Eigentlich war es ein Motorsport-Fest. Traumwetter, super Fans, die Weltstars live und in Action. Aber eben nur eigentlich, denn als MotoGP-Anhänger mit einem deutschen Pass muss man sich bei genauerem Studium der Ergebnislisten wirklich Sorgen machen. Zwei elfte Plätze als deutsches Highlight? Das tut weh. Sehr weh.

Zumal ja schon im Vorfeld durch die Kahnbein-Verletzung von Stefan Bradl die MotoGP-Speerspitze aus deutschen Landen außer Gefecht gesetzt war. Der Sachsenring stellt auch immer Saisonhalbzeit dar. Zeit für die Zwischenzeugnisse, aus denen ja immer eine Tendenz abgelesen werden kann, ob eventuell die Versetzung gefährdet ist. Ein ganz wichtiger Zeitpunkt, denn ab sofort ist die heiße Phase der Zukunftsplanungen eröffnet. Und außerdem würde man theoretisch mit einem guten Resultat beim Heimrennen deutlich entspannter in die Sommerpause gehen. Aber entspannt ist wohl im deutschen Teil des Fahrerlagers niemand. Denn von den zwei Moto2-Siegen Jonas Folgers mal abgesehen ist 2015 für die Deutschen bisher eher ein Jahr zum Vergessen.

Fangen wir mit Phillip Öttl in der Moto 3 an: Der einzige Deutsche in der kleinsten Kategorie wird wohl nicht um eine Fortsetzung seiner Karriere fürchten müssen. Das Halbjahres-Zeugnis hat trotzdem deutlich Luft nach oben. Ab und an mal an den Top-Ten zu kratzen, ist weniger als möglich wäre. Alles wirkt ein wenig angespannt. Egal in welchem Team er weitermacht, hier muss Lockerheit rein. Top-Ergebnisse müssen spätestens 2016 Standard sein.

Cortese muss sich hinterfragen

In der Moto2 sind wir Deutschen ja mit vier Fahrern generell ganz gut aufgestellt. Aber wirklich rund läuft es nicht. Dabei sprach der letzte deutsche Weltmeister, Sandro Cortese, vor der Saison sogar von konstanten Podestplätzen. Davon ist die Nummer 11 allerdings soweit entfernt wie der "Logistik-Kompromiss Sachsenring" davon, eine perfekte Infrastruktur bieten zu können. Das Letztere geht in einem eigentlich als Verkehrssicherheitszentrum geplanten Areal auch gar nicht. Das Erstere wäre von den technischen Vorrausetzungen mit Topmaterial in einem Topteam dagegen durchaus machbar. Es scheitert aber am Fahrer.

Sandro Cortese muss sich hinterfragen. Die Vorbereitung und auch der mentale Umgang muss auf den Prüfstand. Drei Jahre in der Moto2 mit einem Topteam, bei dem nur ein Podestplatz raus springt? Das ist ein Luxus, von dem andere Fahrer nur träumen können. Den treuen Sponsoren Corteses sei Dank! Nächstes Jahr wird Sandro einen Teamkollegen bekommen. Und auch seine letzte Chance in der Moto2. Allerdings wollen wir nicht vergessen: Weltmeister wird man nicht einfach so. Und bevor der gute Sandro sein erstes Rennen bei den 125cc-Bikes gewann, brauchte er auch über einhundert Rennen, um sein vorhandenes Talent gewinnbringend zu nutzen. Soviel Zeit hat er jetzt nicht mehr.

Sandro Cortese hält nach zweieinhalb Jahre Moto2 bei nur einem Podestplatz, Foto: Tobias Linke
Sandro Cortese hält nach zweieinhalb Jahre Moto2 bei nur einem Podestplatz, Foto: Tobias Linke

Die Nummer 23, Marcel Schrötter, kann einem richtig leidtun. Ohnehin mit der unterlegenen Mistral aus dem Hause Tech3 unterwegs, muss er jetzt noch die Entscheidung seines Teams in Sachen Federelemente hinnehmen. Der Wechsel auf Kayaba hat dabei nur einen Grund: Im Gegensatz zu Öhlins und WP gibt es die japanischen Komponenten umsonst. Leidtragender ist Schrötter, dessen Bike am Sachsenring weitestgehend unfahrbar war. Der Sturz im Rennen war fast schon eine Erlösung. Also muss schnellstens eine Einigung mit einem Team her, das 2016 Kalex einsetzt und ein vernünftiges Budget hat. Vorteil Schrötter: Viele Experten im Fahrerlager wissen genau, dass es beim Bayern nicht am Trainingsfleiß und auch nicht am Talent mangelt.

Rookie Florian Alt dagegen konnte bisher mit der ehemaligen Suter von Tom Lüthi und dem finanziell kurz vor dem Kollaps stehenden Team nur um die rote Laterne kämpfen. Beim Heimspiel kam es noch schlimmer: Heftiger Abflug in der Sachsen-Kurve, Startverbot der Rennärzte. Leider erinnert die Performance der Nummer 66 deutlich mehr an seine Saison 2013 in der Moto3, als an seine guten Leistungen in der spanischen Moto2-Meisterschaft im Vorjahr. Die Versetzung von Alt ist daher höchst gefährdet. In der zweiten Saisonhälfte muss eine Leistungsexplosion erfolgen.

Eine Wundertüte namens Folger

Wie bei Jonas Folger zu Saisonbeginn. Da schien alles in die richtige Richtung zu laufen. Zwei Saisonsiege - super! Aber dann? Die Wundertüte Folger mal wieder mit unglaublichen Ausschlägen auf der Leistungsskala. Das Heimspiel am Sachsenring als vorläufiger Tiefpunkt. Glücklich gepunktet, aber wie! Eigentlich müsste der 21-jährige Ausnahmekönner immer um das Podest kämpfen. Aber Konstanz war schon immer das Problem beim Wahl-Spanier. Und immer wieder auch merkwürdige gesundheitliche Rückschläge. Klar ist trotzdem, dass Jonas Folger 2016 auf einem guten Bike sitzen wird. Muss er auch, denn vom Potenzial her ist er die größte Hoffnung Deutschlands für die nächsten Jahre. Auch auf einen eventuellen Aufstieg in die Moto GP. Womit wir bei Stefan Bradl wären.

Pleiten, Pech und Pannen: Bradl war am Sachsenring nur Zuschauer, Foto: Tobias Linke
Pleiten, Pech und Pannen: Bradl war am Sachsenring nur Zuschauer, Foto: Tobias Linke

Für ihn gilt für 2015 bisher leider ebenfalls: Pleiten, Pech und Pannen. Letztes Jahr noch Reihe eins und Führungskilometer beim Heimrennen, dieses Jahr nur Zuschauer. Der Schritt zum Forward-Team erweist sich immer mehr als Wechselfehler. Der Moto2-Weltmeister wird aber wohl in der MotoGP bleiben, denn da gehört er auch hin. Hoffentlich mit mehr Glück als in der ersten Saisonhälfte. Bradl sorgte rund um den Sachenring allerdings schon für Aufsehen. Und zwar mit seiner Kritik am deutschen Gesamtzustand sowie der Nachwuchsarbeit der Verbände. Worauf es gleich heftige Konter von DMSB und ADAC gab. Wobei man deren Verteidigungsversuche zwar verstehen kann, aber nicht unbedingt ernst nehmen muss.

Nachwuchsarbeit in Deutschland ein Witz

Denn Stefan Bradl hat Recht. Die Nachwuchsarbeit in Deutschland ist ein Witz, und auch noch ein schlechter. Wenn überhaupt, ist die Nachwuchsarbeit in Richtung WM in den letzten Jahren immer in privater Hand gewesen. Wie bei den Kiefers oder den Freudenbergs, die mit vielen Klimmzügen einen Start von Jonas Geitner mit einer Wildcard ermöglichten. Oder das Racing Team Germany mit Maximilian Kappler. Von Verbandsseite kam da wenig bis gar keine Unterstützung. Klar gibt es den ADAC Junior Cup, aber was kommt dann?

Im Moment noch nicht einmal eine funktionierende nationale Meisterschaft. Moto 3 hat in Deutschland sogar ein Jahr gar nicht stattgefunden. Jetzt startet man mit erbärmlichen Starterfeldern einen neuen Versuch. So bildet man keinen WM-reifen Nachwuchs aus. Das sieht man auch an den Leistungen von Geitner und Kappler am Wochenende: Für die WM wird das Niveau wohl nie reichen. Alleine das es kein Deutscher in den Red Bull Rookies Cup geschafft hat, sagt alles. Deshalb Achtung, Deutschland!

Talenten wie Max Kappler wird es in Deutschland nicht leicht gemacht, Foto: Tobias Linke
Talenten wie Max Kappler wird es in Deutschland nicht leicht gemacht, Foto: Tobias Linke

Das größte deutsche Sportereignis war ein Motorsport-Fest. Aber leider nur in der Region rund um den Sachsenring. Wo waren denn die in den Massenmedien Aufmerksamkeit generierenden VIPs? Nicht da. Wahrscheinlich weil sich niemand um solche Dinge kümmert. Denn mit Promis bekommt man das Thema MotoGP auch mal in Magazine oder Sendungen, die sonst nichts mit Motorradsport am Hut haben. So wurden im Jahr 2015 noch nicht mal die beiden Präsidenten der zuständigen Verbände am Sachsenring gesichtet. Kein gutes Signal.

Die Offiziellen sind am Zug

Deshalb Achtung, Deutschland! Es muss endlich jemand das Heft in die Hand nehmen und alle Beteiligten in ein Boot holen. Das betrifft die Nachwuchsarbeit genauso wie die Durchführung der MotoGP vor den besten Fans der Welt. In anderen Ländern geht das auch. Siehe Assen: Dort hat ein kleiner Verein alle in ein Boot bekommen. Das Ergebnis: Vertrag mit der Dorna über die Sicherung des Rennens bis 2021.Oder Großbritannien: Vor Jahren gab es von der Insel auch nur vereinzelte Starter. Jetzt haben sie mit Kent und Lowes Siegkandidaten in den kleinen Klassen sowie mit Smith, Crutchlow und den beiden Lavertys vier Starter in der MotoGP.

Achtung, Deutschland auch deshalb, weil selbst die Schweiz (ein Land ohne Rennstrecke) mehr Moto2 Starter hat als Deutschland. Also nicht ausruhen auf dem tollen letzten Wochenende. Es muss jemand das Thema anpacken. Und das können nur die Verbände. Strietzel Stuck und Hermann Tomczyk, bitte übernehmen Sie! Die Grabenkämpfe müssen aufhören, denn es ist Gefahr im Verzug. Achtung, Deutschland!