Unzählige Male wurde vor Saisonbeginn beteuert, wie gut das Verhältnis zwischen Valentino Rossi und Jorge Lorenzo nun sei. Die Teamführung, beide Piloten und ihr persönliches Umfeld wurden nicht müde, den gegenseitigen Respekt der beiden Superstars zu betonen. Dass die Fahrerpaarung im Yamaha-Werksteam aber nach wie vor ein Pulverfass ist, zeigte sich schon am Samstag in Katar wieder einmal.
Erster Clash Rossi vs. Lorenzo in FP4
Im vierten Freien Training kam es zur ersten Auseinandersetzung zwischen Rossi und Lorenzo in der MotoGP-Saison 2016. Rossi war 13 Minuten vor Ende der Session gerade auf einer schnellen Runde unterwegs, Lorenzo bog einige Sekunden vor Rossis Ankunft auf der Start-Ziel-Geraden aus der Boxengasse zurück auf die Strecke. Lorenzo fuhr in Turn 1 langsam an der Kurveninnenseite entlang, Rossi musste ihn außen herum überholen. Die schnelle Runde des Doktors war somit natürlich zerstört.
Rossi machte seinem Ärger sofort Luft. Er drehte sich zu Lorenzo um und gestikulierte wild in Richtung seines Teamkollegen. Der konnte Rossis Kritik aber scheinbar nichts abgewinnen und zeigte keine wirkliche Reaktion. Am Ende des Trainings trafen sich die beiden Yamaha-Teamkollegen dann in der Zone für Übungsstarts. Erneut beschwerte sich Rossi bei Lorenzo, doch der zuckte nur mit den Schultern. Als Rossi nicht mehr in seine Richtung blickte, machte Lorenzo noch eine Geste, die sich wohl am ehesten mit 'Was willst du?' interpretieren lässt.
Lorenzo sieht sich im Recht
Tatsächlich war sich der amtierende Weltmeister im Anschluss absolut keiner Schuld bewusst. "Meiner Meinung nach hat Valentino keinen Grund, sich zu beschweren", stellte er klar. "Wenn ich aus der Box komme, kann ich ja nicht einfach stehen bleiben, auch wenn schnellere Fahrer nachkommen. Ich kann nur versuchen, ganz auf der Innenseite zu bleiben. In den Kies fahre ich nicht. Ich habe getan, was möglich war." Für die Reaktion seines Teamkollegen zeigte er kein Verständnis. "Valentino war trotzdem wütend, warum weiß ich nicht", meinte Lorenzo salopp.
Rossi vertritt naturgemäß eine völlig andere Sichtweise. "Jorge ist aus der Box gefahren, ohne vorher zu schauen, ob hinter ihm jemand kommt. In der ersten Kurve war er dann langsam auf der Ideallinie unterwegs", schildert Rossi seine Eindrücke der Situation. "Ich habe ihn dann mit Gesten gefragt, was das soll und hätte zumindest erwartet, dass er sich entschuldigt. Er hat aber zurückgestikuliert, als wollte er sagen: 'Was verdammt nochmal willst du von mir?' Bei den Übungsstarts nach dem Training habe ich ihn dann noch einmal darauf hingewiesen, aber er ist der Meinung, dass er alles richtig gemacht hat."
Besonders sauer stößt Rossi diese Situation im Kontext der vorangegangenen Saison auf. Da hatte er im Qualifying von Misano für ein vergleichbares Verhalten - Rossi hatte damals Lorenzo auf einer schnellen Runde blockiert - einen Strafpunkt bekommen. Zusammen mit den drei Strafpunkten für die Kollision mit Marc Marquez in Sepang bedeutete dies dann die Rückversetzung beim Saisonfinale in Valencia, die Rossi im Kampf um den WM-Titel massiv beeinträchtige. "Ich habe damals in Misano denselben Fehler gemacht. Die Situation war genau die gleiche", findet Rossi, auch wenn diese Einschätzung aufgrund des doch großen Unterschiedes zwischen dem vierten Freien Training und dem Qualifying wohl nicht ganz zutreffend ist. "Jorge war deshalb sehr wütend auf mich und am Ende habe ich dafür auch einen Strafpunkt bekommen. Jorge hat jetzt keinen Punkt gekommen. Das ärgert mich", gab Rossi offen zu.
Redaktionskommentar
Motorsport-Magazin.com meint: Auf einen Gang zur Rennleitung, um Lorenzo dort anzuschwärzen und einen Strafpunkt für ihn zu fordern, verzichtete Rossi laut eigener Aussage. Mit dem neuen Reglement, das erst bei zehn Strafpunkten Folgen in Form einer Rennsperre vorsieht, hätte das wohl auch wenig Sinn. Klar ist aber, dass Rossi mit der Diskussion über das Aufeinandertreffen erneut Nadelstiche im Psychokrieg mit Lorenzo setzen konnte. Dieser ist nämlich spätestens seit Rossis Vertragsverlängerung noch vor dem ersten Saisonrennen - etwas, das sich Lorenzo für sich selbst ausdrücklich gewünscht, offensichtlich von Yamaha aber nicht bekommen hat - bereits voll im Gange. (Markus Zörweg)
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