Nach den Ausstiegen von Audi und BMW sowie dem bevorstehenden Werksabschied von Mercedes endlich wieder eine gute Nachricht für die Formel E aus deutscher Sicht: Traditions-Rennstall Abt Sportsline kehrt 2023 in die Elektro-Rennserie zurück. Das nach Punkten erfolgreichste Team in der Geschichte der Formel E hat kurz vor dem Heimspiel in Berlin (14./15. Mai 2022) sein Comeback angekündigt, ohne auf Details einzugehen.

Klar ist: Im Gegensatz zu früheren Zeiten als Audi-Einsatzteam starten die Äbte nächstes Jahr als reines Kundenteam. Der Motoren-Partner wurde noch nicht genannt, nach Informationen von Motorsport-Magazin.com gilt der indische Automobilgigant Mahindra als ganz heiße Aktie. Einige Details mit diversen Parteien sind noch zu klären, für die Verkündung des kompletten Programms pünktlich zum Berlin-Heimrennen reicht es wohl nicht ganz. Sie soll aber zeitnah erfolgen.

Biermaier: Werden Fahrer mit Formel-E-Erfahrung haben

Bis zur offiziellen Bekanntgabe darf also fleißig spekuliert werden, auch, was die Fahrer-Wahl betrifft. Zahlreiche Kandidaten kommen für die Rückkehr von Formel-E-Gründungsmitglied Abt Sportsline in den Sinn. Abt-CEO Thomas Biermaier ließ sich noch keine Namen entlocken, gab aber Hinweise auf das Anforderungsprofil.

"Es ist von Vorteil, einen Fahrer mit Formel-E-Erfahrung im Cockpit zu haben", ließ Biermaier in einer kleinen Medienrunde, an der auch Motorsport-Magazin.com teilnahm, durchblicken. "Mindestens einen brauchst du auf jeden Fall, damit der zweite Fahrer etwas von ihm lernen kann. Wir werden einen Fahrer haben, der definitiv Erfahrung hat. Vielleicht hat der zweite auch Erfahrung. Das kann sehr gut sein und wäre natürlich optimal."

"Ein kleiner, geiler und eingeschworener Haufen"

Laut Biermaier sei es wichtig, ein gewisses Knowhow zur komplexen Formel E über die Fahrer einzukaufen. 75 Prozent der Team-Mitglieder aus Audi-Werkszeiten habe der Rennstall aus Kempten halten können. Um keine Mitarbeiter zu verlieren, habe Abt laut Biermaier auch einen dritten Audi in der DTM eingesetzt, in der sich die Äbte dieses Jahr und auch weiter langfristig engagieren wollen. Hinter dem weiteren Motorsport-Projekt, der Extreme E in Zusammenarbeit mit Autobauer Cupra, stehen zumindest Fragezeichen vor dem Hintergrund der Formel-E-Rückkehr.

Biermaier: "Es ist uns auch wichtig, zwei Fahrer an Bord zu haben, die sehr gut in unsere kleine Truppe reinpassen. Damit wir ein kleiner, geiler und eingeschworener Haufen sind, der gegen die Großen kämpft. Wir werden ein bisschen die Underdogs sein. Deshalb muss die Fahrerpaarung passen und ich weiß, dass wir da auf einem guten Weg sind."

Frijns passt ins Anforderungsprofil

Als heißer Kandidat für eines der beiden Abt-Cockpits gilt nach Informationen von Motorsport-Magazin.com Robin Frijns. Der Niederländer kennt das Team aus gemeinsamen DTM-Zeiten zwischen 2018 und 2020 und ist intern sehr geschätzt. In der DTM fuhr er stets ein wenig im Schatten von Audi-Überflieger Rene Rast, zählt unter Experten aber zu den talentiertesten Fahrern in unterschiedlichen Kategorien.

Frijns würde perfekt ins Profil passen: Der 30-Jährige blickt auf 66 Formel-E-Rennen seit 2015 mit zwei Siegen und zwölf Podestplätzen zurück. In der laufenden Saison zählt er mit seinem Team Envision als Gesamtvierter zu den Titelanwärtern. In meist leicht unterlegenen Autos lieferte Frijns konstant ab. Kurios: Bei sieben seiner zwölf Podiums-Fahrten landete er auf dem zweiten Platz! Envision, ehemals Virgin Racing, nutzt aktuell noch Kundenmotoren von Aussteiger Audi und wechselt mit der Einführung des Gen3-Autos ab 2023 zu Jaguar.

Ehemalige DTM-Teamkollegen: Nico Müller und Robin Frijns, Foto: Audi Communications Motorsport
Ehemalige DTM-Teamkollegen: Nico Müller und Robin Frijns, Foto: Audi Communications Motorsport

Abt: Formel-E-Comeback mit altem DTM-Duo?

Nach Informationen von Motorsport-Magazin.com besteht sogar die Möglichkeit, dass Abt Sportsline mit einem 'alten' DTM-Duo in die Formel E zurückkehrt. Neben Frijns gilt Nico Müller als aussichtsreicher Kandidat. Der Schweizer startete von 2016 bis 2020 für die Äbte in der Tourenwagenserie, davon drei Jahre lang an Frijns' Seite. Für einen Fahrer-Titel reichte nicht, aber immerhin bescherte das Duo dem Rennstall aus Kempten eine Team-Meisterschaft. Auch menschlich verstehen sich Müller und Frijns bestens.

Müller verfügt ebenfalls über Erfahrung in der Formel E, allerdings weniger als Frijns. Der zweifache DTM-Vizemeister trat zwischen 2019 und 2021 zu 17 Rennen für Chaos-Rennstall Dragon in der Formel E an, bevor die Zusammenarbeit während der laufenden Saison endete. Müller war nach überzeugenden Leistungen bei Testfahrten bereits 2019 ein Anwärter auf das Audi-Werkscockpit in der Formel E.

Nach einem internen Politikum in Ingolstadt durfte jedoch Daniel Abt sein Cockpit an di Grassis Seite für die Saison 2019/20 behalten. "Man kann sagen, dass es Leute gibt, die Nico gern im Formel-E-Auto sehen würden", bestätigte damals der inzwischen geschasste Audi-Motorsportchef Dieter Gass gegenüber Motorsport-Magazin.com.

Müller war zuletzt wie Audi-Werksfahrer-Kollege Rene Rast für das angekündigte LMDh-Projekt des Autobauers aus Ingolstadt eingeplant. Die Rückkehr nach Le Mans wackelt allerdings extrem, wie Motorsport-Magazin.com erstmals Anfang März berichtete. Eine offizielle Bestätigung für die Einstellung des Projekts gibt es bislang nicht.

Was wird aus den Audi-Werksfahrern Rene Rast und Nico Müller?, Foto: Audi Communications Motorsport
Was wird aus den Audi-Werksfahrern Rene Rast und Nico Müller?, Foto: Audi Communications Motorsport

Rast-Manager zur Zukunft des dreifachen DTM-Champions

So müssen sich Müller und Rast womöglich nach Alternativen umschauen. Eine Rückkehr in die Formel E wollte das Rast-Lager nicht ausschließen, nachdem der 35-Jährige 2021 seine erste volle Elektro-Saison mit Audi Sport ABT Schaeffler bestritten hatte. Dennis Rostek, der unter anderem Rast seit vielen Jahren betreut, zu Motorsport-Magazin.com: "Eine der Möglichkeiten, die wir diskutieren, ist, mit Abt Sportsline auch weiterhin zu arbeiten - über die DTM hinaus."

Der dreifache DTM-Champion ist dieses Jahr in die deutsche Traditionsrennserie zurückkehrt und pilotiert an der Seite seiner Teamkollegen Kelvin van der Linde und Ricardo Feller einen Audi R8 LMS GT3 Evo2. Während sich viele Fans über Rasts DTM-Rückkehr freuten, soll er selbst mehr Gefallen an der Formel E gefunden haben als man vermuten könnte. Allerdings hat Rast auch die 24 Stunden von Le Mans weit oben auf seiner Liste - wenn nicht mit Audi, dann mit einem anderen Hersteller?

Di Grassi: Traurig, dass bei Audi einiges zerbröckelt

Ein weiterer Abt-Kandidat, der genannt werden muss: Lucas di Grassi. Der Brasilianer stieg 2014 mit den Äbten in die Serie ein und blieb bis zum Ausstieg. Beim letztjährigen Saisonfinale in Berlin bescherte di Grassi dem Team und Hersteller Audi den bis dato letzten Formel-E-Triumph und baute seine persönliche Bilanz auf zwölf Siege aus. Liebend gerne wäre er weiter für Abt angetreten, musste sich mit Venturi aber eine neue sportliche Heimat für 2022 suchen. Gerüchtehalber soll di Grassis Vertrag nur über die Dauer von einem Jahr datiert sein...

"Es ist schade, dass wir das in Saison 4 begonnene Projekt (Audi-Werksübernahme von Abt; d. Red.) nicht in dieser Saison beenden konnten", sagte di Grassi zuletzt in Rom zu Motorsport-Magazin.com. "Die Kosten hätte man managen können, alles war fertig entwickelt. Mit dem, was Envision jetzt fährt, hätten wir auch weitermachen können. Wenn Audi auf ordentlichem Wege hätte aussteigen wollen, dann hätten sie das zum diesjährigen Saisonende machen können."

Der frühere F1-Pilot, der 2017 mit Abt-Audi die Formel-E-Meisterschaft gewann, weiter: "Ich wünsche Audi weiter viel Erfolg bei der Dakar und in der Formel 1, falls sie sich zum Einstieg entscheiden sollten. Aber bei der Marke läuft aktuell vieles kompliziert, wie ich höre. Ich verdanke Audi sehr viel, aber es ist etwas traurig, dass da einiges zerbröckelt ist."

Daniel Abt wohl kein Thema

Während Frijns, Müller, Rast oder di Grassi als potenzielle Kandidaten für ein Abt-Cockpit infrage kommen, steht mit Daniel Abt ein langjähriger Fahrer des Teams offenbar nicht mehr zur Verfügung. "Ich weiß nicht, ob wir ihn überzeugen könnten, wieder ins Formel-E-Auto zu steigen, sagt Abt-CEO Biermaier.

Der 29-Jährige wurde 2020 in Folge eines Computerspiel-Eklats von Audi während der laufenden Saison rausgeworfen und durch Rast ersetzt. Abt ist nach 63 Rennen für Audi (zwei Siege, zehn Podestplätze) inzwischen als TV-Experte für die Formel E bei ProSieben tätig.

Formel E: Popularität in Deutschland ausbaufähig

Der private TV-Sender dürfte sich unterdessen über die Rückkehr der Äbte in die Formel E zur Saison 2023 freuen. Glaubte auch Biermaier: "Gerade der deutsche Markt hat ein bisschen gelitten unter den Ankündigungen der deutschen Hersteller. Da tut so eine kleine Nachricht, dass Abt zurückkommt, sicherlich gut. Es gibt ja noch weitere Partner aus Deutschland und gemeinsam wollen wir eine gute Rolle dabei spielen, dass die Formel E ihre Popularität in Deutschland weiter steigert. Die ist sicherlich noch ausbaufähig."

Aus der Formel E hatte sich Abt Sportsline in Folge des Audi-Rückzuges als eines der erfolgreichsten Team nach sieben Jahren vorerst verabschiedet. 1.380 Punkte sammelte die Mannschaft in 84 Rennen durch Lucas di Grassi, Daniel Abt und Rene Rast. 14 Siege, darunter der allererste in der Formel E 2014 in Peking, und 47 Podiumsplatzierungen gehen auf das Konto der Äbte. Di Grassi gewann in der Saison 2016/2017 den Fahrertitel, 2017/18 gelang im Zuge der Audi-Werksübernahme der Gewinn der Team-Meisterschaft.