Permanente Rennstrecken haben absoluten Seltenheitswert in der Geschichte der Formel E. Auf dem Portland International Raceway im US-Bundesstaat Oregon betrat die Elektro-Weltmeisterschaft zuletzt Neuland - und stellte mit den Gen3-Rennwagen sofort neue Topspeed- und Rundenschnitt-Rekorde auf.

Gehören temporäre Stadtkurse zweifelsohne zur DNA der 2014 gegründeten Formel E, bieten Ausflüge auf permanente Kurse wie die IndyCar-Traditionsstrecke von Portland stets reichlich Abwechslung. Motorsport-Fans und auch zahlreiche Rennfahrer wünschen sich schon seit geraumer Zeit einen Mix aus Straßenkursen und klassischen Rennplätzen.

Wäre das eine Lösung für die Zukunft im Rennkalender? Bei der Premiere in Portland bat Motorsport-Magazin.com am Renntag Manfred Sandbichler, Hankook Motorsport Direktor Europa, vom exklusiven Reifenausstatter der Formel E zum Interview.

Herr Sandbichler, der Portland International Raceway ist die einzige permanente Rennstrecke im Formel-E-Kalender 2023. Was bedeutete das aus Sicht von Hankook?
Manfred Sandbichler: Der Portland International Raceway kam Hankook entgegen, weil es hier einen durchgehenden Asphaltbelag gab. Auf einem Straßenkurs finden wir meist unterschiedliche Beläge vor, dazu Absätze im Asphaltband oder Reparaturstellen. Deshalb spielten uns die Bedingungen auf einer permanenten Rennstrecke wie hier in Portland sogar in die Karten.

Manfred Sandbichler, Hankook Motorsport Direktor Europa, Foto: Germain Hazard / Royal Spark
Manfred Sandbichler, Hankook Motorsport Direktor Europa, Foto: Germain Hazard / Royal Spark

Konnte Hankook auf spezielle Daten oder Kenntnisse zurückgreifen?
Manfred Sandbichler: Nein. Für Hankook galt das Gleiche wie für die Teams: Wir waren alle zum ersten Mal mit der Formel E in Portland und sind ohne Vergleichsdaten gestartet. Wir hatten wie erwartet und erhofft keinerlei Probleme zu verzeichnen. Die Reifen haben sich auch bei unterschiedlichen Temperaturen bewährt, nachdem es am Trainings-Freitag doch vergleichsweise warm war. Sicherlich gab es auch einige kritische Kurven, in denen die Fahrer relativ 'rustikal' zu Werke gingen und die Kerbs aggressiv nahmen. Aber das gehört dazu und war eine spannende Abwechslung zu den Stadtkursen. Ich bin natürlich dafür, dass die Formel E in den Städten fährt, aber den einen oder anderen Ausflug auf eine permanente Rennstrecke finde ich ebenso attraktiv.

Zahlreiche Fahrer und Fans wünschen sich ebenso einen Mix aus temporären und permanenten Rennstrecken in der Formel E. Wäre das eine Möglichkeit für die Zukunft?
Manfred Sandbichler: Ganz zu Beginn war ich schon etwas skeptisch, als Portland in den Rennkalender aufgenommen worden ist. Wir waren nach der Ankunft hier vom gesamten Auftritt jedoch positiv überrascht. Und ich bin bei den Fahrern: Eine permanente Rennstrecke zur Abwechslung kann durchaus für das nötige Salz in der Suppe sorgen. Und wir dürfen nicht vergessen, dass der Portland International Raceway nur rund 20 Minuten Fahrt von der Stadt entfernt liegt. Stadtstrecken sind die DNA der Formel E, aber ein solches Konzept sollte man für die Zukunft im Auge behalten.

Volles Haus bei der Formel-E-Premiere in Portland 2023, Foto: LAT Images
Volles Haus bei der Formel-E-Premiere in Portland 2023, Foto: LAT Images

Markant in Portland und generell auf permanenten Rennstrecken waren sicherlich die hohen Kerbs. Hat das Hankook im Vorfeld Sorgen bereitet?
Manfred Sandbichler: Nach dem, was wir hier erlebt haben, könnte man schon fast von Kantsteinen sprechen! Die Fahrer konnten die Reifen an der rechten Fahrzeugseite schon hart rannehmen, wobei Beschädigungen nicht ausgeschlossen werden können. Da ist dann der Fahrer gefragt, das Risiko richtig einzuschätzen und so weit wie möglich von den Kerbs wegzubleiben.

Die Hankook-Reifen waren zu Saisonbeginn eines der großen Themen im Fahrerlager. Inzwischen ist es relativ ruhig geworden. Ist es aus Sicht von Hankook gut oder schlecht, wenn viel über die Reifen diskutiert wird?
Manfred Sandbichler: Das ist aus unserer Sicht immer ein Mix aus: 'Müssen wir ständig über die Reifen reden' und 'Dürfen wir über die Reifen sprechen'. Zu Beginn unseres Einstiegs in die Formel E in Verbindung mit dem neuen und deutlich leistungsstärkeren Gen3-Auto herrschte eine immense Erwartungshaltung. Die wurde seitens des einen oder anderen Fahrers offenbar nicht erfüllt. Und das kann man nachvollziehen, schließlich will jeder Rennfahrer immer die maximale Performance und den größtmöglichen Grip. Unsere Reifen erfüllen genau das, was von der FIA gefordert worden ist. Ich hatte von Beginn an gesagt, dass sich die Fahrer erst einmal an das neue Auto in Verbindung mit den neuen Reifen gewöhnen sollen. Die Lernkurve ist enorm steil und wenn wir beobachten, welche taktischen Möglichkeiten die Reifen zulassen, ist genau das eingetreten, was wir zum Saisonbeginn prognostiziert hatten.

MSM-Reporter Robert Seiwert trifft Manfred Sandbichler in Portland, Foto: Christof Sage
MSM-Reporter Robert Seiwert trifft Manfred Sandbichler in Portland, Foto: Christof Sage

In Portland hat die Formel E neue Allzeit-Rekorde beim Topspeed (276,6 km/h) und den durchschnittlichen Rundenzeiten (168,2 km/h) aufgestellt. Hatte Hankook solche Werte bei der Reifenentwicklung eingeplant?
Manfred Sandbichler: Wir waren davon überzeugt, dass die Performances aus den ersten Saisonrennen noch nicht das Ende der Fahnenstange bedeuten würden. Die Teams mussten erst einmal die ganzen Komponenten des neuen Fahrzeuges zusammenfügen. Die Rekordwerte, die wir hier in Portland erlebt haben, waren eine logische Konsequenz dessen, was in der ersten Saisonhälfte passiert ist: Die Teams und Fahrer haben gelernt, mit den vorhandenen Möglichkeiten umzugehen. Das Gesamtpaket kommt jetzt ins Rollen.

Wie fällt Ihr Zwischenfazit vor den letzten beiden Saison-Events in Rom und London aus?
Manfred Sandbichler: Wir als Hankook sind mit dem bisherigen Saisonverlauf sehr zufrieden. Wir hatten bisher keine Reifenschäden, die auf Reifenprobleme zurückzuführen waren. Mit der Zusammenarbeit zwischen der FIA, der Formel E, den Teams und Fahrern sind wir mehr als zufrieden. Wir mussten die Serie und die Teilnehmer kennenlernen und andersherum galt das genauso. Das ist uns allen gut gelungen, würde ich sagen. Es ist ein konstruktives und ebenso familiäres Miteinander. Man ist nicht damit beschäftigt, sich mit irgendwelchen Kleinigkeiten auseinanderzusetzen. Wir sind da, wo wir hinwollten, und jetzt geht es richtig vorwärts. Schließlich verfolgen wir alle das gleiche Ziel, nämlich, die Formel E zum Erfolg zu führen.