AVL RACETECH, die Motorsportabteilung des österreichischen Dienstleisters AVL, hat mit der Entwicklung eines Wasserstoff-Verbrennungsmotors für die Rennstrecke ein neues Kapitel aufgeschlagen: Der Prototyp ist der erste Antrieb, den AVL RACETECH in Eigenregie entwickelt und aufbaut. Ein kompakter, wasserstoffbetriebener 2-Liter-Turbomotor soll dank einer intelligenten Wassereinspritzung ein völlig neues Leistungsniveau erreichen.

Ellen Lohr, langjährige Rennfahrerin, einzige Siegerin in der Geschichte der DTM und seit 2021 Director Motorsport bei AVL RACETECH, erklärt die Hintergründe und weiteren Schritte dieses ambitionierten Projekts im Interview mit Motorsport-Magazin.com.

Warum hat sich AVL RACETECH entschieden, einen Wasserstoff-Verbrenner für den Einsatz auf der Rennstrecke zu entwickeln?
Ellen Lohr: Wir sind komplett überzeugt von dieser Technologie und ihrem Mehrwert für den Motorsport. Das Feedback auf unsere Ankündigung hat gezeigt, wie groß der Bedarf ist. Die Idee, einen Wasserstoff-Verbrennungsmotor für den Einsatz im Motorsport zu entwickeln, ist bei uns seit rund eineinhalb Jahren ein Thema. Dazu muss man wissen: Es ist das erste Mal in der Geschichte von AVL RACETECH, dass wir einen Motor komplett aus eigenem Antrieb heraus entwickeln. Üblicherweise reagieren wir ja auf Kundenwünsche.

Zeigte der Trend speziell im Motorsport zuletzt nicht eher in Richtung Hybrid- und Elektro-Antriebe?
Ellen Lohr: Ja, das stimmt. Und wir als AVL RACETECH engagieren uns in den höchsten Klassen des Motorsports wie der Formel 1, Formel E oder Le Mans ja ebenfalls in diesen Bereichen. Wir sind jedoch überzeugt, dass wir eine weitergehende Diversifizierung von Antrieben nicht nur auf der Straße, sondern ganz sicher auch im Motorsport erleben werden. Mit unserem eigenen Motor wollen wir ein breit aufgestelltes Angebot für den Rennsport liefern, um den Aspekt der Nachhaltigkeit in vielen unterschiedlichen Kategorien anbieten zu können. Das ist auch mir persönlich ein wichtiges Anliegen. Eine wichtige Rolle spielte dabei, dass wir auf bestehenden Technologien - dem Verbrennungsmotor - aufbauen konnten und damit eine finanzierbarere Lösung für den Motorsport im Portfolio haben. Deshalb sind wir fest davon überzeugt, dass der Wasserstoff-Verbrennungsmotor eine große Zukunft im Motorsport hat.

Foto: Peter Riedler/AVL RACETECH
Foto: Peter Riedler/AVL RACETECH

Was erhofft sich AVL RACETECH von der Entwicklung eines Wasserstoff-Verbrennungsmotors?
Ellen Lohr: Ob du ein Rennen fährst oder für ein Engineering-Unternehmen arbeitest: Es ist immer der Wille, in der ersten Reihe zu stehen. Wir wollen beim Thema Wasserstoff-Verbrenner unsere Kompetenz unter Beweis stellen, Wegbereiter für diese Technologie sein und dabei auch den Kostenfaktor fest im Blick haben. Der Motorsport bietet sich perfekt an, um neue Technologien voranzutreiben. In dem Fall können dabei auf Erfahrungen aus unserem Serienbereich zurückgreifen und so gegenseitig profitieren.

Wie sieht der aktuelle Stand dieses Projekt aus?
Ellen Lohr: Wir entwickeln einen Prototypen-Motor, der zunächst einmal auf dem Prüfstand läuft. Das Ziel lautet natürlich, den Motor im Anschluss in einem Rennauto weiterzuentwickeln und auf Zuverlässigkeit zu prüfen. Dieser Schritt soll 2023 erfolgen. Dazu befinden wir uns aktuell in Gesprächen mit Partnern.

AVL RACETECH entwickelt die Zukunft des Motorsports (00:29 Min.)

Welche Leistung peilt AVL RACETECH mit dem Motor an?
Ellen Lohr: Wie wir bereits kommuniziert haben, entwickeln wir einen Wasserstoff-Verbrenner auf Basis eines 2-Liter-Turbomotors. Nach aktuellem Stand peilen wir eine Leistung von bis zu 300 kW an, was rund 400 PS entspricht. Wir möchten aber zum jetzigen Zeitpunkt noch keine verbindliche Leistungsangabe machen, weil die Standfestigkeit beim Motor natürlich auch eine ganz wichtige Rolle spielt. Ich kann aber sagen, dass wir von einem 'echten' Rennmotor sprechen, an dem die Fahrer und Fans sicherlich ihren Spaß haben werden.

In welchen Motorsport-Kategorien ist der Einsatz eines Wasserstoff-Verbrenners vorstellbar?
Ellen Lohr: Das Einsatzspektrum ist grundsätzlich breit gefächert, das ist mit Blick auf die Nachhaltigkeit ja eines unserer Ziele. Wir können uns Einsätze im Tourenwagensport, in Markenpokalen oder auch bei Rallyes vorstellen. Ein großer Vorteil ist, dass bestehende Rennformate erhalten bleiben können, weil wir anpeilen, mit dem Motor eine ordentliche Renndistanz zurückzulegen. Und warum sollte ein Rennwagen mit Wasserstoff-Verbrenner künftig nicht auch bei Langstreckenformaten wie der Rallye Dakar an den Start gehen, wenn die Infrastruktur vor Ort stimmt und das Reglement entsprechend angepasst ist? Wir haben viele Ideen und prüfen im weiteren Verlauf der Entwicklung, in welchen Rennklassen der Einsatz sinnvoll sein wird.

Foto: AVL RACETECH
Foto: AVL RACETECH

Warum ist es für AVL RACETECH wichtig, in diesem Bereich eine Vorreiter-Rolle im Motorsport einzunehmen?
Ellen Lohr: Entwicklung, Engineering-Kunst und Nachhaltigkeit liegen in der DNA der AVL und von AVL RACETECH. Es ist unser klares Ziel in vielen Bereichen, als Wegbereiter voranzugehen. Mit der Entscheidung, erstmals einen Motor in Eigenregie zu bauen, wollen wir diese Werte verstärkt in die Öffentlichkeit tragen. Wir engagieren uns in knapp 20 unterschiedlichen Rennserien, bis in die höchsten Klassen hinein. Aufgrund von Geheimhaltungsvereinbarungen mit unseren Kunden also im Sinne der Vertraulichkeit sind wir bei gewissen Themen in der öffentlichen Kommunikation allerdings sehr eingeschränkt.

Viele Motorsport-Fans hoffen, dass durch den Einsatz von Wasserstoff-Verbrennern im Gegensatz zu reinen Elektro-Autos der traditionelle Rennsport-Sound erhalten bleibt. Kannst du diesen Wunsch nachvollziehen?
Ellen Lohr: Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich war ja nicht nur Rennfahrerin und arbeite im Motorsport, sondern bin im Herzen ein absoluter Racing-Fan. Für viele Zuschauer ist der Sound eines Rennautos etwas ganz Besonderes und gehört einfach dazu. Und bei unserem Wasserstoff-Turbomotor kommen die Fans ganz bestimmt auf ihre Kosten!