Robin Frijns hat sich mehrere Handknochen in Mexiko-City zertrümmert, Sebastien Buemi verließ Sao Paulo mit einer stark geprellten Hand samt dickem Verband, und auch Antonio Felix da Costa hat bereits etwas abbekommen: Die Rennwagen der aktuellen Formel-E-Generation sind ganz offensichtlich nicht ungefährlich für die Gesundheit der Fahrer.

Im Fokus der aktuellen Diskussionen stehen die Lenkräder der Gen3-Boliden. Wegen des zusätzlichen Gewichts durch den neuen Motor an der Vorderachse und der fehlenden Servolenkung, ist die Lenkung seit diesem Jahr enorm schwergängig für die Piloten. Einige Fahrer mussten sogar an Gewicht zulegen oder ihr Physio-Training anpassen, um die Kräfte am Lenker im Griff zu haben.

Abt-Teamchef nach Frijns' Knochenbruch: "Einfach gefährlich"

Der mehrfache Handbruch von Abt-Pilot Frijns in Folge eines nur scheinbar harmlosen Auffahrunfalls in Mexiko war ein lauter Warnschuss. Der Niederländer wurde vor Ort operiert und fiel wochenlang aus. Weitere Zwischenfälle haben Alarm geschlagen bei den Fahrern, die bei der Formel E und der FIA auf eine baldige Änderung drängen. Motorsport-Magazin.com weiß: An diesem heiklen Thema wird hinter den Kulissen bereits gearbeitet.

"Wir haben die FIA darauf aufmerksam gemacht, den Unfall genau zu untersuchen", sagte Abt-Teamchef Thomas Biermaier während einer Medienrunde der Formel E zu Motorsport-Magazin.com. "Der Fahrer muss hellwach sein und schauen, dass er seine Hände unter Kontrolle hat, wenn etwas passiert. Wir als Team können die FIA und die Formel E nur darauf aufmerksam machen, dass es einfach gefährlich ist."

Porsche-Gesamtprojektleiter Florian Modlinger stimmte seinem früheren Abt-Kollegen zu: "Wenn schon zwei Fahrer etwas hatten, dann muss man das Thema angehen und schauen, was man verbessern kann. Natürlich immer in Zusammenarbeit mit der FIA, bei der die Verantwortung liegt." Bei anstehenden Double-Header in Berlin (22./23. April) steht das Lenkrad-Thema auch beim Fahrer-Meeting weit oben auf der Liste.

Spuren vom Mexiko-Unfall an der operierten Hand von Robin Frijns, Foto: LAT Images
Spuren vom Mexiko-Unfall an der operierten Hand von Robin Frijns, Foto: LAT Images

Rene Rast: "Das ist definitiv ein Problem"

Jedes Formel-Nachwuchstalent lernt noch vor der ersten Runde: Wenn du mit deinem Single-Seater irgendwo einschlägst, sofort die Hände vom Lenkrad nehmen! Durch das ruckartige Einlenken der Vorderachse bei einem Aufprall schlägt das Lenkrad wild um sich und die dabei entstehenden Kräfte können schnell zu Verletzungen an der Hand führen. Die fehlende Servolenkung in der Formel E sorgt gleichzeitig dafür, dass die Fahrer ihre Lenkräder mit großer Anstrengung halten müssen, wodurch noch höhere Kräfte wirken und es schwieriger wird, bei einem Kontakt rechtzeitig das Lenkrad loszulassen.

"Es kann zur Gefahr werden, wenn du einem reinfährst und das Lenkrad nach links oder rechts schlägt", sagte McLaren-Pilot Rene Rast während einer virtuellen Gesprächsrunde zu Motorsport-Magazin.com. "Ob das an der fehlenden Servo liegt, kann ich nicht sagen. Vielleicht liegt es an der Art und Weise, wie das Auto gebaut ist. Das Headrest ist relativ dicht am Lenkrad. Wenn du einen Schlag erhältst, kommst du da relativ schnell dran. Ich könnte mir vorstellen, dass da Verletzungen passieren. Das ist definitiv ein Problem und man muss in Betracht ziehen, dass etwas passieren kann."

Wie anstrengend die 'Handarbeit' mit den Gen3-Autos ist, zeigt das Beispiel Rast. Der dreifache DTM-Champion, seit jeher von eher schlaksiger Natur, musste ordentlich Gewicht nachlegen - ganze acht Kilogramm seit dem ersten Rennen in Mexiko im Januar! Rast: "Jetzt wiege ich 69 Kilo. Ich werde weiterhin versuchen, meine Körpermasse hochzuhalten, damit ich das Lenkrad drehen kann. In Mexiko hatte ich teilweise echt Probleme über die Renndistanz. Für mich war es schwierig, das Auto unter Kontrolle zu halten. Mittlerweile habe ich keine Probleme mehr."

Problem-Thema in der Formel E 2023: das Lenkrad des Gen3-Autos, Foto: LAT Images
Problem-Thema in der Formel E 2023: das Lenkrad des Gen3-Autos, Foto: LAT Images

Maximilian Günther: "Dann werden immer wieder Fahrer ausfallen..."

Bei den Vorsaison-Testfahrten in Valencia Ende Dezember 2022 war die Schwergängigkeit der Lenkräder noch kein allzu großes Thema. Das mag durchaus am Streckenlayout gelegen haben, denn: Auf dem Kurs mit vielen schnellen Kurven und einer flüssigen Abfolge machte sich die fehlende Servolenkung weniger stark bemerkbar. Schwierig wurde es auf Rennstrecken mit langsameren Kurven und das Thema akut, als sich in einigen Rennen mehrere Auffahrunfälle beim Anbremsen auf die engen Schikanen ereigneten. Einige Fahrer sprachen von einem Ziehharmonika-Effekt, bedeutet: von einem Zusammenstauchen des Feldes, welches das Kollisions-Potenzial erhöht.

Maserati-Pilot Maximilian Günther sprach während einer Online-Medienrunde auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com ganz deutlich aus, was viele Fahrer in der Formel E fürchten: "Die Formel E muss sich das Thema anschauen, weil die Gesundheit der Fahrer sehr wichtig ist. Wenn wir so weitermachen wie aktuell, werden immer wieder Fahrer ausfallen oder sich die Hand prellen. Die Sicherheit steht im Vordergrund und wir Fahrer haben alle zusammen klar unser Feedback gegeben."

Servolenkung die Lösung für Formel-E-Problem?

Eine Servolenkung in den von Spark Technologies entwickelten Einheitschassis könnte Abhilfe verschaffen. Unklar aber, wie groß der technische Aufwand wäre und wie lange die Einführung dauern würde. Günther: "Mit einer Servolenkung wäre es gelöst und das ist sicherlich der Wunsch von vielen Fahrern. Ich bin kein Ingenieur, glaube aber schon, dass es machbar wäre."

Handverletzungen sind keine Neuheit in der Formel E. In der Saison 2022 erlitt Jaguar-Pilot Sam Bird mit dem Gen2-Vorgänger (ebenfalls ohne Servo, aber ohne Frontmotor) in London einen Mittelhandbruch und musste das Saisonfinale in Seoul auslassen. An jenem Rennwochenende in Südkorea verletzte sich dann der ehemalige Dragon-Fahrer Antonio Giovinazzi am Daumen und konnte das abschließende Rennen nicht bestreiten. Der Frijns-Unfall beim Auftakt 2023 in Mexiko war saisonübergreifend das dritte Rennen in Folge, bei dem sich ein Fahrer eine Verletzung zuzog.

Dass sich die Formel E unterschiedlichen 'Problemzonen' auch während der laufenden Saison annehmen und reagieren kann, hat sie bereits bewiesen. Beim zweiten Saisonrennen in Saudi-Arabien hielt eine 'Notfall-Bremse"' Einzug in die aktuellen Gen3-Autos, zuletzt in Brasilien wurden neue Außenspiegel mit besserer Sicht nach hinten eingeführt. Mit der Lenkung wartet nun die nächste Baustelle.

Formel E: Tabelle 2023

Pos.FahrerTeamPunkte
1Pascal WehrleinPorsche86
2Jake DennisAndretti62
3Nick CassidyEnvision61
4Jean-Eric VergneDS Penske60
5Antonio Felix da CostaPorsche58
6Sam BirdJaguar44
7Sebastien BuemiEnvision42
8Rene RastMcLaren40
9Mitch EvansJaguar39
10Jake HughesMcLaren32
11Stoffel VandoorneDS Penske22
12Lucas di GrassiMahindra18
13Andre LottererAndretti18
14Norman NatoNissan11
15Sergio Sette CamaraNIO 33310
16Dan TicktumNIO 3339
17Oliver RowlandMahindra8
18Sacha FenestrazNissan7
19Edoardo MortaraMaserati3
20Maximilian GüntherMaserati0
21Nico MüllerAbt-Cupra0
22Robin FrijnsAbt-Cupra0
23Kelvin van der Linde (Ersatz)Abt-Cupra0