfluss hatte das auf das Verhalten deines Camaros?
Mike Rockenfeller: Wir hätten drei Runden früher an die Box zum Reifenwechsel kommen sollen. Ich war auf Position 16 gelegen, mit dem früheren Reifenwechsel wären wir möglicherweise in die Top 10 gekommen. Mit der abtrockenden Strecke wurde das Fahrverhalten wieder deutlich schlechter. Auf Slicks war das Untersteuern wieder da.

Anmerkung der Redaktion: Rocky hat laut den offiziellen NASCAR-Statistiken und dank der unterschiedlichen Boxenstopp-Strategien der Teams zwischenzeitlich sogar auf P4 gelegen!

Wie kam es zu dem aus unserer Sicht unverschuldeten Zwischenfall, der dich leider wieder zurückgeworden hat?
Mike Rockenfeller: Die Mentalität, mit der hier gefahren wird, ist schon eine ganz andere. Ty Gibbs (Toyota, d. Red.) hat mich umgedreht; dabei habe ich mir vorne rechts auch noch einen Reifenschaden eingehandelt und musste an die Box kommen. Dadurch wurde ich wieder nach hinten durchgereicht und das Rennen (am Ende P30, d. Red.) war damit für mich eigentlich gelaufen. Ich konnte nicht mehr attackieren.

Welche Platzierung wäre ohne diesen Zwischenfall möglich gewesen?
Mike Rockenfeller: Das fahrerische Niveau ist auch auf den Rundstrecken durchweg sehr hoch. Die Jungs hier fahren richtig gut und können das. Die Annahme, die Amerikaner wären auf Straßenkursen schlecht, ist ein Irrglaube. Ohne den Dreher und den Reifenschaden hätte ich vielleicht einen Platz zwischen 15 und 20 erreichen können, aber "Wenn" und "Aber" ... Das ist Racing! Froh und glücklich bin ich, ins Ziel gekommen zu sein und kein beschädigtes Auto zurückgegeben zu haben. Meine persönliche Messlatte war das Fahren im Regen und auf nasser Fahrbahn. Da ging es gut und ich war ordentlich unterwegs. Das ist für mich positiv.

Was haben die NASCAR-Offiziellen, die an dem überraschenden Deal ja auch beteiligt waren, nach deinem Debüt zu dir gesagt?
Mike Rockenfeller: Jim France (CEO von NASCAR, d. Red.) hat mit mir viel geredet und mich damit gleichzeitig noch mehr motiviert. Solche Gespräche sind für mich Gold wert. Er hat mir zu verstehen gegeben, dass meine Leistung für den ersten Auftritt ordentlich gewesen sei.

Wie lautet dein persönliches Fazit nach deiner NASCAR-Premiere?
Mike Rockenfeller: Es ist nicht wirklich einfach für mich, meine Leistung in Watkins Glen einzuordnen. In jedem Fall habe ich viel dazu gelernt und denke, dass meine persönliche Lernkurve im Rennen steil war. Das war wichtig und ist gut für mich. Ich werde mich mit voller Konzentration auf das zweite Rennen in Charlotte (09.10.2022, ebenfalls auf einer Rundstrecke, d. Red.) vorbereiten und mich noch mehr auf die völlig andere Fahrweise, die hier herrscht, einstellen. Ich muss das Gelernte einbringen und umsetzen. Das heißt, dass ich mich voll und ganz auf das Fahrerische konzentriere. Zudem müssen das Team und ich intensiv daran arbeiten, um noch mehr Speed ins Auto zu bringen.